Das Phänomen Anne Frank
Buchvorstellung mit N. David J. Barnouw am 4. November 2015, 18:00 Uhr
Anne Frank, 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet, ist das wohl bekannteste Holocaust-Opfer. Ihr Tagebuch ist weit über 20 Millionen Mal verkauft worden. Etwa eine Million Menschen besuchen jährlich das Hinterhaus in Amsterdam, in dem sich die Familie Frank von 1942 bis 1944 versteckt hielt. Der Historiker David Barnouw ist Mitherausgeber der wissenschaftlichen Ausgabe von Anne Franks Tagebuchtexten und beschäftigt sich seit vielen Jahren umfassend mit Anne Frank. Er zeigt eindrucksvoll, wie unterschiedlich das Schicksal des von den Nazis ermordeten jüdischen Mädchens in der Nachkriegszeit dargestellt wurde. Das Tagebuch der Anne Frank ist in verschiedenen Fassungen publiziert worden, und man hat Anne Franks Leben und Schicksal immer wieder anders verstanden und politisch instrumentalisiert. So nahm man Anne Frank in den ersten Jahrzehnten nach dem Erscheinen des Tagebuches nicht als junge Jüdin, sondern als ein unter anonymen Bedrohungen stehendes Mädchen wahr. In der DDR erschien eine Dokumentation der DEFA, die sich nicht mit der Person selbst, sondern mit den kapitalistischen deutschen Kriegsverbrechern beschäftigte. Immer wieder wurden in der Bundesrepublik und in anderen Ländern auch Stimmen laut, die öffentlich Zweifel an der Echtheit des Textes äußerten.
Das Buch stellt Wahrnehmung und Wirkung Anne Franks umfassend dar und fragt nach den Motiven hinter den vielen Projektionen.
N. David J. Barnouw hat Politikwissenschaften, Neuere Geschichte, Sozialrecht und Lateinamerikanische Geschichte studiert und hat viele Jahre als Forscher am NIOD Institut für Kriegs-, Holocaust- und Genozidstudien in Amsterdam gearbeitet. Als Otto Frank nach seinem Tod dem NIOD die Tagebücher seiner Tochter Anne hinterließ, begann David Barnouw sich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen und ist heute einer der angesehensten Anne-Frank-Experten.