DFG-Projekt: „Messinstrumententwicklung, Modellierung und Validierung einer BNE-Teilkompetenz zur quantifizierenden Bewertung von Handlungsoptionen“
Antragstellerin, Projektleitung
Prof. Dr. Susanne Bögeholz
Projektbearbeitung
M. Sc. Marko Böhm
Laufzeit der DFG-Förderung
Februar 2015 - Juli 2017
Projektkennung
DFG-Projektnummer 269269181
Kurzbeschreibung des Projektes und Motivation der Forschung
Das Forschungsvorhaben fundiert empirisch zwei Teilkompetenzen von Bewertungskompetenz: Quantitatives Modellieren (auch als Quantitatives Bewerten bezeichnet in Bögeholz et al., 2018) und Perspektivenwechsel vollziehen (Böhm et al., 2020). Beide Teilkompetenzen kristallisierten sich durch IRT-Modellierungen von "Lösungsansätze umwelt- und institutionenöko-nomisch analysieren und reflektieren" (vgl. Bögeholz & Barkmann, 2014; Bögeholz et al., 2014; Böhm et al., 2016) heraus. Durch Quantitatives Modellieren und Perspektivenwechsel vollziehen wird das Göttinger Modell der Bewertungskompetenz weiter ausdifferenziert (Böhm et al., 2020).
Anknüpfungspunkte des Projektes waren folgende Desiderata von Forschung zu Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE): Stärkeres Einbeziehen der ökonomischen Dimension in BNE (vgl. Schreiber & Siege, 2016; Rieß, 2013; de Haan et al., 2008) und Operationalisierung BNE-spezifischer Kompetenzen zur Analyse von Lernausgangslagen bzw. Learning Outcomes.
Die Behandlung von Lösungsmöglichkeiten für den Schutz und eine nachhaltige Nutzung der Biodiversität und für eine Eindämmung des Klimawandels werden als zentrale Herausforderungen für BNE angesehen (vgl. DUK, 2011). Nicht nachhaltige Landnutzungsänderungen und Ressourcennutzungen sowie der anthropogen bedingte Klimawandel sind hoch komplexe Socioscientific Issues. Sie erfordern eine fächerübergreifende bzw. fächerverbindende Bearbeitung – bei verstärkt auch ökonomischen Betrachtungen (vgl. DUK, 2011, 75). Der gesellschaftliche Diskurs um komplexe Handlungs- bzw. Politikoptionen in Fragen Nachhaltiger Entwicklung nutzt zunehmend quantitativ-formalisierte Methoden der naturwissenschaftlichen wie der sozio-ökonomischen Folgenabschätzung. Trotz ihrer großen realweltlichen Bedeutung für die Analyse von Handlungsoptionen, wurden diese Methoden in der Kompetenzforschung wenig berücksichtigt. An dieser Stelle setzte das vorliegende Projekt an.
Projekt – Ziele, Methoden, Ergebnisse und Schlussfolgerungen
Ziel der Forschung war es, das theoretisch hergeleitete Kompetenzkonstrukt "Lösungsansätze umwelt- und institutionenökonomisch analysieren und reflektieren" (LUR, vgl. Bögeholz & Barkmann, 2014; Bögeholz et al., 2014; Böhm et al., 2016) empirisch zu fundieren. Dazu wurde ein reliables und valides Messinstrument entwickelt. Überprüft wurde in der Folge, inwiefern sich LUR als ein- bzw. mehrdimensional modellierbar erweist (Böhm et al., 2016, 2020). Zudem wurde untersucht, inwiefern sich die aus den IRT-Modellierungen ergebenen LUR-bezogenen Teilkompetenzen als trennscharf gegenüber einer qualitativ-argumentativen Evaluation von Handlungsoptionen (Teilkompetenz „Bewerten, Entscheiden und Reflektieren“ in Eggert & Bögeholz, 2010, 2014 – Spezifikation: „Qualitatives Argumentieren“ als Kurzfassung im Folgenden) im Rahmen von Bewertungskompetenz erweisen (Böhm et al., 2020). Weitere Validierungen erfolgten mit zu Bewertungskompetenz verwandten Konstrukten.
Das den Modellierungen zu Grunde liegende Messinstrument (Bögeholz, 2014; Böhm et al., 2016, 2020) greift inhaltlich Socioscientific Issues mit Bezug zu den Sustainable Development Goals „life on land“, „life below water“ und „climate action“ auf – drei zentrale BNE-relevante Handlungsfelder. Die Hauptstudie (N = 760) erfolgte als Fragebogenuntersuchung mit Schüler*innen (9.-12. Klasse) und Lehramtsstudierenden der Fächer Biologie, Erdkunde und Politik-Wirtschaft im Querschnitt.
Die Kompetenzmodellierungen zeigten, dass LUR – wie auch schon in der Vorstudie (Böhm et al., 2016) – erfolgreich eindimensional modellierbar ist (Böhm et al., 2020). Eine zweidimensionale Modellierung mit dem Partial Credit Modell (PCM, Masters, 1982) verfügt jedoch über eine bessere Passung auf die empirischen Daten. Die beiden resultierenden LUR-bezogenen Teilkompetenzen umfassen „Bewerten, Entscheiden und Reflektieren – Quantitatives Modellieren“ (kurz: Quantitatives Modellieren) und „Perspektivenwechsel vollziehen“ (Böhm et al., 2020). Quantitatives Modellieren inkludiert mathematisches Modellieren von Lösungen für realweltliche Umweltprobleme für eine begründete Entscheidungsfindung unter Berücksichtigung ökonomischer Konzepte. Perspektivenwechsel vollziehen umfasst den Perspektivenwechsel unter Berücksichtigung von Normen und Werten einer Nachhaltigen Entwicklung.
Des Weiteren wurde festgestellt, dass Quantitatives Modellieren und Perspektivenwechsel vollziehen sich gegenüber einer qualitativ-argumentativen Evaluation von Handlungsoptionen (Qualitatives Argumentieren (s.o.) als eigenständige Teilkompetenzen im Rahmen des Göttinger Modells der Bewertungskompetenz erwiesen (Böhm et al., 2020). Eine dreidimensionale Model-lierung der drei aufgeführten Teilkompetenzen des Göttinger Modells brachte folgende latente Korrelationen hervor: 0.70 für Quantitatives Modellieren und Perspektivenwechsel vollziehen; 0.47 für Quantitatives Modellieren und Qualitatives Argumentieren; 0.66 für Perspektivenwechsel vollziehen und Qualitatives Argumentieren (Böhm et al. 2020, 14). Die Zusammenhangsstruktur von Quantitativem Modellieren und Perspektivenwechsel vollziehen mit verwandten Konstrukten wie beispielsweise ökonomische und mathematische Kompetenzen sowie Prob-lemlösekompetenzen sind plausibel erklärbar und im nomologischen Netzwerk verortbar. Detaillierte Informationen dazu sind in Böhm et al. (2020) abgedruckt.
Die Ergebnisse des Projektes bieten vertiefte Einblicke in Konstruktvalidierungen von Teilkompetenzen von Bewertungskompetenz im Kontext Nachhaltiger Entwicklung. Dabei wird das Göttinger Modell der Bewertungskompetenz mit den beiden Teilkompetenzen Quantitatives Modellieren und Perspektivenwechsel vollziehen – nebst Qualitatives Argumentieren, Generieren und Reflektieren von Sachinformationen sowie Verstehen und Reflektieren von Werten und Normen weiter ausdifferenziert vgl. Bögeholz et al., 2018; Böhm et al., 2020). Quantitatives Modellieren greift ein wichtiges Desiderat auf: Komplexe, gesellschaftlich diskutierte Handlungs- bzw. Politikoptionen zu Fragestellungen Nachhaltiger Entwicklung, die ökonomische Betrachtungen einbeziehen, sollten in der Bildungsforschung und -praxis bearbeitet werden (vgl. DUK, 2011). Bei Perspektivenwechsel vollziehen handelt es sich nicht nur um eine konzeptionell wichtige und curricular relevante Kompetenzdimension von BNE, sondern auch für Bewertungskompetenz in den naturwissenschaftlichen Fächern. Die zentrale Bedeutung wurde erst jüngst im Rahmen der Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife für die naturwissenschaftlichen Fächer (Biologie, Chemie, Physik) mehrfach explizit bestärkt (KMK, 2020).
Publikationen zum Projekt
Artikel
Böhm, M.*, Barkmann, J., Eggert, S., Carstensen, C. H., & Bögeholz S.* (2020). Quantitative Modelling and Perspective Taking: Two Competencies of Decision Making for Sustainable Development. Sustainability, 12(17):6980. [* Böhm and Bögeholz are shared first-authors]
Bögeholz, S., Hößle, C., Höttecke, D., & Menthe, J. (2018). Bewertungskompetenz. In Krüger, D., Parchmann, I. & Schecker, H. (Hrsg.), Theorien in der naturwissenschaftsdidaktischen Forschung( (S. 261-281). Berlin: Springer Spektrum.
Böhm, M., Eggert, S., Barkmann, J., & Bögeholz, S. (2016). Evaluating Sustainable Development solutions quantitatively: Competence modelling for GCE and ESD. Citizenship, Social and Economics Education, 15(3), 190-211.
Bögeholz, S., Böhm, M., Eggert, S., & Barkmann, J. (2014). Education for Sustainable Development in German Science Education: Past - Present - Future. Eurasia Journal of Mathematics, Science & Technology Education, 10(4), 231-248.
Beiträge in Tagungsbänden
Bögeholz, S., & Barkmann, J. (2014). ‘… to help make decisions’: A challenge to science education research in the 21st century. In I. Eilks, S. Markic & B. Ralle (Eds.), Science Education Research and Education for Sustainable Development (pp. 25-35). Aachen: Shaker Verlag.
Böhm, M., Barkmann, J., Eggert, S., & Bögeholz, S. (2013). Umwelt- und institutionenökonomische Analyse und Reflektion von Lösungsansätzen für Herausforderungen des Biodiversitätsschutzes – Ein Beitrag zum Göttinger Modell der Bewertungskompetenz. In: Feit, U. & Korn, H. (Hrsg.) - Treffpunkt Biologische Viel-falt XII - Interdisziplinärer Forschungsaustausch im Rahmen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt - BfN-Skripten 335. Bonn, Bad-Godesberg: Bundesamt für Naturschutz (BfN), S.123-131.
Barkmann, J., Böhm, M., Eggert, S., Kaminski, H., Koch, S., Malz, S., Marggraf, R., Schnell, C., Sundawati, L., & Bögeholz, S. (2012). Environmental and institutional economics education: A challenge for Education for Sustainable Development. In: Daub, C.-H., Burger, P, Scherrer, Y. M. & Frece, J. T. (Eds.), Strategies for Sustainability: Institutional and Organisational challenges. Proceedings of the 3rd International Sustainability Conference, 29-31 August 2012, Basel, Switzerland, pp. 184-187.
Vorträge
Böhm, M., & Bögeholz, S. (2019). Quantitatives Bewerten und Perspektivenwechsel vollziehen - zwei empirisch valide Kompetenzdimensionen von Bewertungskompetenz im Kontext Nachhaltiger Entwicklung. Vortrag auf der Internationalen Jahrestagung der Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik (GDCP) und der Fachsektion Didaktik der Biologie (FDdB im VBio): "Naturwissenschaftliche Kompetenzen in der Gesellschaft von morgen", 9.-12. September 2019, Universität Wien.
Böhm, M., Barkmann, J., Eggert, S., & Bögeholz, S. (2017). Quantitative Evaluation von Lösungsvorschlägen als ein Bestandteil von Bewertungskompetenz für Gestaltungsaufgaben Nachhaltiger Entwicklung. Vortrag auf der 21. Tagung der Fachsektion der Didaktik der Biologie (FDdB) im VBIO: "Biologiedidaktik als Wissenschaft", 11.-14. September 2017, Universität Halle.
Böhm, M., Barkmann, J., Eggert, S., & Bögeholz, S. (2017). Bewertungskompetenz für nachhaltiges Entscheiden und Handeln in realweltlichen, gesellschaftlichen Herausforderungen. Vortrag auf der 5. Tagung der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF): "Durch Bildung gesellschaftliche Herausforderungen meistern", 13.-15. März 2017, Universität Heidelberg.
Böhm, M., Barkmann, J., Eggert, S., & Bögeholz, S. (2016). Kompetenzmodellierung zu "Lösungsansätze umwelt- und institutionenökonomisch analysieren und reflektieren". Vortrag auf der 4. Jahreskonferenz der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF): "Erwartungswidriger Bildungserfolg über die Lebensspanne", 7.-11. März 2016, Freie Universität Berlin.