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Membranen besser verstehen

Nr. 13 - 27.05.2021

Team von Universität Göttingen und Hereon präsentiert neue Forschungsstrategien 

 

Eine neue Klasse von Membranen verspricht hochinteressante Anwendungen bei der
Stofftrennung – sei es in der Biotechnologie oder der Wasserreinigung. Doch das
theoretische Verständnis über diese Polymermembranen ist nach wie vor lückenhaft. Im
renommierten Fachmagazin Chemical Reviews präsentieren zwei Forscher des Helmholtz-
Zentrums Hereon und der Universität Göttingen nun eine Studie, die die Wissenslücken
identifiziert und vielversprechende Lösungsansätze aufzeigt.

 

Ob bei Entsalzungsanlagen, der Abwasserreinigung oder der Abscheidung von CO2 –
Membranen spielen in der Technik eine zentrale Rolle. Seit mehreren Jahren arbeitet das
Helmholtz-Zentrum Hereon an einer neuen Variante: Sie besteht aus speziellen Polymeren, die
gleichgroße Poren im Nanometer-Maßstab bilden. Durch diese Poren können die zu
trennenden Stoffe, etwa bestimmte Proteine, regelrecht hindurchschlüpfen. Da diese
Trennschichten sehr dünn und damit relativ fragil sind, sind sie mit einer schwammartigen
Struktur mit weitaus gröberen Poren verbunden – sie verleiht dem Gebilde die nötige
mechanische Stabilität. 

 

„Eine Besonderheit ist, dass sich diese Strukturen in einem Akt der Selbstorganisation formen“,
beschreibt Prof. Volker Abetz, Leiter des Hereon-Instituts für Membranforschung und Professor
für Physikalische Chemie an der Universität Hamburg. „Das verspricht gegenüber
vergleichbaren Membranen, die zum Teil aufwändig mit Hilfe von Teilchenbeschleunigern
produziert werden, eine relativ günstige Herstellung.“ Da die Polymermembranen hohen
Durchsatz mit guter Trennselektivität verbinden, könnten sie künftig für die Biotechnologie und
die Medikamentenproduktion interessant sein, aber auch in der Abwasserbehandlung
Verwendung finden, etwa um unerwünschte Farbstoffe herauszufiltern.

 

Zwar konnte die Fachwelt in den letzten Jahren beträchtliche Fortschritte bei der Entwicklung
dieser neuen Membranen erzielen. Doch um sie für bestimmte Anwendungen maßschneidern
zu können, mangelt es noch an einem umfassenden theoretischen Verständnis. „Bisher war
da viel Versuch und Irrtum im Spiel, und auch eine Menge Bauchgefühl“, sagt Abetz. „Jetzt
sollte es darum gehen, diese Systeme möglichst grundlegend zu verstehen.“ Aus diesem
Grund haben Marcus Müller, Professor für theoretische Physik an der Universität Göttingen,
und Volker Abetz einen Übersichtsartikel in der Fachzeitschrift Chemical Reviews
veröffentlicht. Die Arbeit fasst den bisherigen Kenntnisstand in Sachen Polymermembranen zusammen und identifiziert die vielversprechendsten Forschungsansätze, mit denen sich
bestehende Wissenslücken schließen lassen.

 

Eine wichtige Rolle dabei spielen Computersimulationen – mit ihnen lässt sich digital
nachbilden, was im Detail beim Herstellungsprozess passiert. Aber: „Das Problem ist, dass
diese Prozesse überaus komplex sind und wir es mit völlig unterschiedlichen Längen- und
Zeitskalen zu tun haben“, erläutert Müller. „Und bislang sind wir nicht in der Lage, das alles mit
einer Beschreibung abzudecken.“ Zwar gibt es Computermodelle, mit denen sich einzelne
Aspekte simulieren lassen. Während manche dieser Modelle jedoch das Verhalten einzelner
Polymermoleküle beschreiben, bilden andere die Membran in einem deutlich gröberen Raster
nach. Bislang sind diese verschiedenen Ansätze eher vage miteinander verknüpft und auch
die Beschreibung der zeitlichen Abfolge der verschiedenen Prozesse stellt eine
Herausforderung dar. Für ein tieferes Verständnis wäre es vorteilhaft, wenn die Modelle besser
als bislang ineinandergreifen würden. 

 

„Die Polymermembran-Produktion lässt sich mit der Herstellung eines Soufflés vergleichen“,
beschreibt Marcus Müller. „Bei beiden geht es darum, die winzigen Poren, auf die es ankommt,
rechtzeitig zu stabilisieren, bevor das Ganze wieder in sich zusammenfällt.“ Unklar ist dabei
unter anderem, wie und ob sich die gleichzeitige Bildung von Trennschicht und Trägerschicht
gegenseitig beeinflussen und wie sich das gezielt steuern lässt. Eine weitere Frage: Wie lassen
sich die Poren so anordnen, dass sie einen möglichst hohen Durchfluss durch die Membran
erlauben – ein entscheidendes Kriterium für die Wirtschaftlichkeit einer Membran. „Zum Glück
werden sowohl die Computer als auch die Modelle immer besser, und das sollte deutliche
Fortschritte erlauben“, sagt Müller. „So können wir auf den Supercomputer JUWELS in Jülich
zugreifen, einem der schnellsten der Welt.“ Womöglich helfen künftig auch die Algorithmen
des maschinellen Lernens – hier könnte unentdecktes Potenzial schlummern.

 

Doch nicht nur die Theorie ist gefordert, auch bei den Experimenten gibt es Arbeit. „Eine große
Unbekannte ist zum Beispiel die Luftfeuchtigkeit“, erzählt Volker Abetz. „Wir wissen, dass sie die
Bildung einer Polymermembran entscheidend beeinflussen kann. Aber um diesen Einfluss
besser zu verstehen, wird es systematische Versuchsreihen brauchen.“ Lassen sich Hürden
wie diese meistern, würde das Fernziel der Forschung ein Stückchen näher rücken: „Unser
Traum ist, eine Polymermembran für eine bestimmte Anwendung erst als „digitalen Zwilling“
im Computer zu konstruieren und zu optimieren, um sie dann später im Labor gezielt
realisieren zu können“, sagt Abetz. „Und vielleicht können wir im Rechner sogar ganz neue
Strukturen entdecken, auf die wir im Experiment niemals stoßen würden.“

 

Originalveröffentlichung: Marcus Müller und Volker Abetz. Nonequilibrium Processes in Polymer Membrane Formation: Theory and Experiment. Chemical Reviews. Doi: https://doi.org/10.1021/acs.chemrev.1c00029

 

Kontakt:

 

Prof. Dr. Marcus Müller
Georg-August-Universität Göttingen
Institut für Theoretische Physik
Friedrich-Hund-Platz 1, 37077 Göttingen

mmueller@theorie.physik.uni-goettingen.de