Das Profil des Graduiertenkollegs

Die hervorragende Repräsentanz der Vormoderneforschung an der Universität Göttingen ermöglicht die Umsetzung eines ambitionierten Forschungsprogramms, das auf eine Theorie der okzidentalen Expertenkulturen zielt und das deren Frühgeschichte zwischen dem 12. und dem 18. Jahrhundert gewidmet ist. In mehreren Philologien (Germanistik, Romanistik, Mittel- und Neulatinistik), in der Rechtsgeschichte, der Kirchengeschichte und der Geschichtswissenschaft wirken Forscher, die bereits intensiv zu Fragen der Delegation und Vermittlung von Spezialwissen in vormodernen Gesellschaften gearbeitet haben. In dem GK sollen diese Ansätze in ein strukturiertes Gesamtprojekt überführt werden, das die Historizität der europäischen Expertenkulturen aufzeigt und das die typisch okzidentale Ambivalenz von „Systemvertrauen“ und „Expertenkritik“ erklärt. Die ausgearbeiteten und in einem kybernetischen Zusammenhang gedachten Aspekte sind bisher noch nie in einen Interpretationskontext gebracht worden. Damit ist das vorgeschlagene Programm auch im internationalen Maßstab höchst innovativ. Das GK kommt somit auch einem verbreiteten Bedürfnis nach Orientierung in der Gegenwart entgegen: Eine Gruppe von Doktoranden, die in einem mehrstufigen Auswahlverfahren international ausgewählt worden ist, erwirbt ein besonderes Verständnis für die spezifische (und stets latent vom Scheitern bedrohte) Kommunikation zwischen Laien und Experten.

Um eine gründliche Fundierung dieser Einsicht zu erreichen, sind ein auf insgesamt neun Jahre ausgelegtes Forschungsprogramm und ein in je drei Jahren zu leistendes Studienprogramm anhand einer leitenden Fragestellung und einer theoretisch-methodischen Engführung aufeinander abgestimmt worden: Alle drei Kollegiaten-Generationen werden gehalten sein, sich – bei unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen – mit allen Leitaspekten des Forschungsprogramms zu beschäftigen. Und doch wird sich das Forschungsprogramm beim Übergang von einer Generation zur nächsten durch Vertiefung, Differenzierung und Erweiterung des Fragenhorizontes weiterbewegen. Dieser Übergang ist genau geplant und wird von Dozenten und Promovenden verschiedener Generationen gemeinsam gestaltet: Die Ergebnisse, das Methoden-know-how und die offen gebliebenen Fragen und Probleme werden von einer Doktorandengeneration an die nächste weitervermittelt. In erster Linie bezweckt das GK damit den Erwerb wissenschaftlicher Kompetenzen. Folgerichtig macht es den wissenschaftlichen Werdegang der Promovierenden zum wichtigsten Indikator für den Erfolg des Kollegs. Allerdings ist „wissenschaftlich“ dabei in einem nicht zu engen Sinn zu verstehen: Es begreift hier alle Tätigkeiten ein, deren Ausübung eine vertiefte wissenschaftliche Expertise zur Bedingung hat. Auch eine verantwortungsvolle Tätigkeit außerhalb des Kernbereichs universitärer Wissenschaft kann auf dem Ertrag einer überdurchschnittlichen Dissertation beruhen.

Das Forschungsprogramm zum Download

Um den Abschluss hervorragender Dissertationen innerhalb von drei Jahren zu ermöglichen, ist das Studienprogramm gänzlich auf die praktischen Erfordernisse der Projekte zugeschnitten. Als Foren des Austauschs stehen ein beständiges Kolloquium und eine Reihe von Workshops zur Verfügung. Die internationale Orientierung der Promovierenden wird durch ein Auslandssemester gefördert, das angesichts der bestehenden internationalen Vereinbarungen des Göttinger „Zentrum für Mittelalter- und Frühneuzeitforschung“ leicht arrangiert werden kann. Die weitestgehende Selbständigkeit der Graduierten ist ein Ziel von hoher Priorität. Diese bestimmen die Realisation des Studienprogramms maßgeblich mit (‚planende’, ‚organisierende’, und ‚publizierende’ Arbeitsgemeinschaften), ein hohes Maß an Entscheidungsfreiheit bei der Belegung von Veranstaltungen und selbstgesteuerte Kommunikation mit Gastwissenschaftlern und Wissenschaftlern im In- und Ausland prägen ihren Alltag im GK. Zugleich werden aber die Fortschritte im Forschungs- und der Erfolg im Studienprogramm einer dauerhaften Verpflichtung zur Selbstevaluation unterworfen. Die Dozenten des GK versammeln sich zu diesem Zweck zweimal pro Semester. Sie beachten dabei insbesondere die nach klaren Regeln konzipierte Betreuungspraxis. Nach 18 Monaten lassen die Doktoranden den Betreuern überdies einen schriftlichen Bericht zugehen. Sollte das Projekt nach der Überzeugung des Betreuerteams einschneidender Korrekturen bedürfen, wird dem Doktoranden die Gelegenheit gegeben, innerhalb eines Vierteljahrs sein Konzept entsprechend den Anregungen durch die Betreuer zu verbessern. Auf dieser Grundlage entscheidet die Konferenz der Kolleg-Dozenten über die Verlängerung bzw. den Auslauf der Stelle nach 24 Monaten.

Auch die Vergabe von jeweils einer Postdoktorandenstellen ist ein Mittel zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Deren Inhaber soll sich vor allem durch eine auf die Bedürfnisse des GK abgestimmte methodisch-theoretische Kompetenz auszeichnen. Nach einem „free floater“-Prinzip wird er in inhaltlicher Hinsicht dagegen große Freiheit in der Übertragung des Erarbeiteten in selbst gewählte außerhalb des Forschungsprogramms liegende Bereiche haben. Ziel der zweijährigen Tätigkeit ist die Publikation selbständiger Forschungen und, aus letzteren erwachsend, die Fertigstellung eines Antrags zur Einrichtung eines eigenen Forschungszusammenhangs (bspw. einer Forschernachwuchsgruppe). Mit der Verpflichtung von Gastwissenschaftlern wird internationales Know-how für das Forschungsprojekt fruchtbar gemacht. Die Promovierenden wirken dabei maßgeblich an der Auswahl der Gastwissenschaftler mit. Gedacht ist dabei an führende Fachvertreter und an Nachwuchswissenschaftler. Das Kolleg wird dadurch in die Lage versetzt, aktuelle Forschungspositionen für einen längeren Zeitraum zu diskutieren. Die Gastwissenschaftler werden in die Workshops und Symposien einbezogen sein, sie werden eigene, blockartige Veranstaltungen anbieten und den einzelnen Promovierenden zu Beratung und Diskussion zur Verfügung stehen.

Das weite Fächerspektrum an der Göttinger Universität, die im Zusammenhang mit der ersten „Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder“ eingerichtete „Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen“ (GSGG), das „Lichtenberg-Kolleg“ (ein Institute for Advanced Study) und das weitere wissenschaftliche Umfeld der Universität (bspw. die Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel) bieten ideale Bedingungen für das GK.