Filme im Grenzbereich


Göttinger Studenten diskutieren Kino kontrovers

Ganztägiges Kolloquium am 8. Juli 2011 im ZHG 007, Beginn: 9 Uhr


"Die erfolgreiche mediale Grenzüberschreitung untergräbt niemals Moral schlechthin, sondern bricht Regeln, um andere moralische Normen zu stärken." (Panagiotis Trakaliardis, ZDF)

Mit freundlicher Unterstützung des Fachschaftsrates Jura fanden sich am Freitagmorgen, dem 8. Juli 2011, 25 aktive und ehemalige Studentinnen und Studenten der Rechtswissenschaften und benachbarter Fachrichtungen im ZHG 007 ein, um unter der Leitung von Dr. Murad Erdemir Kino kontrovers zu diskutieren. Das ganztägige Kolloquium zum Thema "Filme im Grenzbereich", das infolge anhaltender Diskussionsbereitschaft erst am späteren Abend gegen 21 Uhr sein Ende fand, sollte einen Eindruck über die mögliche Interpretations- und Meinungsvielfalt im Bereich von Filmfreigabe und Filmverbot vermitteln. Dabei wurden die Hintergründe von Distributionsbeschränkungen und Verboten anhand einschlägiger aktueller Werke wie auch solcher der Filmgeschichte, die nach ihrem Erscheinen nicht nur Beifall, sondern auch Abscheu oder Empörung hervorriefen und in ihrer Zeit zum Skandal wurden, vor allem aus rechtswissenschaftlicher Sicht beleuchtet und diskutiert.

Am Vormittag wurden die Filme SAW V UNRATED (2008) und IRREVERSIBEL (2002) in ihrer jeweils integralen Fassung gezeigt. Gegenstand der sich anschließenden Referate und Diskussionen am Nachmittag waren über die vorgenannten Titel hinaus die Filmwerke 9 SONGS (2004) und IM REICH DER SINNE (1976).

Besonders hervorgehoben wurde von den Teilnehmern die Notwendigkeit, Jugendschutz und Strafrecht in die gebotene praktische Konkordanz mit der Film- und Kunstfreiheit zu bringen. Zudem sei Film immer auch das Medium der Provokation gewesen. Insoweit gelte es, so genannte Skandalfilme und Tabuverletzungen im Besonderen im Lichte der Meinungs- und Informationsfreiheit zu betrachten.

Die von den Teilnehmern durchweg sehr positiv aufgenommene Veranstaltung soll im kommenden Wintersemester 2011/2012 mit Filmen wie EIN ANDALUSISCHER HUND, DIE PASSION CHRISTI, MANN BEISST HUND und HOSTEL fortgesetzt werden. Zudem ist in Aussicht genommen, die schriftlichen Ausarbeitungen der Referentinnen und Referenten in einem Band zu veröffentlichen.




Impressionen von der Veranstaltung


SAW V UNRATED

Referenten: Sebastian Menzel, Christoph Pansegrau und Dirk Schuster

Im Zentrum der kontroversen Diskussion um die SAW-Filme steht SAW V UNRATED (2008) von David Hackl. Die Referenten Sebastian Menzel, Christoph Pansegrau und Dirk Schuster betrachteten zunächst die Genreeinordnung dieser Filme. Deren Titulierung als "torture porn" sei nicht nur begrifflich unpassend, sondern berge darüber hinaus auch die Gefahr, eine Fehlvorstellung von deren Inhalt hervorzurufen. Darüber hinaus lasse sich SAW V UNRATED nicht ohne weiteres unter die zudem verfassungsrechtlich bedenklichen Bestimmungen der §§ 131 StGB und 15 Abs. 2 Nr. 3a JuSchG subsumieren. Weitere Problemfelder wie die Frage nach der Reichweite des Gutglaubensschutzes von Gutachten der Juristenkommission der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO/JK) wurden anhand der Darstellung des rechtlichen "Werdegangs" von SAW V UNRATED mit dem Publikum diskutiert.

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IRREVERSIBEL

Referent: Fritz Pieper

IRREVERSIBEL von Gaspar Noé ist seit seinem Erscheinen im Jahre 2002 ein ebenso hochumstrittener wie heiß diskutierter Film. Das setzte sich auch in dem Vortrag von Fritz Pieper fort, der den Titel "Irreversibel - Rechtliche Bewertung und Gesamtwürdigung" trug. Insbesondere der zentrale Aspekt der "Gesamtwürdigung" im Rahmen von Filmbewertungen, hierbei vor allem die durch die dramaturgische Einbindung in eine Gesamtaussage vermittelte Einstellung zur Gewalt, wurde dabei kritisch beleuchtet. Die sich anschließende Debatte mit den Zuhörern verlief teilweise zwar ausgesprochen kontrovers, brachte aber gerade deshalb aufschlussreiche Ergebnisse zu Tage.

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9 SONGS

Referent: Thomas Stiefler

Der Film 9 SONGS (2004) von Michael Winterbottom zeigt die Sexualität und das Beziehungsleben der Protagonisten in einer ebenso realistischen wie expliziten Weise. Thomas Stiefler diskutierte an seinem Beispiel das Verhältnis von Realismus und Pornografie im Sinne des Strafgesetzbuchs. Kann ein solch realistisch anmutender Film tatsächlich keine Pornografie sein?

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IM REICH DER SINNE

Referent: Matti Rockenbauch

Anhand des aus jugendschutzrechtlicher Sicht berühmt-berüchtigten Filmklassikers IM REICH DER SINNE (1976) von Nagisa Oshima referierte Matti Rockenbauch über Pornografie. In Bezug auf den Film kam er zu dem Ergebnis, dass dieser trotz expliziter Darstellungen aus heutiger Sicht in keiner Weise pornografisch anmutet, sondern sich vielmehr differenziert mit den Themen Sex und Sexualität auseinandersetzt. Angeregt von einem Grundmotiv des Films überraschte der Referent Dozent und Publikum schließlich mit der These, dass der Voyeurismus ein zentrales Element des Pornografiebegriffs und die Verhinderung voyeuristischer Neigungen dementsprechend die zentrale Schutzrichtung des Pornografieverbots darstelle.

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Danksagung

Dr. Murad Erdemir dankt dem Fachschaftsrat Jura der Georg-August-Universität Göttingen für die freundliche Unterstützung im Zusammenhang mit Vorbereitung und Ausführung der Veranstaltung, der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft GmbH (FSK) und der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) für die freundliche Aushändigung von Jugend- und Indizierungsentscheiden sowie der Kinowelt Home Entertainment und der Alamode Filmdistribution für die freundliche Genehmigung zur integralen Vorführung der Filme SAW V UNRATED und IRREVERSIBEL. Dank gebührt schließlich Herrn Rechtsanwalt Heiko Wiese für die freundliche Unterstützung bei der Kontaktaufnahme mit der Alamode Filmdistribution.