Fiesheit(en) – zwischen Alltag, Popkultur und Politik
Moritz Ege, Julia Fleischhack: In diesem Projekt geht es um einen Bereich der Alltagskultur, der in der Kulturanthropologie selten Berücksichtigung findet: Um das, was wir als "fies", "gemein" oder "unfair" bezeichnen - Unmoralisches, Unethisches, "Unkorrektes". "Fiesheit(en)" verweisen auf ein weites Feld von Phänomenen, die durch eine gewisse Familienähnlichkeit verbunden sind. Ihre Bedeutungen, Dynamiken und Ambivalenzen sollen es diesem Projekt in Fallstudien erkundet werden. Das Feld der "Fiesheit(en)" umfasst (a) popkulturelle Bilder, Figuren, Erzählungen und Sensibilitäten, in denen das Fiese als gewissermaßen unspektakuläre, harmlosere Variante des Bösen in Erscheinung tritt und die wir üblicherweise mit einer Kombination von komplizenhaft-faszinierter Identifikation und rechtschaffener Empörung konsumieren.
Zu diesem Bereich lässt sich auch das Vergnügen an "fieser" Satire und anderen Grenzüberschreitungen zählen. Solche medialen Repräsentationen vermitteln uns ein Repertoire von Stereotypen, Konventionen und Affekten, die unsere Wahrnehmung und unser Weltwissen prägen und die wir im Projekt genauer beleuchten werden. Zum "Fiesen" zählen weiterhin (b) alltägliche Praktiken bzw. Verhaltensweisen, in denen Menschen anscheinend wider besseres Wissen andere schädigen und ausnutzen, vom Lästern zum Online-"Trolling". Solchen Praktiken werden wir ethnografisch nachgehen, um ihre Auswirkungen, den Umgang damit und die in diesem Zusammenhang verwendeten Legitimierungsversuche besser zu verstehen. Sie sind nicht immer eindeutig umgrenzt: Inwiefern bzw. in welchen Situationen unsere Alltagssprache auch z.B. bewusst umwelt- und gesundheitsschädliches Verhalten als "fies" bezeichnet, bleibt zu diskutieren. Schließlich sind noch (c) einschlägige Diskurse zu nennen, einschließlich der psychologischen Wissensproduktion, in denen das "Fiese" oftmals stark gegendert ist und vor allem Mädchen und Frauen zugeschrieben wird. Auch sie gilt es nachzuvollziehen und kritisch zu analysieren. Insgesamt soll die kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem "Fiesen" als alltagsmoralische wie alltagsästhetische Kategorie ein differenziertes Bild von Konventionen und Konventionsbrüchen, von Rollenerwartungen und ihrer Subversion und damit von unserem Verhältnis zu Macht und Ethik entstehen lassen.
Das Lehrforschungsprojekt erstreckt sich über zwei Semester. In der ersten Phase des ersten Semesters werden wir Phänomene und Material sammeln, analytische Zugänge diskutieren und uns über eine Präsentationsform verständigen. In der zweiten Phase des zweiten Semesters beginnen Arbeitsgruppen einzelne Themen zu vertiefen. Das Lehrforschungsprojekt ist für Studierende des zweiten bzw. ersten MA-Semesters geöffnet; weitere Interessent*innen können daran nur nach vorheriger Absprache teilnehmen.