Titel des Projekts:
Die Zukunftsfähigkeit divergenter Wirtschafts- und Sozialmodelle vor dem Hintergrund der Bildung höherer Qualifikationen als Wettbewerbsressource international agierender Unternehmen

Gegenstand und Fragestellung:
Im Zuge der zunehmenden Internationalisierung der Märkte hat sich eine Diskussion entspannt, inwiefern die nationalen Wirtschafts- und Sozialmodelle die Wettbewerbsfähigkeit der in ihnen beheimateten Unternehmen beeinflussen. Im Mittelpunkt dieser Debatte stehen sowohl grundlegende, langfristige Veränderungen des internationalen Wettbewerbs, denen sich international agierende Unternehmen in allen Ländern ausgesetzt sehen, als auch die kulturellen, politischen oder institutionellen Faktoren, die den Erfolg von Unternehmen an den verschiedenen Standorten bestimmen. Kennzeichen des veränderten internationalen Wettbewerbs auf den Güter- und Faktormärkten sind eine Verkürzung der Produkt- und Innovationszyklen, die Diversifizierung der Nachfrage, ein verstärkter Kostenwettbewerb auf allen Ebenen des Produktionsprozesses, das Erscheinen von Aufhol-Ländern (die zu niedrigen Kosten auf einem relativ hohem Qualitätsniveau produzieren) und neue Möglichkeiten des global sourcing und der internationalen Restrukturierung der Unternehmen. Übergreifende Implikation dieser Veränderungen ist gerade für die Länder, die vor allem qualitativ hochwertige und technologisch ausgereifte Güter exportieren, dass der ständige Innovationsprozess, d.h. die Einführung von neuen Produkten bzw. Produktversionen sowie von innovativen Fertigungsmöglichkeiten, für den Erfolg des Unternehmens im internationalen Wettbewerb ein höheres Gewicht erhält. Dieser Innovationsprozess wird durch industrielle ExpertInnen im Unternehmen, d.h. durch das FuE-Personal und diejenigen ManagerInnen, die über die Gestaltung des Produktionsprozesses, die Erschließung neuer Absatzwege und das Personalmanagement im FuE-Bereich entscheiden, getragen. Er beruht damit in Form und Ergebnis zum großen Teil auf der Aktivierung der spezifischen Fertigkeiten dieser Beschäftigtengruppe. Die Entwicklung dieser Fertigkeiten durch die Aus- und Weiterbildungsinstitutionen der verschiedenen Länder einerseits und durch die Arbeitsorganisation und das Personalmanagement in den Unternehmen andererseits ist Gegenstand der Untersuchung. Ziel der Arbeit ist zu erkunden, wie die national unterschiedlichen institutionellen Settings in diesen Bereichen das quantitative und qualitative Ergebnis des Innovationsprozesses prägen und damit zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen unter den veränderten Rahmenbedingungen international integrierter Produkt- und Faktormärkte beitragen.

Forschungsprogramm
Die zentrale Forschungsfrage der Arbeit ist, welchen Beitrag die institutionellen Formen der Bildung und des Einsatzes der Fertigkeiten dieser industriellen Experten für die Wettbewerbsposition der Unternehmen in den Untersuchungsländern Deutschland und Großbritannien liefern. Für die Beantwortung dieser Frage grundlegend ist zunächst eine Beschreibung der im Innovationsprozess benötigten analytischen, technischen und sozialen Fertigkeiten. Darauf aufbauend lässt sich näher erkunden, durch welche Institutionen der Wirtschafts- und Sozialsysteme die Versorgung der Unternehmen mit den benötigten Humanressourcen gesichert wird. Eine Vielzahl von Institutionen sind daran beteiligt. Zu den wichtigsten gehören die Schulen und Hochschulen und andere weiterführende Ausbildungseinrichtungen und -wege, die teilweise auch durch einzelne Unternehmen oder sektorale Kooperationen von Unternehmen finanziert werden. In der Analyse muss der Frage nachgegangen werden, in welchem Umfang die verschiedenen Elemente dieses institutionellen Settings zur Aus- und Weiterbildung der genannten Gruppe des Personals beitragen und welche Fertigkeiten dabei primär entwickelt werden. Weiterhin wird die Frage zu beantworten sein, welchen Beitrag die Unternehmen durch Regelungen oder Praktiken, die direkt oder indirekt die Zusammensetzung der Fertigkeiten beeinflussen, zur Entwicklung der Fertigkeiten des Personals leisten. Von Interesse sind etwa finanzielle Anreizsysteme, Jobrotation, Karrierewege, unternehmensfinanzierte Weiterbildungsmöglichkeiten und die Kontakte zu anderen Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Zuletzt prägen auch bestimmte gesellschaftlich verankerte, berufsbezogene Werte und Leitbilder Einsatz und Erwerb von Fertigkeiten, so dass von Interesse ist, wie diese Leitbilder aussehen und inwiefern sie wirksam werden.
Grundlage für Aussagen über den Einfluss der institutionellen Muster der Bildung von Fertigkeiten der zu untersuchenden Gruppe der industriellen ExpertInnen auf die Position im Innovations- und Qualitätswettbewerb ist eine theoriegestützte Beschreibung des im Innovationsprozess konkret benötigten Wissens und Könnens, um zu vermeiden, jeder Form von Bildung pauschal einen wettbewerbsrelevanten Charakter zuzuschreiben. Darauf aufbauend lassen sich die oben genannten Forschungsfragen beantworten, wenn Licht in die "black box" der Unternehmen gebracht wird. Durch einen internationalen Vergleich lässt sich zudem herausarbeiten, zu welchen unterschiedlichen Ergebnissen in der Zusammensetzung der Fertigkeiten die institutionellen Arrangements führen. Fokus des Vergleichs ist eine Branche des verarbeitenden Gewerbes in zwei Ländern. Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch keine konkrete Branche ausgewählt, es lassen sich jedoch Kriterien für die Auswahl formulieren: Die betrachtete Branche muss auf den internationalen Gütermärkten vertreten sein, FuE-intensive Waren produzieren und einen überdurchschnittlichen Anteil entsprechenden Personals beschäftigen. Zudem sollte sie keine "neue" Branche sein, deren Strukturen noch einem starken Wandel unterworfen sind. Aus forschungspraktischen Gründen sollte sie zudem nicht nur bzw. überwiegend aus kleineren Unternehmen bestehen. Als Untersuchungsländer bieten sich Deutschland und Großbritannien an, weil sie hinsichtlich ihrer Wirtschafts- und Sozialstrukturen als kategorial unterschiedlich - liberal bzw. konservativ-korporatistisch - betrachtet werden, so dass die Annahme nahe liegt, dass auch unterschiedliche institutionelle Arrangements für die Bildung der im Innovationsprozess relevanten Fertigkeiten vorzufinden sind. Die Datenerhebung soll in drei Schritten erfolgen. Zunächst soll mit Hilfe der vorhandenen Literatur und, soweit erforderlich, ExpertInneninterviews ermittelt werden, welchen Beitrag die an der formalen Ausbildung beteiligten Institutionen zur Entwicklung der Fertigkeiten der industriellen ExpertInnen leisten. In einem zweiten Schritt sollen schriftliche Interviews mit den Beschäftigten einen Blick in die "black box" ermöglichen, indem u.a. erfragt wird, welche formale Erstausbildung die Beschäftigten haben, welche Maßnahmen die Unternehmen zur Weiterbildung des Personals ergreifen und welche die Fertigkeiten beeinflussenden Praktiken in den Unternehmen anzutreffen sind. Im dritten Schritt sollen offene Interviews mit ExpertInnen für den Bereich der Personalentwicklung aus Unternehmen und Bildungseinrichtungen geführt werden, mit denen im Nachgang zur schriftlichen Befragung die Auswertungsergebnissen verifiziert und in einzelnen Bereichen vertieft werden können.

Bezug zum Rahmenthema des Kollegs
Die Relevanz der Untersuchung der institutionellen Muster in der Bildung der Qualifikationen des hochausgebildeten Personals für das Europäische Sozialmodell lässt sich durch einige empirische Hinweise andeuten. In vielen EU-Ländern tragen FuE-intensive Bereiche des verarbeitenden Gewerbes oder wissensintensive Dienstleistungen, die vor allem durch einen Innovations- und Qualitätswettbewerbs gekennzeichnet sind, in hohem Maße zur gesamtwirtschaftlichen Beschäftigung und Wertschöpfung bei. Darin sind die international tätigen Unternehmen an europäischen Standorten oftmals erfolgreicher als in der Produktion einfacher Produkte, die einem immer schärferen Kostenwettbewerb ausgesetzt sind. Die interne internationale Arbeitsteilung der Unternehmen an den lohnkostenintensiven Standorten zielt oft darauf ab, Produktionsprozesse, die nur ein geringes Ausbildungsniveau voraussetzen, in Länder mit geringeren Lohnkosten zu verlagern, während die FuE-Bereiche an den Heimatstandorten weiter ausgebaut werden. Empirischen Niederschlag findet diese Entwicklung etwa in der gegenüber der Beschäftigung insgesamt in den letzten Jahren deutlich stärker gestiegenen Beschäftigung von AkademikerInnen in vielen EU-Ländern und in der beständigen Verringerung der "Employability" gering Qualifizierter. Mit der fortschreitenden Entwicklung der Aufhol-Länder nimmt die Nachfrage nach hochwertigen, differenzierten Gütern und Dienstleistungen weiter zu, zugleich aber zeigt sich, dass die entwickelten Industrieländer in diesem Bereich ihr traditionelles Monopol verloren haben. Zwar verbietet sich eine pauschale Betrachtung, diese wenigen empirischen Hinweise erlauben jedoch die Vermutung, dass die Fertigkeiten des den Innovationsprozess tragenden Personals einen wesentlichen Grundpfeiler der Wirtschafts- und Sozialsysteme der europäischen Industrieländer darstellen.