Wirtschaftspolitisches Forum
Die institutionelle Basis der Globalisierung. Der Hamburger Kaffeehandel
Die Forschung operiert oft mit der Annahme, dass (wirtschaftliche) Globalisierung mit Homogenisierungsprozessen einhergeht. Auch die Wirtschafts- und Sozialgeschichte hat sich mit der Formierung global integrierter Gütermärkte befasst und gezeigt, dass dieser Prozess bereits im 19. Jahrhundert einsetzte. In mancherlei Hinsicht war die ökonomische Verflechtung vor dem Ersten Weltkrieg sogar entwickelter als weit ins 20. Jahrhundert hinein. Beispiele global integrierter Gütermärkte um 1900 sind Getreide, Fleisch, Baumwolle und Kaffee.
Ab 1900 wurde in Hamburg in starker Konkurrenz und knappem Vorsprung zu Le Havre ca. der fünfte bis sechste Teil der Kaffee-Weltproduktion gehandelt. Dieser teilte sich auf deutschen Konsum und den Reexport auf. Hintergrund und wesentliche Faktoren für diesen Aufstieg und die Etablierung Hamburgs im internationalen Kaffeehandel ab den 1880er Jahren war die Verbesserung der Infrastruktur am Handelsplatz selbst und die Konzentration der Interessen der Kaffeehändler im „Verein der am Kaffeehandel betheiligter (sic) Firmen“. Vor allem zwei Motive leiteten die Gründung des Vereins 1886: Durch den Bau gemeinsamer Büro- und Lagerhäuser im Freihafen sollte der Kaffeehandel an einem Ort konzentriert und besser organisiert werden. Da nur den Mitgliedern im Verein Zugang zur Kaffeebörse möglich war, verzichtete keine der deutschen im Ex- und Importgeschäft tätigen Firmen auf eine Mitgliedschaft. Auch die am Überseehandel interessierten Banken und auf Überseetransporte spezialisierten Schifffahrtsgesellschaften traten dem Verein in den 1890er Jahren bei. Die enge Kooperation mit den Schifffahrtsgesellschaften und Banken ermöglichte einerseits, dass Kaffee von Brasilien z.T. billiger nach Hamburg verfrachtet werden konnte als nach Le Havre und begünstigte andererseits die Gründung von „Pflanzungs- und Aktiengesellschaften“ zur Förderung des Kaffeeanbaus sowie Portfolioinvestitionen und/oder Direktinvestitionen zur Verbesserung der Infrastruktur in den Produktionsländern. Durch Kredite an Pflanzer finanzierten die Hamburger Händler die Kaffeeproduktion, gründeten Aktiengesellschaften zum Zweck des Landerwerbes und Kaffeeanbaus, erwarben und betrieben selber Kaffeeplantagen in Lateinamerika.
Der Verein professionalisierte nach seiner Gründung zunehmend den Kaffeehandel, indem zusätzlich zum bis dahin üblichen Effektivgeschäft durch die Einrichtung einer Terminbörse 1887, die mit einer Warenliquidationskasse als Absicherungsinstrument gegen starke Preisschwankungen verbunden war, neue Handelstechniken eingeführt wurden. Die bisherige Praxis des Kaffeehandels, Angebot und effektive Nachfrage durch Kaffeeauktionen und Zwischenlagerung in Amsterdam und London zu verknüpfen, verschob sich innerhalb kürzester Zeit zugunsten der Warenterminbörse und des Direktimports aus Lateinamerika nach Hamburg. Der gegen Widerstände durchgesetzte Terminhandel ermöglichte den Kaufleuten Einsparungen bei Lager- und Transportkosten, minimierte das hohe Verlustrisiko und setzte Kapital für weitere Geschäfte frei. Eine Nachricht über die kommende Ernte oder die Höhe der lagernden Vorräte konnte im System des weltumspannenden Terminhandels massive Preissteigerungen auslösen oder Preisverfall hervorrufen. Der Bezug von schnellen und vertrauensvollen Informationen stellte Voraussetzung und Grundlage für den gewinnbringenden Handel im Termin- sowie Effektivgeschäft dar. Die durch die Telegraphie verkürzte Übermittlungszeit glich Informationsasymmetrien der Marktplätze aus und ermöglichte so überhaupt den Terminhandel. Der Verein etablierte daher sofort nach seiner Gründung einen umfangreichen telegraphischen Nachrichtendienst. Teil dieses sich weiter ausdifferenzierenden Informationssystems waren staatliche Institutionen in Form von Berichten der deutschen Konsulate aus den meisten kaffeeproduzierenden oder im Kaffeehandel stark engagierten Ländern sowie von den wichtigsten Handelsplätzen.
Gleichzeitig mit der enormen Steigerung der weltwirtschaftlichen Verflechtung war es die Konzentration auf eine lokale institutionelle Basis, die eine erfolgreiche Beteiligung im globalen Kaffeehandel förderte. Sie garantierte die nötige Vertrauensbildung und Kooperation im globalen Handel, generierte das benötigte Wissen und ermöglichte die erforderliche Installation eines Informationsnetzwerkes, was konkurrenzlose Transaktionskosteneinsparungen hervorrief. Zwar wurde unter den Bedingungen der Massenproduktion eine Homogenisierung des Produktes zunehmend von den Händlern gewünscht, diese blieb aber angesichts des natürlichen Variantenreichtums der Bohnen und ihrer je nach lokalen Konsumvorlieben unterschiedlichen Weiterverarbeitung nur schwer zu bewerkstelligen, obgleich Kategorisierungen der Bohnen – hier die bis heute gültige Dominanz der Kaffeebohne brasilianischer Provenienz – und die Einführung des Terminhandels erste Schritte in diese Richtung waren. Das Beispiel des Kaffeehandels zeigt, dass der Prozess der Globalisierung international gehandelter Verbrauchsgüter deutlich komplexer ist als gemeinhin angenommen. Einerseits vollzog sich eine Homogenisierung durch die Warenterminmärkte, andererseits bildeten die Differenzierung der Handelspraktiken und lokale Institutionen die Basis von Wettbewerbsvorteilen im globalen Marktgeschehen.