"Unser Land hat sich so gewandelt" - Erinnerung, Gesellschaft, Wissenschaft nach der nationalsozialistischen Diktatur
»Unser Land hat sich so gewandelt«: So schrieb Grete Paquin 1934 an den kurz zuvor emigrierten Physiker James Franck, der wie seine Sekretärin Paquin in Protest gegen den April 1933 eingeführten »Arierparagraph« seine Stelle an der Göttinger Universität aufgab. 80 Jahre nach diesen Ereignissen, 75 Jahre nach den Novemberpogromen, 65 Jahre nach der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und 60 Jahren nach dem Inkrafttreten der Europäischen Menschenrechtskonvention setzt sich die Vortragsreihe mit der Frage auseinander, inwiefern der nach 1945 angestrebte Wandel verwirklicht wurde, und wie wir heute mit der nationalsozialistischen Diktatur, ihren Verbrechen sowie verwandten Ideologie und Denkmustern umgehen.
Der Aufbau neuer internationaler Institutionen und Menschenrechtsschutzsysteme in den ersten Nachkriegsjahren sollte dazu beitragen, dass sich derartige Verbrechen gegen die Menschheit nie wieder ereignen können. In den letzten Jahren reklamieren jedoch genau jene Institutionen eine weltweit steigende Tendenz von Rassismus und anderen Formen der Diskriminierung. Gleichzeitig ringen viele der von Nationalsozialisten verfolgten sozialen Gruppen noch immer um eine Aufarbeitung der Verbrechen von damals und müssen auch heute noch an vielen Stellen mit Ausgrenzung und Diskriminierung rechnen.
Dies alles verweist auf die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, wie sie in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen erfolgt. Sie bleibt jedoch keine Diskussion über eine Zeit, die vergangen ist, sondern regt zur Reflexion darüber an, wer in unserer Gesellschaft und ihren Institutionen Platz findet und wer nicht, wie weit wir gekommen sind, und wie viel weiter wir noch gehen müssen, um das umfassende Versprechen der Nachkriegszeit tatsächlich einzuhalten.
Die interdisziplinär konzipierte Vortragsreihe fragt daher nach dem heutigen Umgang mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und der Art und Weise, wie sie erinnert und memoriert werden. Zudem stellt sie erneut die Frage nach der Rolle der Wissenschaft bei der Verbreitung oder der Widerlegung von Rassismus und anderen diskriminierenden Diskursen und Praktiken.
Finanzierung
- Universitätsbund Göttingen e.V.
- Gleichstellungsbüro der Universität Göttingen
- Institut für Ethik und Geschichte der Medizin
- Fakultät für Physik