Flows und Spannungen: Die Familie Camondo als kulturelle Übersetzer zwischen dem Osmanischen Reich und Europa im 18. Jahrhundert
Gegenstand des Projektes ist die Untersuchung der kulturellen Übersetzungspraktiken der osmanisch-jüdischen Familie Camondo von ihrer Ankunft in Istanbul am Anfang des 18. Jahrhunderts bis hin zur Gründung einer der ersten Banken im Osmanischen Reich, der Isaac Camondo & Cie Bank, im Jahre 1802. In diesem Zeitraum stiegen die Camondos durch kulturelle und finanzielle Mediation zwischen dem Osmanischen Reich und Europa zu einer bedeutenden Handelsfamilie auf. Diesen Aufstieg soll die Studie näher beleuchten und die unterschiedlichen Praktiken des kulturellen Übersetzens der Juden im Osmanischen Reich aufdecken. Dabei sollen die kulturellen Übersetzungspraktiken der Camondos für verschiedene europäische Botschaften in Istanbul, für die osmanischen Gesandtschaften in Europa und zwischen den jüdischen Gemeinden rekonstruiert werden.
Das Projekt soll nicht nur zur Erforschung der Geschichte der Camondo Familie beitragen, sondern auch neue methodologische Herangehensweisen an interkulturelle Vermittler erarbeiten. Mit Impulsen aus den Übersetzungs- und Kulturwissenschaften sowie der postkolonialen Forschung, verbindet das Projekt Fragen der Transkulturalität, Hybridität und Verflechtungen mit Modernisierungsprozessen im Osmanischen Reich. Entscheidend für ein besseres Verständnis der kulturellen Übersetzungstätigkeit scheint, eine Untersuchung der osmanisch-jüdischen Camondos im Vergleich zu anderen cultural brokers im osmanisch-europäischen Kontext zu sein. Ferner hinterfragt das Projekt die Bedeutung der kulturellen Vermittler für den Austausch von Informationen und Wissen über die sprachliche Ebene hinaus. Im Lichte der fortschreitenden Globalisierung hilft das Projekt, die flows und Spannungen der frühneuzeitlichen kulturellen Übersetzungsprozesse näher zu beleuchten.
Osmanisch-jüdische Familien wie die Camondos erbrachten eine Reihe von Übersetzungsleistungen. Die internationalen Verbindungen ermöglichten es ihnen einerseits als Geldverleiher (sarrafs), Händler und Dragomane tätig zu sein sowie andererseits als kulturelle Vermittler und jüdische Gemeindeführer zu fungieren. Erste Spuren der Familie finden sich Anfang des 18. Jahrhunderts in Istanbul und zeigen enge Handelsverbindungen nach Wien sowie Triest. Neben ihrer Handelstätigkeit waren einige der Familienmitglieder auch einflussreich am osmanischen Hof und in den Kreisen der Eliten. Zusätzlich waren die Camondos seit der Mitte des Jahrhunderts für die britische Gesandtschaft in Istanbul tätig und unterstützten die osmanischen Botschafter in Berlin (1763) und Wien (1791/2). Sie waren aber auch Vermittler zwischen den jüdischen Gemeinden des Osmanischen Reiches und den jüdischen Handelsnetzwerken in Europa. Durch die Verbindung verschiedener Identitäten konnten die Camondos über religiöse, ethnische, territoriale und sprachliche Grenzen hinweg verhandeln und übersetzen - und dies mehr als andere weit bekanntere jüdische Familien wie die Rothschilds.
Das Projekt ist Teil des Schwerpunktprogramms "Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit (1450–1800)" (SPP 2130) der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), welches im Oktober 2018 seine Arbeit aufgenommen hat. Die Programmkoordinatorin ist Prof. Dr. Regina Toepfer (Technische Universität Braunschweig) in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Jörg Wesche (Universität Duisburg-Essen) und Prof. Dr. Peter Burschel (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und Universität Göttingen). Meine Forschung bezieht sich vor allem auf den dritten Teil des Programms "Kulturelle Zugehörigkeiten und Gesellschaft", welches von Prof. Burschel geleitet wird.