13/11/2013:
Einkommensungleichheit steigt und verfestigt sich

Untersuchungen von Wissenschaftlern des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge war das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends eine Dekade der Einkommenspolarisierung und der zunehmenden sozialen Ungleichheit. Zwischen 2000 und 2009 hatten immer mehr Menschen nur noch niedrige Einkommen erzielen können, während gleichzeitig die Gruppe der Wohlhabenden gewachsen war (siehe 16.06.2010 und 27.01.2011). Nachdem die DIW-Forscher für das Jahr 2010 erstmals nach Jahren eine Abschwächung der Einkommenspolarisierung feststellen konnten und darin bereits Anzeichen für eine einsetzende Kehrtwende sahen (siehe 25.10.2012), müssen sie nun für das Jahr 2011 konstatieren: der „Rückgang der Einkommensungleichheit stockt“.

Nach Auswertung von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zur Entwicklung der personellen Einkommensverteilung stellen Markus M. Grabka und Jan Goebel in ihrer aktuellen Studie fest, dass die Einkommensungleichheit 2011 wieder angestiegen ist. Laut Pressemitteilung des DIW machten die Autoren dafür die wieder gewachsene Ungleichheit der Erwerbseinkommen, vor allem die gestiegene Ungleichheit der Kapitaleinkommen verantwortlich. Die verfügbaren Haushaltseinkommen hätten sich in den Jahren 2000 bis 2011 sehr unterschiedlich entwickelt: Die höchsten Einkommen (oberstes Dezil) seien um 13 Prozent gewachsen, auch das neunte und achte Dezil hätte drei bis vier Prozent Einkommenszuwächse erzielen können. Im siebten bis fünften Dezil hätten die Einkommen stagniert, und im vierten bis ersten Dezil (den untersten Einkommensgruppen) habe es Einkommensrückgänge von bis zu fünf Prozent gegeben.

Die Autoren haben erstmals auch die Entwicklung der Einkommensmobilität, die den Auf- oder Abstieg einzelner Personengruppen in der Einkommenshierarchie beschreibt, untersucht. Nach Angaben des DIW habe sich gezeigt, dass die Einkommensmobilität seit der Wiedervereinigung deutlich zurückgegangen sei. So sei die Mobilität an den Rändern der Einkommensverteilung Mitte der neunziger Jahre höher gewesen als in den 2000er Jahren. Hätten sich im Jahr 1994 44 Prozent der damals einkommensarmen Personen drei Jahre später noch in der gleichen Position befunden, so sei ihr Anteil im Zeitraum zwischen 2008 und 2011 auf 54 Prozent gestiegen. Die Chance, innerhalb eines Vierteljahres aus dem Armutsrisiko zu entkommen, sei damit in den vergangenen Jahren um zehn Prozentpunkte auf 46 Prozent gesunken.

Ganz ähnliche Ergebnisse liefert der zeitgleich veröffentlichte Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Wie das WSI in einer Pressemeldung dazu schreibt, seien die Einkommen in Deutschland heute deutlich ungleicher verteilt als vor zehn oder 20 Jahren. Besonders stark habe sich die Schere zwischen 2000 und 2005 geöffnet. Es gebe zwar Hinweise darauf, dass die Ungleichheit seitdem wieder etwas abgenommen habe, doch eine echte Trendwende sei noch nicht erreicht.

Laut Verteilungs-Studie des WSI, für die ein Wissenschaftlerteam zahlreiche nationale und internationale Statistiken ausgewertet und verschiedene Indikatoren berechnet habe, hätten sich in letzter Zeit einige positive Tendenzen ergeben, von denen die ärmeren Menschen in diesem Land bislang aber kaum profitiert hätten. So habe der Abstand zwischen hohen und niedrigen Löhnen nach Beobachtung der Wissenschaftler seit 2008 erneut zugenommen. Die Armutsquote sei im gleichen Zeitraum mit einer Ausnahme im Jahr 2010 kontinuierlich gestiegen.

Quellen:
Pressemitteilung des DIW vom 13.11.2013
Pressemitteilung des WSI vom 13.11.2013

Weiterlesen:
Grabka, M./ Goebel, J. (2013): Rückgang der Einkommensungleichheit stockt. DIW Wochenbericht, 80. Jg., Nr. 46, S. 13-23.

Unger, B./ Reinhard Bispinck, R. u.a. (2013): Verteilungsbericht 2013: Trendwende noch nicht erreicht. WSI Report, Nr. 10, November 2013.