Inklusion und Diversität aus der Perspektive der Fachdidaktik Chemie


Wabe Chemie

Die folgenden Ausführungen basieren auf dem Impulsvortrag „Heterogenität von Studierenden der Chemie in der Studieneingangsphase“ von Prof. Dr. Thomas Waitz (Fachdidaktik Chemie) und der daran anschließenden Diskussion mit den Teilnehmenden des 10. Netzwerktreffens „Diversität in der Lehrer*innenbildung“ am 22.01.2019.


Protokollantin: Gesche Dumiak

Thematisierung von Inklusion und Diversität

Diversität wird im Fach Chemie insbesondere im Kontext der fachlichen Heterogenität der Studierenden in ihrem fachlichen Vorwissen und ihren Kompetenzen zum Beginn des Studiums diskutiert:
Die Lehrenden stellen in den der Fächern Chemie (Lehramt), Chemie (2 Fächer B. A.) und Biochemie spezifische fachbezogene Leistungserwartungen in Bezug auf mitzubringendes fachliches Vorwissen und fachliche Kompetenzen an die Studienanfänger*innen. Hierzu zählen Anforderungen an das Wissen über Fachkonzepte sowie Kompetenzen in den Bereichen des Experimentierens und der Laborarbeit.
Das fachliche Vorwissen und die fachlichen Kompetenzen der Studierenden nehmen die Lehrenden als zunehmend divers wahr. Dies wird unter anderem auf die Öffnung des Hochschulzugangs zurückgeführt: So ist es seit einigen Jahren nicht nur mit der Allgemeinen Hochschulreife möglich, ein Studium zu beginnen, sondern unter anderem auch mit beruflicher Vorbildung (zum Beispiel als Laborant*in). Zudem nehmen die Lehrenden insgesamt zwischen den erwarteten Kompetenzen und den tatsächlich vorhandenen zu Studienbeginn eine Diskrepanz vonseiten der Lehrenden wahr. Eine in der Fachdidaktik Chemie durchgeführte Studie zeigt, dass die Leistungserwartungen der Lehrenden nicht immer mit den schulisch vermittelten Inhalten einhergehen. Die Lehrenden diskutieren diesen „gap“ zwischen Schule und Universität kritisch, unter anderem aufgrund der Anzahl von Studienabbrüchen nach dem dritten Semester. Studienabbruch und fachliches Vorwissen betrachten sie dabei als in einem Zusammenhang stehend und sprechen in diesem Kontext von einer Vorwissensabhängigkeit des (Studien-)Erfolgs.
Mit einem dem Studium vorangehenden Propädeutikum wurde eine lernendenorientierte Erweiterung und Differenzierung des universitären Lehrangebots eingerichtet, mit der auf die Diversität des fachlichen Vorwissens von Studierenden reagiert wird. Studierende mit unterschiedlichen Hintergründen sollen so auf einen gemeinsamen Wissensstand gebracht und den negativen Effekten der Vorwissensabhängigkeit des Studienerfolgs begegnet werden. Um dies im Bereich der fachlichen Kompetenzen, beispielsweise der Laborarbeit, ebenfalls zu erreichen, ist die Einführung eines Praktikums in das Propädeutikum geplant.
Über die Diversitätsdimension fachliches Vorwissen und Kompetenzen hinaus wird in Bezug auf die Studierenden die Dimension Gender thematisiert. Zur Zusammensetzung der Studienanfänger*innen lässt sich feststellen, dass die überwiegende Zahl der Studienanfänger*innen am Standort Göttingen, mehr noch als an anderen Studienstandorten in Deutschland, männlich ist. Die Gründe hierfür sind noch nicht klar, vermutet wird, dass unter anderem die inhaltliche Ausrichtung mit wenigen biologischen Aspekten ein Faktor ist.
Über die Diversität der Studierenden hinaus spielt in der Chemie auch die Vermittlung diversitätsbezogener Inhalte an die Studierenden eine Rolle. Hierbei wird insbesondere Sprachbildung im Fachkontext zum Gegenstand des Studiums gemacht und somit die sprachliche Diversität von Schüler*innen thematisiert. Dazu wurden in einer Kooperation mit der Interkulturellen Germanistik Lehrkonzepte und Materialien erarbeitet.

Diskussionspunkte und offene Fragen

  • Entwicklung der Heterogenität der Studierenden

    In Hinblick auf die Heterogenität der Studierenden wird die Wahrnehmung diskutiert, dass die Heterogenität der Studierenden zugenommen hat. Aufgrund der veränderten Hochschulzugangsberechtigungen kann man argumentieren, dass dadurch unterschiedlichere Erfahrungen, Kompetenzen und Wissensbestände zugelassen werden. Aber darüber hinaus kann man auch von der Hochschulzugangsberechtigung unabhängig annehmen, dass die Studierenden grundsätzlich zunehmend heterogener werden. In Hinblick auf die Heterogenitätsdimension Geschlecht wurde darauf hingewiesen, dass es bereits ein Programm gab, das darauf abzielte, den Anteil männlicher und weiblicher Studierenden anzugleichen. Dieses war allerdings wenig effektiv.


  • Verhältnis zwischen Schule und Universität

    Hierbei geht es um die Frage, wie weit die Schule auf die Universität vorbereiten sollte. Diese stellt sich unter anderem vor dem Hintergrund, dass sich das schulische Kerncurriculum in den letzten Jahren verändert hat, die Universität aber dennoch an ihren Voraussetzungen festhält. Das Fach Chemie in der Schule sieht sich verschiedenen Aufgaben verpflichtet (z. B. in Bezug auf die Allgemeinbildung), nicht nur der, auf die Universität vorzubereiten. Aus der Sicht der Dozierenden an der Universität lässt sich in entgegengesetzte Richtung kritisch fragen, wie viel Authentizität des Fachs Chemie in der Schule steckt (im Sinne der Frage: Wie funktioniert Chemie?). So steht aus universitärer Sicht der Einwand, inwiefern die Fixierung auf den Alltag gerechtfertigt ist und inwiefern er nicht auf den Bereich der Forschung gelegt werden kann. Mit Blick auf das schulische Kerncurriculum des Faches Chemie, dessen Stunden gekürzt wurden, bleibt die Frage offen, wie die Universität darauf reagiert, dass das Wissen, das an der Universität vorausgesetzt wird, nicht (mehr) unterrichtet wird. Eine Voraussetzung, die zu den dargestellten Perspektiven beiträgt, ist vermutlich die Korrespondenz des Studienfachs als Schulfach, was bei vielen Studiengängen nicht gegeben ist.