Das älteste Gräberfeld Deutschlands

Der mesolithische Bestattungsplatz von Groß Fredenwalde (Brandenburg) – späte Jäger-Sammler in einer sich wandelnden Welt

Im Jahre 1962 wurden bei Bauarbeiten auf dem Weinberg nahe Groß Fredenwalde in der Uckermark (Brandenburg) mehrere menschliche Skelettreste entdeckt, die auf eine größere Beisetzung zurückgehen. Erst in den 1990er Jahren konnte mit Hilfe der Radiokarbonmethode ein mittelsteinzeitliches Alter für die ungewöhnliche Mehrfachbestattung ermittelt werden (ca. 6.000 v.Chr.). Die Toten waren mit rotem Ocker bestreut und mit zahlreichen Beigaben ausgestattet worden. im Rahmen von Nachforschungen unter der Leitung von T. Terberger und A. Kotula konnten 2014 zwei weitere Gräber im Umfeld aufgedeckt werden und zwar die Beisetzung eines jungen Mannes sowie eines Kleinkindes. Das Grab des jungen Mannes datiert deutlich jünger (5.000 v.Chr.) und das Individuum lebte in einer Zeit, als sich einige Kilometer östlich schon frühe Bauern der Linienbandkeramik niedergelassen hatten. Das Grab des etwa 25jährigen Mannes war in eine ältere Kinderbestattung eingetieft worden und hatte diese weitgehend zerstört. Der Mann wurde in ungewöhnlicher Form bestattet: der Leichnam wurde offensichtlich in aufrechter Position beigesetzt und das Grab erst nach dem Zerfall des Leichnams endgültig verschlossen. Über dem Grab wurde abschließend ein Feuer entzündet. Möglicherweise zeichnen sich für das außergewöhnliche Ritual östliche Kulturkontakte ab. Ein Flintschneidendolch aus der Mehrfachbestattung von 1962 findet hingegen Parallelen in Südskandinavien. 

Bislang sind vom Weinberg vier (oder fünf) Gräber mit neun Individuen bekannt. Verfärbungen weisen auf mindestens zwei weitere Bestattungen im Umfeld hin. Die Datierung der Gräber reicht von ca. 6.400 bis 4.900 calBC mit einer zeitlichen Lücke im 6. Jahrtausend. Damit liegen Bestattungen aus der Zeit vor und nach der Etablierung der ersten Bauern in der Uckermark vor. Die Skelettreste bieten sehr gute Voraussetzungen für naturwissenschaftliche Untersuchungen. 

Seit 2019 werden die Untersuchungen mit finanzieller Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft gemeinsam mit der Landesarchäologie Brandenburg (Franz Schopper) fortgesetzt. Weitere Partner sind die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (Thomas Schenk) und die Universität Kiel (Henny Piezonka). Umweltanalysen erfolgen durch Partner der Universitäten Greifswald (Sebastian Lorenz) und Kiel (Magdalena Wieckowska-Lüth); anhropologische Untersuchungen werden durch Bettina Jungklaus durchgeführt. Ergänzt werden die Analysen durch eine laufende Bachelorarbeit zur Umfeldanalyse sowie eine Masterarbeit zu den Tierzahnanhängern an der Universität Kiel. Mit dem DFG-Projekt sollen die vorliegenden Funde detailliert ausgewertet und weitere Gräber untersucht werden, um die räumliche Ausdehnung und die Laufzeit des Gräberfeldes zu erfassen sowie die Lebensverhältnisse der späten Jäger-Sammler vor und nach dem Beginn der Linienbandkeramik in Nordostdeutschland zu rekonstruieren. Der Fundplatz Groß Fredenwalde wird damit einen herausragenden Beitrag zur Erforschung der Phase der Neolithisierung in Mitteleuropa leisten. 

 

Neues vom Weinberg: Die Arbeiten des Jahres 2019

Im Jahr 2019 wurden im unmittelbaren Umfeld der bisherigen Grabungen weitere Flächen untersucht, um die Ausdehnung des kleinen Gräberfeldes weiter zu untersuchen. Bei Geländearbeiten im Mai durch die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (Leitung: Thomas Schenk) und der Universitäten Göttingen und Kiel im August/September (Leitung: Andreas Kotula/ T. Terberger/ H. Piezonka) wurde zunächst die Grasnarbe entfernt, wobei das Sediment von Beginn an systematisch durchgesehen wurde. So konnten schon umlagerte Knochenfragmente und sogar Tierzahnanhänger der 1962 entdeckten mesolithischen Bestattung geborgen werden. Die Grabungsfläche im Mai stellte sich rasch als Volltreffer heraus, und im Rahmen dieser Grabung konnte eine neue mittelsteinzeitliche Bestattung im Block geborgen werden. Die Blockbergung wird in der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin unter Laborbedingungen im Jahr 2020 freigelegt werden. Zwei weitere Bestattungen wurde am Rande der Grabungsfläche erfasst, die nach Keramikbeigaben in einen jüngeren prähistorischen Kontext gehören.

Ein benachbart angelegter Grabungsschnitt lieferte im August/September 2019 ebenfalls wertvolle Ergebnisse: unter der Grasnarbe zeigte sich eine Verfärbung, die nach und nach als weitere Grabgrube identifiziert wurde. Schließlich konnte unweit dieses Befundes eine weitere Verfärbung lokalisiert werden. Allem Anschein nach handelt es sich in diesem Fall um ein weiteres, durch landwirtschaftliche Tätigkeit teilweise gestörtes Grab. 

Mit den neuen Bestattungen konnte das DFG-Projekt zum Gräberfeld von Groß Fredenwalde bereits jetzt spektakuläre Ergebnisse erzielen. Die laborgenaue Präparation der Befunde wird im Mittelpunkt der archäologischen Untersuchungen 2020 stehen, die von umfassenden naturwissenschaftlichen Analysen begleitet werden: Dank sehr guter Erhaltungsbedingungen können neben der detaillierten anthropologischen Analyse auch Datierungen (C14-Methode), Herkunfts- und Ernährungsanalysen (Isotopen-Analysen) sowie auch paläogenetische Untersuchungen der neuen und alten Skelettreste erfolgen. Erstmals wird es damit möglich sein, die mittelsteinzeitliche Urbevölkerung Brandenburgs umfassend zu charakterisieren. Auch mit ersten Ergebnissen der Umweltrekonstruktion ist in 2020 zu rechnen. Dann wird sich zeigen, inwieweit die späten Jäger -Sammler -Fischer schon vor 7000 bis 8000 Jahren in die natürliche Landschaft der Uckermark eingegriffen haben. 

 

Literatur:

Gramsch, B. / Schoknecht, U., Groß Fredenwalde, Lkr. Uckermark – eine mittelsteinzeitliche Mehrfachbestattung in Norddeutschland. Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landesmuseum für Ur- und Frühgeschichte 34, 2000 (2003), 9-38.

Terberger, T./ A. Kotula/ S. Lorenz/ M. Schult/ J. Burger/ B. Jungklaus, Standing upright to all eternity – The Mesolithic burial site at Groß Fredenwalde, Brandenburg (NE Germany). Quartär 62, 2015, 133-153. 

Jungklaus, B./ A. Kotula/ T. Terberger,, Deutschlands ältestes Gräberfeld. Archäologie in Deutschland 5/2016, 8-13.

Jungklaus, B./ A. Kotula/ T. Terberger,, Überraschung auf dem Weinberg. Neue Forschungen zum mesolithischen Bestattungsplatz Groß Fredenwalde, Lkr. Uckermark. Archäologie in Berlin und Brandenburg 2013, 39-43.

Jungklaus, B./ A. Kotula/ T. Terberger,, Der mittelsteinzeitliche Bestattungsplatz auf dem Weinberg bei Groß Fredenwalde, Lkr. Uckermark. Mitteilungen des Uckermärkischen Geschichtsvereins zu Prenzlau 23, 2016, 4-14.

Jungklaus, B./ A. Kotula/ T. Terberger, New investigations on the Mesolithic burial of Groß Fredenwalde, Brandenburg – first results. In: J. Grünberg/ B. Gramsch/ J. Orschiedt (eds.), Mesolithic burials – Rites, symbols and social organisation of early postglacial communities (Halle 2017) 419-433.

 

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Abb. 1. Der Weinberg bei Groß Fredenwalde mit der Lage des mittelsteinzeitlichen  Gräberfeldes (Stern). Foto: J. Wacker, Wünstorf.



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Abb. 2. 1962 wurde auf dem Weinberg bei Groß Fredenwalde in der Uckermark bei Bauarbeiten eine mittelsteinzeitliche Mehrfachbestattung entdeckt. Die zunächst gerufene Polizei fertigte ein Foto der Auffindungssituation an. 



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Abb. 3. Groß Fredenwalde, Befund 1/ 4. Hier wurde der Leichnam eines jungen Mannes um 5.000 v.Chr. allem Anschein nach zunächst aufrecht an die Wand der Grabgrube gelehnt. Im Bild sind die später zerfallenen Skelettteile zu sehen. Foto: A. Kotula. 



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Abb. 4. Groß Fredenwalde, Befund 1/ 4. Im Profil der Bestattung sind die Beinknochen noch weitgehend im korrekten anatomischen Verband zu erkennen. Dies ist ein Hinweis auf die ursprünglich aufrechte Position des Leichnams. Grafik: B. Jungklaus/ T. Terberger. 



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Abb. 5. Das etwa ein Jahr alte Kleinkind wurde um etwa 6.400 v.Chr. mit Ocker bestreut beigesetzt. Das Grab spiegelt die Wertschätzung von Kleinkindern in der mittelsteinzeitlichen Gemeinschaft wider. Foto: T. Terberger. 



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Abb. 6. Das im Mai 2019 freigelegte Grab wurde im Grabungsschnitt mit einem Holzkasten fixiert und dann als Block nach Berlin gebracht, wo die Bestattung unter Laborbedingungen freigelegt wird. Foto Thomas Schenk.

 


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Abb. 7. Luftbild der Fläche im August/September 2019. Auch die Herbstgrabung ergab spektakuläre Ergebnisse: In der kleinen Grabungsfläche konnte eine weitere mesolithische Bestattung aufgedeckt werden. Foto Sebastian Lorenz.