Einladung

zu den Vorträgen von Dr. Florian Siegl (Tartu):



"Avantgardistische Grammatikographie - das Frühwerk des Eliel Lagercrantz I"
am Dienstag, den 27. Juni 2023 um 16 uhr c.t.
im Raum 2.601, KWZ, Heinrich-Düker-Weg 14,

und

"Avantgardistische Grammatikographie - das Frühwerk des Eliel Lagercrantz II"
am Donnerstag, den 29. Juni 2023 um 16 Uhr c.t.
im Raum 0.606, KWZ, Heinrich-Düker-Weg 14.

Alle Interessenten sind herzlich willkommen!


Avantgardistische Grammatikographie – das Frühwerk des Eliel Lagercrantz
Florian Siegl (Tartu)

Eliel Lagercrantz (1894-1973) war ohne Zweifel der beste finnische Kenner der saamischen
Sprachen Schwedens und Norwegens seiner Generation. Trotz umfangreicher Feldforschung in den
Jahren 1919-1921 und 1925-1926 zum Südsaami, Pitesaami, Lulesaami, Skoltsaami und zu
nordsaamischen Randdialekten am Flusslauf des Torne bzw. am Varangerfjord blieb und bleibt Eliel
Lagercrantz eine kontroverse Randnotiz in der Geschichte der finnischen Sprachwissenschaft, was
der Nekrolog Itkonens bereits deutlich machte (Itkonen 1975). An diesem Bild hat sich wenig
geändert (Henriksen 2007; Salminen 2008: 117-119). Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive ist
dies zugegebenermaßen etwas verwunderlich, da an den insgesamt zwölf Monographien
Lagercrantzs bereits quantitativ nicht vorbeizukommen ist. Darunter befindet sich eine
siebenbändige Textsammlung, die mit Ausnahme des letzten Bandes bereits in den 1930ern erstellt
und abgeschlossen, aber erst später gedruckt wurde (Lagercrantz 1957, 1958, 1959, 1960, 1961,
1963, 1966), zwei Wörterbücher (Lagercrantz 1926b, 1939), drei Grammatiken (Lagercrantz 1923,
1926a, 1929) und eine Monographie zur Phonetik der saamischen Sprachen (Lagercrantz 1927);
gerade jene geriet allerdings bereits früh unter massive Kritik (Äima 1928, Collinder 1928).
Im Fokus der Vorträge sind die drei Grammatiken, da diese sowohl aus dem Blickwinkel der
Forschung zu saamischen Sprachen und der Finnougristik, aber auch aus dem Blickwinkel der
allgemeinen Grammatikographie eine unvoreingenommene Neubewertung verlangen. Erstens,
Grammatikographie war in Lagercrantzs Zeiten in der finnischen Fennistik/Finnougristik irrelevant,
womit die Tatsache, dass ein finnischer Forscher innerhalb eines Jahrzehnts gleich drei
Grammatiken zu Druck brachte, wahrlich ungewöhnlich erscheint. Auch beinahe ein Jahrhundert
nach dem Erscheinen der letzten Grammatik ist festzustellen, dass kein finnischer Forscher mit
Hintergrund in Fennistik/Finnougristik nach Lagercrantz je drei umfangreiche synchrone
Grammatiken veröffentlicht hat. Eine weitere Besonderheit dieser Grammatiken ist deren
abweichende Strukturierung, da diese primär onomasiologisch konzipiert wurden, mit Satzlehre
beginnen und mit Phonetik enden. Zwar motivierte Lagercrantz diesen Aufbau selbst unter Verweis
auf gestaltpsychologische Prämissen, die damals in Deutschland auch außerhalb der Psychologie
getestet wurden (Ash 1995), allerdings ist es klar, dass Lagercrantz sich ebenfalls an einem
kurzfristigen und an sich wenig bekannten Trend in der deutschsprachigen allgemeinen
Sprachwissenschaft orientiere, die unter Berücksichtigung gestaltpsychologischer Strömungen des
frühen 20. Jahrhunderts eine solche Herangehensweise propagierte (Junker 1924). Mit diesen
Strömungen, u. a. auch mit Junker, kam Lagercrantz während seines Studienaufenthalts in Hamburg
1921-1922 in direkten Kontakt. Hiermit schließt sich der Kreis, denn die grammatikographische
Pionierleistung Lagercrantzs ist auch außerhalb der saamischen Linguistik in der nordischen
Linguistik geflissentlich übersehen worden. Zwar wurde die avantgardistische südsaamische
Grammatik Knut Bergsland (Bergsland 1946), die auf der zeitgenössischen Kopenhagener
Glossematik mit weiteren Einflüssen des Bloomfieldschen Strukturalismus basiert (und aus heutiger
Sicht ebenso unanwendbar ist), von Hovdhaugen et al (2000: 358) als „Meilenstein“ und
„Wegbereiter einer neuen Ära“ gepriesen, zu den Lagercrantzschen Grammatiken findet man in
Hovdhaugen et al (2000) dagegen kein einziges Wort.
Im Laufe der beiden Vorträge werden somit die Entstehung der Lagercrantzschen Grammatiken und
deren Konzeption genauer beleuchtet; am Rande wird auch auf die Lagercrantzsche
Grammatiktheorie aus der Sicht der zeitgenössischen Grammatikographie (u. a. Mosel 2006,
Genetti 2014) eingegangen.