Inklusion und Diversität aus der Perspektive der Fachdidaktik des Englischen


Wabe Englisch


Die folgenden Ausführungen basieren auf dem Impulsvortrag von Prof. Dr. Carola Surkamp (Fachdidaktik des Englischen) und der daran anschließenden Diskussion mit den Teilnehmenden des 6. Netzwerktreffens „Diversität in der Lehrer*innenbildung“ am 03.07.2018.

Protokollantin: Delia Hülsmann

Thematisierung von Inklusion und Diversität

Das Thema Diversität wird im Bachelor der Fachdidaktik des Englischen u. a. mit Übungen zur Reflexion der eigenen Diversität und Diversitätsvorstellungen z. B. in Bezug auf sprachliche Kompetenzen, kulturelle Voraussetzungen, aber auch Geschlechtervorstellungen eingeführt. Diese Sensibilisierung für Diversität, die die subjektiven Perspektiven der Studierenden aufgreift, macht neben der Dimension Leistung auf weitere Dimensionen von Diversität und damit verbundene Zuschreibungen aufmerksam.

Als ein zentraler Aspekt der Behandlung von Inklusion und Diversität in den Veranstaltungen der Fachdidaktik des Englischen kann sowohl im Bachelor als auch im Master of Education die Lernendenorientierung genannt werden. Im Sinne einer Sensibilisierung für unterschiedliche Heterogenitätsdimensionen als Ausgangspunkt der Lernendenorientierung lernen Studierende in den Veranstaltungen der Fachdidaktik des Englischen unterschiedliche Facetten der Vielfalt der Schüler*innen kennen, sollen ein Verständnis für diese entwickeln und beschäftigen sich mit Heterogenität als Ressource, der man als Lehrkraft gerecht werden und die man für den Unterricht nutzen sollte. Ziel ist es, dass die Studierenden ein Bewusstsein für unterschiedliche Lernendenpräferenzen und Lernstrategien entwickeln. Auf dieser Sensibilisierung aufbauend werden Themen, Aufgaben, Methoden und Materialien zur Differenzierung und Lernendenorientierung entwickelt und erprobt.

Inklusion und Diversität werden dabei als Themen aller drei Bereiche – der Sprach-, Literatur- und Kulturdidaktik – verhandelt. Beispielsweise wird im Bereich der Literaturdidaktik handlungsorientierter Literaturunterricht als Möglichkeit inklusiven Unterrichts fokussiert. In diesem kann der offene Gegenstand Literatur mit unterschiedlichen Methoden anhand unterschiedlicher (literarischer) Medien kompetenzdifferent mit Anpassung an die einzelnen Schüler*innen bearbeitet werden. Eine beispielhafte Umsetzung solchen Unterrichts stellt ein Lehr- und Forschungsprojekt dar, bei dem Schüler*innen einer 6. Klasse im Englischunterricht am Gegenstand des „Scary Sto-rytellings“ unterschiedliche Arten des Geschichtenerzählens praktizierten und einen Film als gemeinsames Produkt erarbeiteten.

Als besonderer Schwerpunkt der Thematisierung von Diversität wird in einigen Veranstaltungen der Fachdidaktik des Englischen inter- und transkulturelles Lernen als Anlass der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Kulturen genauer in den Blick genommen. Die Studierenden lernen verschiedene Kultur- und Identitätskonzepte kennen und werden zur Reflexion des Umgangs mit Stereotypen im Unterricht angeleitet. Außerdem werden vorhandene Materialien für interkulturelles Lernen im Englischunterricht gesichtet, evaluiert sowie auch selbst konzipiert und mit Mitstudierenden in Form von Micro-Teaching Units erprobt.

Curriculare Verankerung von Inklusion und Diversität

Inklusion und Diversität werden in der Fachdidaktik des Englischen im Bachelor innerhalb des Vermittlungs- und Fachdidaktikmoduls im Seminar „Introduction to English Language Teaching“ und in der Übung „Introduction to Cultural Learning“ thematisiert.

Im Master sind diese Themengebiete zum einen innerhalb des Moduls M.EP.03-1a/b-L, Fachdidaktik des Englischen mit Forschungs- bzw. Fachpraktikum, in möglichen Begleitseminaren (z. B. im SoSe 2018 im Begleitseminar zum Forschungspraktikum „Differentiation and learner orientation in FLT“) und in der Vorlesung und möglichen Übungen zur Fachdidaktik des Englischen verankert (z. B. im SoSe 2018 in der Übung „Learner orientation“; im SoSe 2016 in der Übung „Teaching Critical Cultural Awareness in the Classroom“; im WiSe 2018/19 in der Vorlesung „Literarische Texte im Fremdsprachenunterricht“). Zum anderen werden Inklusion und Diversität auch im zweiten fachdidaktischen Modul M.EP.03-2 in Wahlpflichtseminaren zur Fachdidaktik des Englischen (Vertiefung) behandelt (im SoSe 2018 wiederum im Seminar „Differentiation and learner orientation in FLT“; im WiSe 2018/19 im Seminar „Gender in FLT“).

Diskussionspunkte und offene Fragen

  • Voraussetzungen inklusiven Unterrichts

    Am Beispiel von handlungsorientiertem Literaturunterricht als inklusivem Unterricht kann hinterfragt werden, wie ein Gegenstand beschaffen sein sollte, um inklusiven Unterricht zu ermöglichen. Literatur wird aufgrund ihrer Offenheit häufig als geeigneter Lerngegenstand benannt. Dazu kommen jedoch auch Fragen der Bearbeitung, der Ziele und der Anpassung dieser Ziele für die einzelnen Schüler*innen, um (Literatur-)Unterricht inklusiv zu gestalten.


  • Möglichkeit eines gemeinsamen Lernziels auf Basis unterschiedlicher Bearbeitung

    Anhand der Frage, inwiefern es möglich ist, mittels unterschiedlicher literarischer Medien mit unterschiedlicher Sprachverwendung sprachliche Ästhetik zum gemeinsamen Lerngegenstand inklusiven Literaturunterrichts zu machen, kann diskutiert werden, inwiefern Schüler*innen über unterschiedliche Lernwege und Bearbeitungsmöglichkeiten gemeinsame Lernziele erreichen können bzw. welche gemeinsamen Lernziele dann sinnvoll erscheinen. So könnte ästhetisches Lernen nicht nur durch die Bearbeitung sprachlicher Mittel möglich sein, sondern auch durch den handlungsorientierten Umgang mit Literatur in Form von kleineren Inszenierungen sowie durch das eigene Verfassen von literarischen Texten, auch in Form von Hörtexten oder kurzen Filmen (vgl. Surkamp 2017; Delius/Surkamp 2017).


  • Umgang mit disziplinären Normen im Unterricht wie dem Sprechen in der Zielsprache vor dem Hintergrund der Diversität der Schüler*innen

    Der Umgang mit disziplinären Normen im Kontext von Inklusion und Diversität kann in Bezug auf Fremdsprachenunterricht z. B. dahingehend hinterfragt werden, inwiefern die Norm (weiterhin) gelten sollte, im Englischunterricht nur Englisch zu sprechen und nicht ins Deutsche (oder eine andere Sprache) zu wechseln bzw. wechseln zu dürfen. Ein möglicher inklusiver, diversitätssensibler Ansatz könnte sein, die Verwendung der deutschen (oder einer anderen) Sprache nicht kategorisch auszuschließen, sondern sie vielmehr als Scaffolding-Angebot, also als an die Lernenden angepasste und sukzessive abbaubare Hilfestellung, zu verstehen.


  • Reflexion von Widersprüchen von Normen und Bedürfnissen sowie unterschiedlichen Bedürfnissen

    Eine Frage betrifft die Reflexion der Studierenden bzgl. der Beachtung unterschiedlicher Bedürfnisse und Voraussetzungen von Schüler*innen sowie disziplinärer Normen. Inwiefern wird von Studierenden beobachtet, beschrieben bzw. reflektiert, dass inklusives und diversitätssensibles Unterrichten teilweise fachdidaktischen Normen entgegensteht bzw. es beim Beachten unterschiedlicher Bedürfnisse und Begabungen von Schüler*innen zu Kollisionen untereinander und mit normativen Vorstellungen von gutem Fremdsprachenunterricht kommen kann?


  • Diversitätssensibles Unterrichten und kategorisierende Vorannahmen

    Es stellt sich die Frage, inwiefern es möglich ist, gerade als Berufsanfänger*in bewusst Nicht-Kontrolle zuzulassen und damit ohne Vorannahmen, die zu sehr kategorisieren, und diversitätssensibel zu unterrichten. Wie sollte man im Studium damit umgehen, dass Unterrichtsbeobachtungen und daraus gezogene Rückschlüsse den Studierenden vor allem Sicherheit vermitteln, aber auch individuelle Lernwege von Schüler*innen verstellen können?


  • Beachtung der Heterogenität der Studierenden im Studium

    Als Einführung in das englischdidaktische Seminar und die Übung im Bachelor werden Studierende dazu eingeladen, ihre eigene Diversität z. B. in Hinblick auf ihre sprachlichen Kompetenzen, ihre individuellen Lernvoraussetzungen und auch in Bezug auf ihre Geschlechtervorstellungen zu reflektieren, um sich u. a. ihrer eigenen Diversität bewusst zu werden. Die individuelle Anpassung von Kompetenzzielen im Studium über den Anstoß einer Reflexion der eigenen Voraussetzungen hinaus stellt hingegen ein strukturelles Problem dar. Dabei stellt sich die grund-sätzliche Frage, inwiefern und in welchem Maße es sinnvoll und möglich ist, Lernziele, Lerngegenstände und Lernwege im Studium zu differenzieren.


  • Verhältnis Theorie und Praxis

    Auch in Bezug auf den Umgang mit Diversität und inklusivem Unterricht stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von theoretischer Vermittlung und Praxisbezug im Studium. So kann fachdidaktisches Wissen als theoretisches Fundament angesehen werden, Handlungsoptionen zu reflektieren und diversitätssensibel handeln zu können. In Bezug auf die Diversität der Studierenden kann man jedoch die Frage stellen, inwieweit alle Studierenden zu einer solchen Reflexion einer (fachdidaktischen) Theorie als Basis ihres unterrichtlichen Handelns in der Lage sind bzw. sein sollten. Daneben könnte sich eine gute Lehrkraft auch aufgrund ihres großen Fundus an Handlungsalternativen auszeichnen. Eine weitere Idee, eine Balance zwischen Theorie und Praxis herzustellen, könnte sein, in der Berufseinstiegsphase, aber auch an späteren Stellen in der Berufsbiographie immer wieder aus der Praxissicht heraus die Möglichkeit zu erhalten, sich theoriebasiert, d. h. wissenschaftsbasiert mit der Praxis z. B. in Bezug auf Inklusion auseinanderzusetzen.



    Literatur

    Surkamp, Carola (2017): „Inklusiver Fremdsprachenunterricht: Zum Potential von Literatur und handlungsorientierten Zugängen.“ In: Burwitz-Melzer, Eva et al. (Hrsg.). Inklusion, Diversität und das Lehren und Lernen fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 37. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr, 315-326.
    Delius, Katharina/Surkamp, Carola (2017): „Inklusion.“ In: Surkamp, Carola (Hrsg.). Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik: Ansätze – Methoden – Grundbegriffe. 2. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart/Weimar: Metzler, 139-140.