Pressemitteilung zum Entwurf eines "Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Strafbarkeit der Werbung für Suizidbeihilfe v. 23.03.2010 (BR-Drucks. 149/10)"
Nachdem bereits in der Vergangenheit zwei Anläufe zur Kriminalisierung der "geschäftsmäßigen" bzw. "gewerblichen" / "organisierten" Suizidvermittlung (BR-Drucks. 230/06 und 436/08) gescheitert sind, unternimmt das Land Rheinland-Pfalz jetzt einen weiteren Versuch, dem in Deutschland Unerwünschten ("Dignitas", "Dr. Kusch Sterbehilfeverein") mit den Mitteln des Strafrechts Einhalt zu gebieten. Augenscheinlich aber vor der Schwierigkeit kapitulierend, das genuin strafwürdige Mo¬ment aus dem Gesamtbereich der nach geltendem Recht straflosen Suizidbeihilfe zu benennen und dadurch den strafbaren Bereich angemessen zu begrenzen, weicht der vorliegende Entwurf kurzerhand auf das Vorfeld aus und will werbende Aktivitäten, die kommerziell motiviert sind oder "in moralisch oder ästhetisch Ärgernis erregender Weise" grob anstößig erscheinen (Entwurfsbegründung, S. 5), mit Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet wissen.
Gegen dieses Vorhaben, das in der vorliegenden Fassung überdies eine Reihe von handwerklichen Mängeln aufweist, bestehen gravierende rechtliche Bedenken:
1. Die Entwurfsverfasser erklären eine (von Ihnen) empfundene Moralwidrigkeit kurzerhand zur Straftat und leugnen damit die einer jeden säkularen Rechtsordnung inhärente Trennung von Recht und Moral. Nicht alles, was manchem "zutiefst unmoralisch" erscheint (Entwurfsbegründung, S. 1), verdient schon deshalb Kriminalstrafe. Zudem trägt mit Blick auf den herrschenden Wertepluralismus, der einem jeden grundsätzlich das Verfolgen der je eigenen weltanschaulichen Überzeugungen erlaubt (soweit dadurch nicht andere zu Schaden kommen), derjenige die Begründungslast, der sich auf das Bestehen eines gemeinsamen Wertefundaments und einer daraus begründeten Moralwidrigkeit beruft. Wer dies nur zu behaupten vermag, betreibt Ideologie, aber keine rationale Rechtspolitik!
2. Von der beredt reklamierten "Moralwidrigkeit" soll insbesondere dann auszugehen sein, wenn die Unterstützung des Selbsttötungswunsches "zum Gegenstand der Profilierungssucht ... oder ... des Gewinnstrebens gemacht" werde (Entwurfsbegründung, S. 1). Bekanntlich zählt jedoch ein auf Vermögensmehrung gerichtetes Verhalten in einer Marktwirtschaft zum an sich sozialadäquaten, zwecks gesamtgesellschaftlicher Wohlstandsmehrung sogar erwünschten Streben der Menschen: Geldverdie¬nen ist nicht ehrenrührig und schon gar nicht strafbar! - und Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem "Menschenbild des Grundgesetzes" (Entwurfsbegründung, S. 1). Erst wenn Methode oder Begleitfolge des kommerziell motivierten Handelns aus hinzutretenden Gründen nicht mehr hinnehmbar erscheinen, überschreitet die Tat die Grenze zur Sozialwidrigkeit. Wäre die für Selbsttötungstaten hier einfach unterstellte Unfreiwilligkeit seitens der Suizidenten eine zutreffende Annahme (was in dieser Pauschalität umstritten ist), so bedürfte es mit Blick auf die Rechtskonstruktion einer Tötung in mittelbarer Täterschaft gar keines eigenständigen Tatbestands. Geht man hingegen von der Möglichkeit eines u.U. "freiverantwortlichen" (Bilanz-)Suizids - wenngleich nur in Ausnahmefällen nach sorgfältiger Abklärung - aus, so ist die pauschalisierende Pönalisierung einer darauf bezogenen "Werbung" insoweit illegitim.
3. Die Grenzen der Logik grob missachtend behauptet der Entwurf diesbzgl. einen hinreichenden Strafgrund und bestreitet zugleich einen solchen für die tatsächliche Vornahme einer Unterstützungs¬handlung selbst bei gewerbsmäßiger oder organisierter Begehungsweise. Die merkwürdige Logik lautet: Das Streben nach Vermögensmehrung begründet zwar im Vorfeld die Strafwürdigkeit, nicht aber später beim Vollzug dessen, worauf die vorangegangene Werbung bezogen war. Warum zu letzterer - trotz Anknüpfung der Strafbarkeit an das Vorliegen einer lediglich "abstrakten Gefahr" - die zu ersterem erwähnte "ultima-ratio-Funktion des Strafrechts" (Entwurfsbegründung, S. 2, 6) nicht ebenso gelten soll, bleibt das Geheimnis der Verfasser. Der Einsatz von Strafrecht zwecks Erhaltung eines erwünschten gesellschaftlichen "Klimas" ist verfassungsrechtlich kaum haltbar. Die offenbar stillschweigend zugrunde gelegte - für sich durchaus plausible - Sorge vor einem voreiligen Suizidentschluss und einem Ausblenden alternativer Wege ließe sich unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch durch verfahrensrechtliche Anforderungen an die Durchführung der Suizidbeihilfe jedenfalls abmildern.
4. Wenn man mit der herrschenden Rechtsauffassung von der Annahme ausgeht, dass (Ausnahme-)Fälle denkbar sind, in denen ein Suizident "freiverantwortlich" aus dem Leben scheidet, so handelt es sich insoweit um eine erlaubte (jedenfalls nicht strafrechtlich relevante) Tat. Aus diesem Grund fußt die Formulierung einer straferhöhenden Qualifikation bei tatsächlicher Durchführung wenigstens eines Suizidversuches (§ 217 Abs. 2 StGB-E) auf einer Fehlannahme, da schon deshalb nicht von einem (stets vorliegenden) "erhöhten Unrechtselement" (Entwurfsbegründung, S. 6) die Rede sein kann. Dies gilt aber auch deshalb nicht, weil bloße Kausalität ("unter Inanspruchnahme der Angebote des Absatzes 1") hierfür nicht ausreicht: Das Schuldprinzip verlangt stets eine täterspezifische Zurechnung des "Erfolges" (zumindest Fahrlässigkeit, vgl. § 18 StGB).
5. Die Reichweite des Strafbaren ist teilweise unklar und mit dem Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB) kaum vereinbar; dies gilt insbesondere für das Merkmal der "grob anstößigen" Begehungsweise. Den Entwurfsverfassern ist im Übrigen bei der Lektüre des ersichtlich zum Vorbild erwählten § 219a StGB ein grober Lesefehler unterlaufen, weil die Bedeutung dieses Begriffs in jenem Kontext gerade mehr verlangt als einen Verstoß gegen die "Moral" oder "Ästhetik" (vgl. Fischer, Strafgesetzbuch, 55. Aufl. 2008, § 219a Rn 2). Wenn jedoch schon die - wegen der grundsätzlichen Tatbestandsmäßigkeit (vgl. § 218 StGB) fragwürdige - Parallele zum Recht des Schwangerschaftsabbruchs gezogen wird, so wäre zumindest die Anschlussüberlegung naheliegend gewesen, ob entsprechend der dort - in § 219a Abs. 2, 3 StGB - formulierten Ausnahmetatbestände nicht auch im hiesigen Kontext bestimmte Formen der Informationsweitergabe ausgenommen bleiben sollten. Ferner stellt auch die Einbeziehung von werbenden Informationen über "fremde Dienste" (§ 217 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB-E) in weitreichendem Ausmaß Kommunikation unter Strafe, ebenso wie die geringen Anforderungen der von Abs. 1 Nr. 2 in Bezug genommenen "Mittel": Denn aus dem Kreis jener, die den Suizid auch "bei einer ihrer eigentlichen Bestimmung nicht entsprechenden Anwendung bewirken können" (Entwurfsbegründung, S. 5), lässt sich kaum mehr ein Gegenstand ausschließen.
Im Ganzen offenbart sich am Beispiel des vorliegenden Gesetzentwurfs einmal mehr die Neigung zu symbolischer, auf populistische Effekte abzielenden Rechtspolitik, die an dem generellen "Beruf für Gesetzgebung" (Savigny) nachhaltig zweifeln lässt. Statt mit neuen Straftatbeständen Handlungsfähigkeit vorzugeben, die in der Rechtspraxis absehbar folgenlos bleiben werden (zur geringen forensischen Bedeutung des § 219a StGB vgl. etwa MüKo/Gropp, StGB, Bd. 3, 2003, Vor § 218 Rn 87), sollte endlich mit der nötigen Ernsthaftigkeit über die wahren Gründe nachgedacht werden, die Menschen dazu veranlasst, sich nicht der modernen Medizin anzuvertrauen, sondern den Suizid und die Inanspruchnahme der Dienste bekannter Organisationen in Erwägung zu ziehen. Wer meint (oder vorgibt), die Nachfrage mittels eines strafbewehrten Werbeverbots eindämmen zu können, verkennt die wahren Zusammenhänge und ignoriert die realen Sorgen und Ängste der Bevölkerung.
Prof. Dr. Gunnar Duttge
- Geschäftsführender Direktor -
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