Inklusion und Diversität aus der Perspektive der Didaktik der Physik



Wabe Physik

Die folgenden Ausführungen basieren auf dem Impulsvortrag „Physikdidaktische Perspektiven auf Diversität und Inklusion im Lehramtsstudium“ von Prof. Dr. Susanne Schneider (Didaktik der Physik) und der daran anschließenden Diskussion mit den Teilnehmenden des 8. Netzwerktreffens „Diversität in der Lehrer*innenbildung“ am 27.11.2018.


Protokollantin: Gesche Dumiak

Thematisierung von Inklusion und Diversität

In der Didaktik der Physik spielen insbesondere die Diversitätsdimensionen Sprache, Geschlecht sowie Leistungsheterogenität eine Rolle. Es lässt sich in der Physikdidaktik in Hinblick auf Diversität eine Hinwendung der Lehramtsausbildung zur Thematisierung von Prozessen des Sprachenlernens im Fachunterricht, Gendergerechtigkeit und Differenzierung im Unterricht ablesen. Das Themenfeld Inklusion wird insbesondere in Hinblick auf sprachliche Bildung besprochen. Hier spielen beispielsweise Fragen der Reduktion sozialer Einflussfaktoren durch sprachfördernde Elemente sowie Möglichkeiten der Berücksichtigung von Zweitsprachenlernprozessen eine Rolle. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Vermittlung von Fachsprache in der Schule. Zugunsten einer nachhaltigen Implementierung dieser Themen wurden die Modulbeschreibungen der Fachdidaktik Physik im Jahr 2015 geändert. Hierzu wurden Kernkompetenzen und Kerninhalte (vgl. sprachen-bilden-niedersachsen.de) der sprachlichen Bildung in den fachdidaktischen Modulen verankert. In Zusammenarbeit mit Frau Zuzana Münch-Mankova, Mitarbeiterin der Interkulturellen Germanistik im Projekt „Umbrüche gestalten“, wurden zu verschiedenen physikalischen Themenbereichen sprachbildende Materialien für die universitäre Lehre entwickelt, bereitgestellt und in die fachdidaktischen Module integriert. Spezifische Lehrkonzepte beziehen sich dabei gegenstandsbezogen auf die Bedeutung und Vermittlung von Fachsprache, beispielsweise am Thema „Auftrieb“. Darüber hinaus werden Übergänge von der Alltags- zur Bildungssprache fokussiert. Hierbei stehen physikalische Konzepte und die Anbahnung von Konzeptwechseln und ihren unterschiedlichen alltags- und fachsprachlichen Bedeutungen im Mittelpunkt. Ein weiteres relevantes Thema ist der sprachsensible Fachunterricht, der beispielsweise durch „Scaffolding“, unter anderem durch die Bereitstellung sprachsensibler Materialien und sprachlicher Mittel, beschrieben und umgesetzt wird.

Curriculare Verankerung von Inklusion und Diversität

Das Modul „Didaktik der Physik I“ (B. A., Umfang: 2 SWS über 2 Semester) beinhaltet „Konzepte des sprachsensiblen Fachunterrichts“. So wird in einer Seminardoppelstunde unter anderem eine Übung zum Perspektivenwechsel eingesetzt. Hierbei werden die Studierenden vor die Aufgabe gestellt, ein einfaches Experiment in englischer Sprache zu beschreiben, wodurch sie Herausforderungen und Schwierigkeiten sprachlichen Handelns aus einer anderen Perspektive erfahren sollen. Weitere mögliche Themen in diesem Modul sind unter anderem Alltags- und Bildungssprache sowie Methoden der Förderung der Sprachkompetenz. In einer weiteren Seminardoppelstunde werden Interessen und Genderaspekte im Kontext des Physikunterrichts thematisiert und so eine Sensibilisierung in Hinblick auf die Umsetzung eines gendergerechten Physikunterrichts angebahnt. Eine weitere Veranstaltung, in der Diversität und Inklusion thematisiert werden, stellt das Praxisnetzwerk (B. A.) dar, eine jährlich stattfindende Blockveranstaltung mit externen Vortragenden. Themenschwerpunkte im Praxisnetzwerk waren 2013 unter anderem Gender in der Mathematik, 2015 die Diagnose und Förderung in heterogenen Lerngruppen sowie 2016 inklusiver MINT-Unterricht. Im Master werden in dem Modul „Fachdidaktik der Physik II“ (M. Ed.) heterogene Lernvoraussetzungen (unter anderem Mehrsprachigkeit und Inklusion) sowie die differenzierte Gestaltung von Lernumgebungen besprochen. Den Themen Differenzierung sowie Sprache und Texte im Physikunterricht werden dafür eigens Seminarstunden gewidmet. Seminarinhalte sind unter anderem die Erkennung sprachlicher Schwierigkeiten im Kontext des Experimentierens oder die Anwendung, Bewertung und Einordnung sprachfördernder Methoden. Zum Thema der Differenzierung im Physikunterricht setzen sich die Studierenden mit verschiedenen Arten und Methoden der Differenzierung auseinander. Einen Schwerpunkt stellt dabei die Differenzierung von Aufgaben nach Motivation oder Schwierigkeitsgraden dar. Neben der Möglichkeit, sich im Schulpraktikum mit Fragen aus dem Bereich Diversität und Inklusion zu beschäftigen, können diese ebenfalls in den Abschlussarbeiten behandelt werden. So sind bereits einige Masterarbeiten zu den genannten Themen entstanden, z. B. von Wallat (2016) zum sprachsensiblen Fachunterricht mit Geflüchteten oder auch Grüll (2017) zur Diagnose und Förderung von Leseverstehen.

Diskussionspunkte und offene Fragen

  • Diskussionspunkte zu den Themen Diversität und Inklusion im Fach Physik

    Aspekte von Gender werden in der Fachdidaktik Physik schon lange thematisiert, da zu wenige Mädchen von der Schule bis zur Universität Physik anwählen. Das Thema weist eine hohe Komplexität auf; zudem gibt es bereits einen großen Umfang von Studien, auf die zurückgegriffen werden kann. Wichtig ist hierbei auch die Arbeit an „Meinungen“, beispielsweise Annahmen über sogenannte „Mädcheninteressen“. Aus der Psychologie heraus gibt es hierfür verschiedene Erklärungsansätze, die vorbereitet und in den Seminaren diskutiert werden. Das Thema wurde außerdem 2013 im Praxisnetzwerk diskutiert. Die Reaktion der Studierenden auf die neueren sprachbildenden Inhalte war und ist sehr positiv. Es wurde die Erfahrung gemacht, dass die Studierenden insbesondere durch die Übung des „Perspektivwechsels“, in der sie selber die sprachlichen Anforderungen an Schüler*innen erleben, das Thema als wichtig anerkennen.


  • Körperliche Beeinträchtigungen bei der Durchführung von Experimenten

    Beim Experimentieren wird auch das Reagieren auf mögliche körperliche Beeinträchtigungen thematisiert, da dies mit Gefahren verbunden sein kann. Dies wird aber eher als mögliche Einzelfälle wahrgenommen.


  • Sprache und Fach

    Sprache und Physik sollen nicht lediglich als die Ausdrucks- und Inhaltsseite wahrgenommen werden, sondern sind miteinander verschränkt. Fachliche Inhalte und Sprache werden integriert betrachtet. Für alle Schüler*innen bedeutet es eine Herausforderung, eine physikalische Beobachtung beispielsweise in Protokollform in einer physikalischen Fachsprache abzubilden. Eine nicht fachgemäße Verwendung führt dabei häufig zu aus fachlicher Perspektive fehlerhaften Aussagen. Zudem liegen bei den Schüler*innen zunächst alltagsweltliche Vorstellungen von Konzepten wie beispielsweise „Kraft“ vor. Hier muss im Rahmen des Unterrichts an einem Konzeptwechsel hin zu Fachkonzepten gearbeitet werden, der sich auch im sprachlichen Ausdruck niederschlägt. Die Arbeit an einem solchen ist am besten zugänglich über die fixierte schriftliche Sprache. Insgesamt kann man festhalten, dass es nicht Sprache und Fach gibt, sondern die Sprachlichkeit des Faches und es um die Konzeptentwicklung geht, die sprachlich verfasst ist.