Agrigent-Survey
Ca. 300 qkm nordwestlichen Hinterland von Agrigent und Heraklea Minoa und wurde durch unsere Begehungen im Sommer 2008 und 2009 erstmalig systematisch untersucht. Wir sind stichprobenartige Areale von unterschiedlicher Ausdehnung im archäologisch komplett unerforschten Magazzolo-Becken im Westen gelaufen, desgleichen auf dem Scheitelgebirge zwischen diesem und dem Platani und seinem Nebenfluß Turvoli im Osten und Süden sowie in den Hochtäler im Norden des Gebiets. Dabei wurden insgesamt etwa 160 Fundstellen von der späten Bronzezeit bis zum Mittelalter festgestellt. Die Befunde werden im folgenden nach den Epochen dargestellt.
Die Erwartung, dass zwischen Sant’ Angelo Muxaro im Süden und den indigenen Höhensitzen bei Prizzi und Corleone im Norden ein weiteres sikanisches Zentrum gelegen haben müsse, wurde durch eine verknüpfte Recherche mit verschiedenen Methoden bestätigt. Hinweisen Einheimischer nachgehend untersuchten wir die Gräber, natürliche Höhlen und die Bergkuppen zwischen Cianciana und Alessandria d.R. Erstens verdichtete sich durch eisenzeitliche Fundstücke sowie Beobachtungen zur Typologie der Gräber die Beweislage, dass diese in römischer Zeit oft wiederbenutzten Gräber nicht selten eine eisenzeitliche Erstbenutzung aufwiesen. Zweitens wurde auf der Höhe L. eine markante Keramikkonzentration vom Typ S. Angelo Muxaro festgestellt sowie drittens auf der Kuppe Mauerversturz der auch auf Luftbildern sichtbar ist. Dieser Siedlungsplatz ist durch die Präsenz griechischen Importmaterials des 6. Jh. v. Chr. herausgehoben. Im Umfeld dieser offenbar zentralen Höhensiedlung konnten in flacherem Gelände kleinere teils nah beieinander liegende Fundstellen ausgemacht werden, die auf eine dezentrale Siedlungsstruktur im Umfeld des Zentrums hinweisen. Sollte sich das bewahrheiten, und sich insbesondere die Gleichzeitigkeit der kleineren Fundstellen mit dem Zentralort herausstellen, dann wäre dadurch ein neues Element der Siedlungsweise der indigenen Einwohner Sizliens gefunden, das insbesondere den Vergleich mit der griechischen Siedlungsform und deren Interaktion auf eine grundlegend neue Grundlage stellte.
Entlang des historischen Wegs vom Platanital in nördlicher Richtung nach Alessandria d.R., Santo Stefano Quisquina und weiter zur Nordküste der Insel trat eine nahezu flächendeckende griechenzeitliche Siedlungsstruktur zutage, die ganz anderen Charakteristika folgt als z. B. die Siedlungsstruktur in der griechischen Chora von Gela. So wurden nur kleine Fundstellen mit wenig griechischem Importmaterial ausgemacht, die dem Vergleich mit den reichen Gehöften und Heiligtümern in der Chora von Gela überhaupt nicht standhalten können. Offenbar handelt es sich hier also um eine Siedlungsform der indigenen Bevölkerung, die mit den Griechen in Kontakt getreten ist. Die Ausgangshypothese, dass in diesem Gebiet also die Interaktion zwischen Griechen und Indigenen zu studieren sei, wurde auf diese Weise glänzend bestätigt. Die eisen- und kolonialzeitliche Siedlungsstruktur wurde bis in die Hochtäler Zentralsiziliens hinein (800 – 1000 m üNN) festgestellt. Sie schließt damit direkt an die indigenen Siedlungsstellen in der nördlichen Provinz Palermo an. Zugleich wird die dort einmal geäußerte Hypothese, der Hellenisierungsprozeß sei hier langsamer und weniger durchgreifend verlaufen, als etwa im südlichen Zentralsizilien bei Caltanissetta, wird durch unsere Funde auf der Höhe L. sowie durch den Fund eines griechischen Theaters auf der Montagna die Cavalli (Hippana) bei Prizzi widerlegt.
Auch für die römische Kaiserzeit und die Spätantike konnten Elemente einer außerordentlich dichten Siedlungsstruktur nachgewiesen werden. Der größte Ort in dem Gebiet liegt bei dem modernen Ort Cianciana an der Straße von Palermo über das Gebiet um Corleone und Prizzi nach Agrigent. Sie erstreckte sich über ca. 40 ha auf einem flachen Höhenrücken in der Umgebung von Schwefelvorkommen, auf deren Ausbeutung diese Siedlung spezialisiert gewesen sein könnte. Beim Survey und bei zahlreichen Begehungen auch mit Einheimischen wurden mehrere Fragmente gefunden, bei denen es sich um Formen für Schwefelbarren handeln könnte.
Nur wenige Kilometer außerhalb liegen weitere etwas kleinere Fundplätze, Siedlungen und Villae rusticae, oft mit zugehörigen Felsnekropolen, die die reiche Agrarlandschaft dieses Gebiets als Existenzgrundlage genutzt haben könnten.
Eine weitere dicht mit römischen Fundstellen besetzte Zone wurde überdies in dem archäologisch zuvor völlig unerforschten Magazzolo-Becken entdeckt. Dieser wasserreiche Bereich ist zwar durch einen modernen Stausee beeinträchtigt, doch wurde er durch zwei größere römische und spätantike Siedlungszentren erschlossen, zwischen denen kleinere Fundstellen liege, die teils sogar im Überschwemmungsgebiet des im Spätsommer niedrig stehenden Stausees festgestellt werden konnten.
Durch den Hinweis Einheimischer wurden wir schließlich auf einen merkwürdigen Zentralbau in einem wasserreichen Tal bei Alessandria d.R. aufmerksam. Eine Untersuchung der Umgebung zeigte sofort einen geringen Scherbenbefund, der im intensiven Survey eingesammelt wurde. Bei der Bearbeitung stellte sich heraus, dass darunter weiß glasierte Keramik mit arabischer Kaligraphie war. Natürlich steht eine Datierung des Zentralbaus bis zu einer architekturtypologischen Untersuchung aus, doch ist damit zumindest ein Element für dessen Deutung gefunden sowie generell arabische Präsenz in diesem fruchtbaren Gebiet wahrscheinlich gemacht.
Diese Fundsituation läßt erwarten, daß es in dem Gebiet möglich sein wird, eine Reihe siedlungstopographisch und historisch aufschlußreicher Aspekte zu untersuchen, die sich auf verschiedene Epochen von der Bronzezeit bis zum Mittelalter verteilen. Im Zentrum des Interesses stehen jedoch die griechisch-römische Epoche und zumal die Phase der griechischen Kolonisation.