Die Ausstellung über die Entziehung von Doktortiteln an der Georg-August-Universität Göttingen im „Dritten Reich“
Die Universität Göttingen hat in der Zeit des Nationalsozialismus aktiv und möglichst linientreu dazu beigetragen, Menschen, die aus politischen oder rassischen Gründen von den NS-Machthabern diskriminiert und verfolgt wurden, den an der Georgia Augusta erworbenen Doktortitel abzuerkennen. Auf Initiative des Universitäts-Präsidenten sind diese Unrechtshandlungen wissenschaftlich aufgearbeitet worden. Eine Ausstellung, die am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte von Kerstin Thieler und Prof. Dr. Bernd Weisbrod konzipiert wurde, zeigte am Beispiel von elf Betroffenen, wie die Entziehungen begründet und der bürokratische Prozess der Titelaberkennung vollzogen wurde.
Die Präsentation mit dem Titel „,... des Tragens eines deutschen akademischen Grades unwürdig.‘ Die Entziehung von Doktortiteln an der Georg-August-Universität im ‚Dritten Reich‘“ war vom 29. Oktober bis zum 22. November 2004 im Foyer der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen am Platz der Göttinger Sieben zu sehen.
„Die Entziehung eines Doktortitels war in den meisten Fällen eine Fortsetzung vorhergegangener nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen. Sie zielte auf eine weitere persönliche Demütigung und Erschwerung des Lebens, sei es im Deutschen Reich oder im Exil“, so Prof. Weisbrod. In mehr als der Hälfte der 79 Fälle an der Universität Göttingen war die Titelentziehung Folge der Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland. Mit dem Gang ins Exil wurde die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, und das Reichserziehungsministerium wies die Universitäten an, den Exilanten die Doktortitel zu entziehen. Eines der bekanntesten Opfer war der Physiker und Nobelpreisträger Max Born, der 1907 an der Georg-August-Universität promoviert wurde und sich dort 1909 auch habilitierte. Von 1921 an lehrte er als Professor in Göttingen, 1933 wurde er wegen seiner jüdischen Abstammung aus dem Universitätsdienst beurlaubt; der Wissenschaftler emigrierte nach England. Nachdem Max Born 1938 die Staatsbürgerschaft aufgrund seiner Emigration aberkannt worden war, entzog ihm die Georgia Augusta den Doktortitel.
Aber nicht nur die Emigration, sondern auch ein Strafverfahren konnte die „Unwürdigkeit“, einen Titel zu führen, nach sich ziehen. „Dies wurde wirksam, wenn mit einem Strafurteil in einer Nebenstrafe die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt wurden, vor allem im Zusammenhang mit der Verschärfung des Strafrechts im Zuge der nationalsozialistischen Bevölkerungs- und Rassenpolitik“, erläutert Kerstin Thieler, Mitarbeiterin von Prof. Weisbrod und verantwortlich für die Realisierung der Ausstellung. Die Präsentation beruht im Wesentlichen auf den Entziehungsakten des Universitätsarchivs Göttingen. Nur in wenigen Fällen liegen persönliche Äußerungen der Entziehungsopfer vor.
Der jüdische Arzt Dr. Ernst Blumenberg war 1918 an der Universität Göttingen promoviert worden. 1937 wurde er wegen der Beziehung zu einer „arischen“ Frau nach dem „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und der Aberkennung der Ehrenrechte für die Dauer von fünf Jahren verurteilt. Daraufhin wurde ein Verfahren zur Entziehung seines Doktortitels eingeleitet, über das ihn der Göttinger Universitätsrat informierte. In seiner Antwort schrieb Blumenberg:
„Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass alles, was ich bisher für Deutschland und sein Volk getan habe, sowohl im Krieg wie im Frieden, und was den bisherigen Inhalt meines Lebens als Mensch und als Arzt ausmachte, so völlig ausgelöscht sein sollte durch eine Tat, die mehr dem Erliegen des Willens als dem Wollen zuzuschreiben war.“
Die Universität Göttingen entzog ihm am 5. August 1938 den Titel. Dem Arzt gelang es, nach seiner Haftentlassung nach Shanghai auszuwandern. So geriet Dr. Blumenberg ein zweites Mal in die Listen der Akademiker, denen die Doktortitel aberkannt werden sollten. Auf die Anweisung des Reichserziehungsministeriums im Jahr 1940 meldete die Universität Göttingen jedoch bereits Vollzug.
Doch auch Absolventen der Georg-August-Universität, die nach einem Strafurteil noch im Besitz ihrer bürgerlichen Ehrenrechte waren, mussten mit dem Verlust ihrer Doktorwürde rechnen. Ihnen entzog ein aus den Dekanen der Fakultäten und dem Rektor bestehender Ausschuss ihre Titel, so Kerstin Thieler.
Die Ausstellung befasst sich auch mit dem Handeln der Universität nach 1945 und den Bemühungen von Entziehungsopfern, ihre Titel zurückzuerhalten. In Einzelfällen kam es zu einer Rücknahme, zumeist durch ein Gnadengesuch des Betroffenen an den niedersächsischen Kultusminister, wobei vom Gesuch bis zur tatsächlichen Wiederanerkennung des Doktortitels zumeist Jahre verstrichen. Anders Ernst Blumenberg, der sich 1948 aus den USA an die Georg-August-Universität wandte, um eine Zurücknahme der Titelentziehung zu erreichen. Die Universitätsleitung nahm die Entziehung sofort nach der Aufhebung der Verurteilung zurück. Im Fall von Max Born, der nach dem Krieg Ehrenbürger der Stadt Göttingen wurde, hat es keine offizielle Titelrückgabe gegeben, doch verlieh ihm die Universität 1957 das 50-jährige Doktordiplom.