15/11/2011: Erosion tariflicher Regulierung in der Callcenter-Branche
Die Callcenter-Branche boomt – und mit ihr die Niedriglohnbeschäftigung, da der Anteil der Geringverdiener in Callcentern mittlerweile überdurchschnittlich hoch ist (siehe 11.10.2011) und die Politik keinen Anlass sieht, einen Mindestlohn für Callcenter-Beschäftigte zu beschließen (siehe 07.07.2011). Eine zentrale Ursache für die prekäre Entwicklung in der Branche liegt nach Ergebnissen einer Untersuchung des Soziologen Hajo Holst in der von einer Fragmentierung der Arbeitsbeziehungen verursachten Ausweitung der tariflosen Arbeitsbedingungen.
Wie einer Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) zu entnehmen ist, habe Holst in seiner Untersuchung die Entwicklung des Wirtschaftszweigs vor allem unter dem Aspekt unter die Lupe genommen, wie sich die Arbeitsbeziehungen verändert hätten. Dabei habe er zeigen können, wie erhöhter Konkurrenzdruck und schwindende Verhandlungsmacht zur Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse beigetragen habe. Denn während die ersten, überwiegend als interne Einheiten von Großunternehmen eingerichteten Callcenter noch fest in die Flächentarifverträge und Interessenvertretungsstrukturen verschiedener Ursprungsbranchen integriert gewesen seien, fände sich heute ein Nebeneinander von Haustarifverträgen unterschiedlichster Entlohnungsniveaus und nicht-tarifgebundenen Betrieben.
Als Resultat der Entwicklung fehlten der Callcenter-Branche überbetriebliche Mindeststandards. Nur jedes achte Callcenter sei noch durch einen Flächentarifvertrag erfasst. Durch tariflose Konkurrenz gerieten Entlohnung und Arbeitsbedingungen von Telefonisten unter Druck, die früher zu den vergleichsweise guten Konditionen großer Konzerne gearbeitet hätten.
Quellen: HBS-Pressemitteilung vom 15.11.2011
Böckler Impuls, Ausgabe 17/2011: Callcenter: Boom schwächt Tarifstandards.
Weiterlesen: Holst, H. (2011): Fragmentierung überbetrieblicher Arbeitsbeziehungen – Tarifverträge und gewerkschaftliche Interessenvertretung in Callcentern. In: WSI-Mitteilungen, 64. Jg., H. 10, S. 511-518.