Prof. Dr. Peter Van Nuffelen
Von Oktober 2012 bis März 2013 und von Mai bis Juli 2013
Dr., Professor für Alte Geschichte
Universiteit Gent, Belgien
Studium der Alten Geschichte und Philosophie in Leuven, Thessaloniki und
Louvain-la-Neuve
Forschungsvorhaben
Ritualisierte Kommunikation in der Spätantike und das Briefkorpus von Kaiser Julian
Das Wesen und das Funktionieren des spätantiken Staates werden häufig mit dem Hinweis auf die Verwaltung und die Gesetzgebung bestimmt. Dadurch entsteht der Eindruck, dass der spätantike Staat mit den modernen, bürokratischen Staaten vergleichbar sei. Die Ausübung der Macht in der Öffentlichkeit und die Werte, die damit ausgedrückt werden, seien demnach »Repräsentation« und »Ideologie«. Im Rahmen dieses Projekts konzentriere ich mich auf die öffentliche Dimension und werde untersuchen, wie Gewalt im spätantiken Staat ausgeübt, bestritten, gewonnen und verloren wurde in öffentlicher Interaktion zwischen Herrscher und Untertan. Drei Phänomene sind in diesem Projekt zentral: öffentliche Petitionen, Prozessionen und Aufruhr. Es wird versucht darzulegen, dass diese öffentlichen »Rituale« eine Kommunikation zwischen hierarchisch Höhergestellten und Untergeordneten herstellen wie z. B. zwischen Kaiser und Volk, Statthalter und Volk sowie zwischen Bischof und Gläubigen. Solche Rituale erzeugen eine Bedeutung, die sich geographisch niederschlägt (d. h. bestimmte
Orte werden mit bestimmten Ritualen identifiziert) und die darüber hinaus mit bestimmten Handlungen identifiziert wird (d. h. bestimmte Gesten haben eine bestimmte Bedeutung). Solche vorgegebenen Bedeutungen konnten dann durch das Volk aufgegriffen und in »Spiegelritualen« ausgedrückt werden. Die Rituale drücken einen Wertkanon aus, d. h. sie interagieren mit einer öffentlichen Moral, nach welcher der Herrscher sich richten sollte, wenn er nicht die Sympathie des Volkes verlieren möchte. Aus dieser Perspektive gesehen verliert der traditionelle Unterschied zwischen Gewaltausübung und Ideologie seine Bedeutung.
Die Briefe Kaiser Julians, des sogenannten Apostats (361-363 n. Chr.), bieten eine einmalige Einsicht in sein politisches und persönliches Leben. Zugleich bereiten sie aber große Probleme: Es gibt keine einzige Sammlung und viele Briefe scheinen separat zirkuliert zu sein; es finden sich unter den Briefen viele Fälschungen und in manchen Fällen ist nicht klar, ob es sich um eine Fälschung handelt oder nicht; oft benutzt als historische Quellen sind die Briefe nur selten in ihrem spätantiken rhetorischen oder epistolographischen Kontext gelesen worden.
Dieses Projekt kombiniert eine literarische (L. Van Hoof) und eine historische (P. Van Nuffelen) Untersuchung der Briefe im Hinblick auf ein zweifaches Ziel. Einerseits werden die Genese und Entwicklung der »Sammlung« untersucht. Diese lassen sich nur innerhalb des Streits um das Bild des Kaisers zwischen Christen und Heiden verstehen, der schon sehr früh zu Fälschungen
führte. Andererseits sollen die individuellen Briefe als rhetorisch konstruierte literarische Artefakte verstanden werden. Innerhalb der Sammlung werden sie in einen gewissen Kontext gezwungen und laufen dadurch Gefahr, einen tendenziösen Eindruck zu vermitteln. Damit ihre ursprüngliche Bedeutung klar wird, sollte man sie innerhalb ihres literarischen und sozialen Kontexts lesen.
Ausgewählte Publikationen
Van Nuffelen, P. 2004. Un héritage de paix et de piété. Étude sur les Histoires ecclésiastiques de Socrate et de Sozomène (Orientalia Lovaniensia Analecta 142). Leuven – Paris – Dudley (MA): Peeters.
Mitchell, S. and P. Van Nuffelen (eds.) 2010. One God. Pagan Monotheism in the Roman Empire (1st-4th cent. A.D.). Cambridge: Cambridge University Press.
Van Nuffelen, P. 2011. Rethinking the Gods. Philosophical Readings of Religion in the Post-Hellenistic Period. Cambridge: Cambridge University Press.
Van Nuffelen, P. 2012. Orosius and the Rhetoric of History. Oxford: Oxford University Press.
Van Nuffelen, P. 2012. »Playing the ritual game in Constantinople under the Theodosian dynasty« in L. Grig and G. Kelly (eds.): Two Romes: from Rome to Constantinople. Oxford: Oxford University Press, pp. 183-200.