Neuerscheinung: 1. Halbband 2018 des SAECULUM

68. Jahrgang (2018), 1. Halbband

Cover SAECULUM 2018/1

Beiträge

Peter Haslinger und Dirk van Laak: Sicherheitsräume. Bausteine zu einem interdisziplinären Modell
Der spatial turn ist seit nunmehr 20 Jahren in der Geschichtswissenschaft präsent. Dennoch ist das theoretische Reflektieren über die räumlichen Dimensionen von Sicherheit noch wenig entwickelt - auch da das Paradigma Sicherheit erst seit wenigen Jahren in den Fokus der historischen Forschung gerückt ist. Dieser Beitrag setzt sich daher zum Ziel, einen Impuls für die Weiterentwicklung des Forschungsfeldes zu leisten und die relevanten Theoriediskussionen zu sichten und aufeinander zu beziehen. Hierfür dient die Theorie der Versicherheitlichung als Ausgangspunkt, diese wird jedoch mit Ansätzen aus der Soziologie, den Politikwissenschaften und den Raumwissenschaften in einen Dialog gebracht. Die gewählten Perspektiven sind raumbezogenes Sicherheitshandeln, Geopolitik, Grenzziehungen und die Herausbildung staatlicher Sicherheit, Fließräume und Mobilität sowie Sicherheit in sakralen, profanen und privaten Räumen. Für eine Historisierung von räumlichen Aspekten von Prozessen der Versicherheitlichung eröffnet sich daher ein vielversprechendes Feld für zukünftige Forschungen - hierfür bietet dieser Beitrag nicht nur eine Definition von "Sicherheitsräumen", sondern auch Hinweise auf Themenfelder, in denen der Ansatz durch weitere Forschung fruchtbar gemacht werden kann.

Christine G. Krüger: Slums und Villenviertel. Städtische Grenzziehungen und Sicherheitsentwürfe in London und Hamburg im ausgehenden 19. Jahrhundert
Der Aufsatz geht am Beispiel der beiden Hafenstädte Hamburg und London dem Zusammenhang zwischen urbanen Sicherheitsentwürfen, innerstädtischen Grenzziehungen und Zugehörigkeitsbestimmungen im ausgehenden 19. Jahrhundert nach. Nachdem er die zeitgenössische Wahrnehmung der fortschreitenden sozialräumlichen Segregation analysiert, untersucht er Grenzüberschreitungen aus den Armenvierteln hinaus ebenso wie in die Armenviertel hinein, das Handeln der Polizei als Grenzhüterin sowie stadtplanerische Reaktionen auf die Segregationstendenzen. In beiden Untersuchungsstädten manifestierte sich ein Sicherheitsparadox, das darin bestand, dass die innerstädtischen Grenzen Sicherheit garantieren sollten, gleichzeitig aber neue Unsicherheit schufen. Doch die jeweils unterschiedliche Intensität des sozialen Konflikts führte dazu, dass deutlich voneinander divergierende Umgangsweisen mit diesem Dilemma gewählt wurden.

Christina Reimann: Soziale Sicherungssysteme als Bewältigung des Raums? Rotterdam und Antwerpen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert
Dieser Beitrag untersucht, inwiefern die Hafenstädte Rotterdam und Antwerpen aufgrund ihrer räumlichen Besonderheiten Orte des "Eigensinns" blieben, während das "Prinzip Versicherung" im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert allgemeine Verbreitung fand. Er analysiert die Herstellung sozialer Sicherheit in den Hafenstädten als raumbezogene Praxis, wobei der Raumbegriff in zweierlei Bedeutung verwendet wird: Zum einen werden die Hafenstädte als funktionale Grenzorte am Rande des Territorialisierungsprozesses, der auch die Gründung nationaler Sicherungssysteme beinhaltete, beleuchtet. Zum anderen wird untersucht, auf welche Weise unterschiedliche Versicherungsakteure an der Konstruktion der Hafenstadt als spezifischem sozialen Raum beteiligt waren. Diese zeichneten sich nicht nur durch Offenheit und Fluidität, sondern auch durch harsche, z. B. soziokulturelle Grenzziehungen aus. Diese und andere "Raumbewältigungsstrategien", mit denen die Akteure auf die hohe Kontingenzerfahrung in den Hafenstädten reagierten, entfalteten sich sowohl im Bereich der staatlichen als auch der privaten Sozialversicherung.

Ulrich Schütte: Sicherheitsarchitekturen und Raumkonzepte in der Frühen Neuzeit
In der Frühen Neuzeit zählte die Bastionärbefestigung zu den entscheidenden Merkmalen der Epoche. Der Beitrag versucht, diesen Sachverhalt für Fragen nach Sicherheitsvorstellungen nutzbar zu machen, die sich auf städtische Orte und landesherrliche Territorien bezogen. Orte und Territorien waren politische Handlungsräume, für die Sicherheitskonzepte gegen faktische oder auch nur potentielle Bedrohung entwickelt werden mussten. Unter militärischen und fortifikatorischen Gesichtspunkten war dabei die Bedeutung einzelner Orte, etwa als Haupt- und Residenzstädte eines Landes ebenso wichtig, wie ihre Relation untereinander, in Grenzräumen und zu Orten in benachbarten Gebieten. Dazu dient beispielhaft die Darstellung territorialer Sicherheitspolitik in den brandenburgisch-preußischen und in den schwedischen Gebieten des Alten Reiches. Zudem konnten fürstliche Festungsarchitekturen (Zitadellen) in innere Konfliktfelder eingespannt sein, die dann häufig das Sicherheitsdilemma von Sicherheitsmaßnahmen der Obrigkeit und fortdauernder Bedrohung durch die Untertanen nicht lösen konnten. Auch will der Beitrag zeigen, wie wichtig in der Frühen Neuzeit Visualisierungsstrategien waren, die mit den neuen Reproduktionsmedien (gedruckte Bilder und Bücher) Festungsbauten als Zeichen territorialer Herrschaft wie auch als Nachweis sicherer Orte und Länder vorstellten.

Kai Ruffing: Von Menschen und Mauern. Zur Wahrnehmung von Bedrohung in der römischen Kaiserzeit und der symbolischen Funktion von Stadtbefestigungen und ihren topographischen Gegebenheiten
Der spätantike Autor Vegetius trifft in seiner Schrift epitoma rei militaris die Aussage, dass die ältesten Städte in das offene Gelände gebaut worden seien und dennoch durch Sachverstand und Arbeitsleistung unbesiegbar gemacht worden seien. Ausgehend von dieser Bemerkung wird paradigmatisch untersucht, inwiefern Stadtmauern in der römischen Kaiserzeit in der Tat der Schaffung militärischer Sicherheit dienten. Anhand der Beispiele der römischen Siedlung von Waldgirmes in Hessen sowie von Augusta Praetoria (heute Aosta), Nicopolis Epiri in Griechenland und Munigua in Spanien kann gezeigt werden, dass die Befestigungen in der Hohen Kaiserzeit weniger der Schaffung militärischer Sicherheit als vielmehr der Selbstdarstellung der Städte dienten. Eine Betrachtung der Bau- und Weihinschriften in Zusammenhang mit dem archäologischen Befund zeigt, dass der Bau von Stadtmauern (und -toren) insbesondere von Augustus genutzt wurde, um militärische Sicherheit zu kommunizieren, die auf der faktischen Ebene durch das Bauwerk nicht gegeben war. Damit diente der Mauerbau im Verbund mit anderen monumentalen Bauwerken im öffentlichen Raum der symbolischen militärischen Absicherung des städtischen Raumes und leistete einen Beitrag zu der unter Augustus feststellbaren Militarisierung der Bilderwelten, während auf einer anderen Ebene Friede und die Rückkehr des Goldenen Zeitalters zelebriert wurde.

Florian Kühnel: Chamäleon oder Chimäre? Rollen und Intersektionen des frühneuzeitlichen Gesandten
Die Forschung hat in den letzten Jahren verstärkt auf die 'Rollenvielfalt' frühneuzeitlicher Gesandter hingewiesen: Neben königlichen Repräsentanten waren Gesandte auch Patrone, Klienten, Freunde, Hausväter usw. Gleichzeitig wird betont, dass sich die Rollen in der diplomatischen Praxis stets überlagerten und zu Konflikten führten. Um die der Diplomatie inhärente 'unaufhebbare Gleichzeitigkeit' verschiedener Kategorien zu beschreiben, schlägt der Artikel mit der Intersektionalitätstheorie ein Konzept vor, das Überlagerungen und Verwobenheiten - anders als die Rollentheorie - von vornherein theoretisch mitdenkt und sie sogar zum Hauptgegenstand der Analyse macht.
Am Beispiel des englischen Diplomaten William Trumbull wird zunächst auf Ebene der Sozialstruktur gezeigt, inwiefern frühneuzeitliche Diplomatie auf der intersektionalen Verschränkung der Kategorien Stand, Amt und Patronage basierte. Anschließend wird die Kategoriekonstellation auf der Ebene der Identitätskonstruktion analysiert, wobei vor allem die Bedeutung von Religion für das 'diplomatische Selbst' in den Blick gerät. In einem dritten Schritt wird ein Ausblick auf die Kategorien gender, nation und party geworfen.