Kunstwerk des Monats im August 2023

06. August 2023
„Who the hell is Nosadella?“. Die Geburt Johannes des Täufers von Giovanni Francesco Bezzi, genannt Nosadella
Vorgestellt von Lena Greinert


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Giovanni Francesco Bezzi, genannt Il Nosadella (* unbekannt, † 15.07.1571 Bologna)
Die Geburt Johannes des Täufers, 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts, Feder in Braun, braun laviert über Spuren einer Vorzeichnung in grauer Kreide, Quadrierung in Rötelkreide, oben 210 mm, unten 208 mm, rechts 283 mm, links 282 mm, Aufschrift verso unten rechts bez. unbekannt: „Gio[vanni] franc[esc]o da la Nosadella da bolog[na] – e[xtra] muros“ Stempel: „BIBL. R. ACAD. G. A.“ (beschnitten, recto, rechts unten), „Kupferstichsammlung der Universität Göttingen“ (verso, links unten) Wasserzeichen (linker unterer Bildrand, angeschnitten): Krone mit zweikonturigem Mittelzinken mit sich darunter befindlichen Ornamenten

Provenienz: Sammlung Johann Dominicus Fiorillo
Kunstsammlung der Georg-August-Universität Göttingen, Inv. Nr. H 313

Heute in Vergessenheit geraten, war Nosadella zu Lebzeiten gewiss einer der bedeutendsten Künstler Bolognas. Ein Zeugnis dafür ist dieses Blatt, wobei die Faszination in der meisterhaften Umsetzung des gezeigten Themas liegt: Nosadella gelingt es, Bewegung durch die energetischen Frauenfiguren zu erzeugen, wobei er gleichzeitig die ruhige, intime Atmosphäre der Wochenbettszene sichtbar macht. Ein weiterer Reiz des Blattes liegt in seiner virtuosen Ausführung der Plastizität der dargestellten Gegenstände. Die Zeichnung zeigt Nosadellas Auseinandersetzung mit den Vorbildern Michelangelo (1475–1564) und Parmigianino (1503–1540) und ist ein Musterbeispiel für den Manierismus in Norditalien des 16. Jahrhunderts im Umfeld Pellegrino Tibaldis (1527/1532–1596). Gab das Blatt bislang Rätsel auf, kann die Zuschreibung und die dargestellte Ikonographie nun mit Sicherheit bestimmt werden.
Obwohl die Zeichnung eine im Duktus des 16. Jahrhunderts eindeutig als zeitgenössisch erkennbare Aufschrift auf dem Verso aufweist, die ausdrücklich Nosadella als Schöpfer nennt, wurde dieser als solcher teilweise abgelehnt oder infrage gestellt.1 Diese Aufschrift, welche sogar den genaueren Wohnort des Künstlers benennt, stellt eine Ausnahme innerhalb der dokumentierten sowie der zugeschriebenen Werke dar und bekräftigt einmal mehr die Eigenhändigkeit Nosadellas für dieses herausragende Blatt.2 Ein weiterer dokumentarischer Hinweis, der die Lokalisation der Papierherstellung und auch die Bekräftigung des Arguments für die Urheberschaft liefern konnte, ist das am linken unteren Bildrand befindliche Wasserzeichen. Zwar angeschnitten, ist es dennoch als Krone mit zweikonturigem Mittelzinken und sich darunter befindlichen Ornamenten und somit als Wasserzeichen der Region Bologna identifizierbar.3 Ebenso unsicher wie die Zuschreibung war bisher die Ikonographie des Blattes. Bereits im Inventarbuch Fiorillos existieren zwei Einträge, die die Unsicherheit bezüglich des Figurenpersonals verdeutlichen: Nascità della Madonna, o pure di San Giovanni Battista unter Istoria sacra und unter Santi als Nascità di San Giovanni. Die Forschung lehnte bisher die Johannesgeburt ab oder betitelte die Szene unbegründet als Mariengeburt.4 Ausschließlich ein Katalogtext gab Argumente für die Interpretation der Szene als Mariengeburt: der „aufgerissene Himmel“, die „räuchernden und zuschauenden Engel“ sowie das Fehlen des Täfelchens in den Händen des alten Mannes am vorderen rechten Bildrand, welches ihn als Zacharias ausweisen würde, da dieser am Tag der Verkündigung seines Sohnes aus Unglaube mit Stummheit bestraft wurde und somit den Namen seines Sohnes nach dessen Geburt darauf notiert.5 Dass es sich eindeutig um die Geburt des Johannes handelt, wird allein durch die Ausgestaltung des Zacharias durch Verweisgesten, die Abwendung von dem Geschehen, den introspektiven Moment und die geschlossenen Augen sowie durch die biblische Erzählung, in die er eingebettet ist, kenntlich gemacht. Durch ihn verknüpft sich das Vorgeschehen mit der gezeigten Szene, wobei sich die betreffenden Bibelstellen in dieser Figur bildlich verdichten. In der Vorgeschichte (Lk 1, 1−22) wird erzählt, wie der Erzengel Gabriel dem Priester Zacharias während des Räucheropfers die Geburt seines Sohnes Johannes verkündet und dieser aufgrund seines Unglaubens darüber bis zur Geburt mit Stummheit bestraft wird. Somit bezieht sich das Thema des Räucherns, welches dreimal explizit Erwähnung findet, auf Zacharias. Der Verkündigungsengel wird dort direkt am Räucheropfer lokalisiert, was auf der Göttinger Zeichnung eine Anspielung darstellen könnte. Die gezeigte Szene verbildlicht Lk 1, 67−80: Zacharias wird vom Heiligen Geist erfüllt und stimmt darauf einen Lobgesang an. Folglich wird Zacharias in genau dem Moment gezeigt, in dem der Heilige Geist in ihn dringt, nachdem er den Namen seines Sohnes auf das Täfelchen schrieb. Auch auf anderen Gemälden wurde Zacharias ohne Täfelchen verbildlicht. Dass dies keine unbekannte Ikonographie darstellt, lässt sich beispielsweise an zwei Gemälden Tintorettos mit dem Thema Geburt Johannes des Täufers exemplifizieren.6 Die auf der Zeichnung aufgebrachte Quadrierung verrät, dass es sich um ein Modello für ein Fresko oder ein Altarbild handeln muss. Ob das Werk jemals ausgeführt wurde oder noch vorhanden ist, muss bis auf Weiteres offenbleiben. Ergänzend zu der Göttinger Zeichnung konnte im Louvre ein Blatt identifiziert werden, dessen Recto und Verso Entwurfszeichnungen mit Einzelfigurenstudien zeigt, die auf dem Göttinger Blatt neu angeordnet wieder auftauchen. Im Vergleich wird ersichtlich, dass Nosadella in mehreren Schritten seine Bildkomposition erarbeitete und diese ihre Ausformulierung in der Göttinger Kompositionsstudie findet: Die Geburtshelferin, die auf dem Recto der Louvre-Zeichnung direkt hinter der Gebärenden steht, findet auf der Göttinger Zeichnung ihre Position nun neben der heiligen Elisabeth. Die liegende Figur auf dem Verso des Louvre findet ihre Abwandlung in der Gebärenden sowie der Sitzfigur vor dem Bett, was den Entwurfsprozess von Komposition und Figurenanordnung veranschaulicht. Nach Serra stellt die Zeichnung nicht zwangsläufig eine erste vorbereitende Studie für das Göttinger Blatt dar, da der Körper der liegenden Figur durch ihre Muskulosität eher an einen Mann als an eine Frau erinnere. Serra merkt an, dass es nicht auszuschließen sei, dass der Künstler ein Repertoire an Figuren wiederverwendete, welches er im Laufe der Zeit an seine Aufträge anpasste.7 Dagegen spricht jedoch, dass die liegende Figur Recto wie Verso eindeutig eine weibliche Brust aufweist. Eine muskulöse Ausgestaltung des Frauenkörpers stellte im 16. Jahrhundert zudem keine Seltenheit dar und ist bei einem Künstler, der sich stark an Figurenauffassungen Michelangelos orientierte, kaum verwunderlich. Zudem wären die Hauben, die auf den Louvre-Blättern erkennbar sind und auch Wiederverwendung im Göttinger Blatt finden, unpassend und unangemessen für (sterbende) Soldaten, womit die betreffenden Figuren der Blätter ikonographisch identifiziert werden.8 Auch sprechen das bereits auf dem Recto vorhandene Bett sowie die Kinderkopfstudien und eine die Bettstatt richtende Assistenzfigur auf dem Verso für vorbereitende Studien. Möglich scheint auch, dass die auf den Louvre-Blättern befindlichen Figuren motivische Übernahmen aus dem Figurenrepertoire eines anderen Künstlers sind, die Nosadellas Auseinandersetzung mit Bildlösungen für seine Komposition zeigen. Die Göttinger Zeichnung demonstriert Nosadellas Ergebnis einer innigen Bildformulierung der Hilfeleistung im Kontext von Geburt innerhalb eines künstlerischen Entwurfsprozesses.

Der Vortrag ist Teil des Begleitprogramms zur Ausstellung „Werk|Prozesse. Italienische Handzeichnungen des 15. bis 18. Jahrhunderts in der Kunstsammlung der Universität Göttingen“, die vom 16. April bis 20. August 2023 zu den regulären Öffnungszeiten der Kunstsammlung besichtigt werden kann.




1Ausst. Kat. Hildesheim 1993, Kat. 97, S. 238 (Jochen Wagner).
2Diese Angaben bezeugen eine genauere Kenntnis über den Künstler. So bezeichnet extra muros, dass der Wohnort Nosadellas außerhalb der (Stadt-)Mauern gelegen hat. Die Tatsachen, dass Nosadella bereits seit dem 13. Jahrhundert als Gebiet dokumentarisch greifbar wird und der Zusatz „Via“ innerhalb Bolognas erst 1878 erfolgte, belegen Nosadellas Wohnort. Pelagalli 2018 sowie https:// www.storiamemoriadibologna.it/nosadella-2088-luogo [letzter Zugriff: 02.02.2023]. Ich bedanke mich herzlich bei Martin Raspe für seine Hilfe bei der Transkription und für Anregungen.
3In der Datenbank sind vier Wasserzeichen dieser Art für die Kommune Bologna verzeichnet, die dem der Göttinger Zeichnung ähneln. Siehe hierzu: https://www.piccardonline.de/detailansicht.php?PHPSESSID=&klassi=001.001.001.002.002&ordnr=51150&sprache= [letzter Zugriff: 02.02.2023].
4Nascità della Madonna, o pure di San Giovanni Battista unter Istoria sacra unter Testamento nuovo unter Santi als Nascità di San Giovanni unter Testamento nuovo. Fiorillo 1784ff, fol. 17r, Nr. 38a. Dass zwei Einträge auf das bezeichnete Blatt zutreffen könnten, wurde bereits erkannt, was auf dem ausgewechselten Karton von 1977/78 (Bildakte zu H 313) ersichtlich ist. Die Zuschreibung als Nascità di San Giovanni, welche sich hinter „Inv. S. 17, Nr. 38 a“ verbirgt, wurde darauf klar abgelehnt. Hier stellt sich die Frage, wie die Einträge Fiorillos interpretiert wurden. Denn zum einen könnten die Einträge bedeuten, dass sich in der Sammlung zwei Handzeichnungen mit den genannten Darstellungen befinden, zum anderen gibt es die Möglichkeit, dass Fiorillo „Doppeleinträge“ unter verschiedenen ikonographischen Zuordnungen machte. Die Ablehnung für Nascità di San Giovanni auf dem Karton erfolgte, nach Einschätzung der Autorin daraus, dass die Darstellung in der Forschung ausschließlich als Geburt der Maria interpretiert wurde. Wille 1965, S. 15 und 1966, o. S., Valentiner 1933, S. 131, Wagner 1993, S. 238 sowie der Eintrag in der Bildakte vom 06.10.1998.
5Vgl. Wagner 1993, S. 238.
6Tintoretto, Geburt Johannes des Täufers, 1550er, St. Petersburg, Neue Eremitage, Inv. Nr. ГЭ-17 und Tintoretto, Geburt Johannes des Täufers, datiert 1550er/1563, Venedig, Sankt Zacharias, Sankt Atanasio-Kapelle.
7Persönliche Korrespondenz mit Serra am 15.07.2021. Ich bedanke mich herzlich für den Austausch und die Informationen. Im September 2022 erschien Serras Katalog zu den bolognesischen Zeichnungen des 16. Jahrhunderts im Louvre (Dessins bolonais du xvie siècle. Musée du Louvre, département des Arts graphiques (Inventaire général des dessins italiens, 12 ; Paris 2022), welche von einer Ausstellung begleitet wurde (Dessins bolonais du XVIe siècle dans les collections du musée du Louvre (22.09.2022–16.01.2023).
8Die Identifikation der Figuren als Frauen durch die Autorin wurden leider erstmals ohne Hinweis auf die vorausgehende Korrespondenz publiziert durch Roberta Serra in Serra 2022, S. 230–231, Nr. 274.