Frauenrechte in Ungarn

Auch in Ungarn bildeten sich im frühen 20. Jahrhundert die ersten Bewegungen für die Gleichstellung beider Geschlechter. Doch wie sehen die formalen Rechte einer ungarischen Frau heutzutage aus und wie beeinflusst die aktuelle Fidesz-Regierung diese?

Die ersten Bewegungen und das Wahlrecht

Die ersten Frauenrechtsbewegungen mussten in allen Staaten ihren Lauf nehmen, in Ungarn geschah ein großer Teil davon im Dezember 1904 mit der Gründung des Magyarországi Feministák Egyesülete (engl.: Association of Feminists of Hungary, kurz FE). Dies war ein kleiner, aber dynamischer Zusammenschluss, der Minderheitsrechte kritisierte und in der gesamten Bewegung eine wichtige Fraktion bildete. Eine nennenswerte ungarische Feministin, die schon früh für die weiblichen Rechte kämpfte, war Rosika Schwimmer (1877-1948).

In Ungarn wurden die ersten Schritte des Wahlrechts für Frauen im Jahre 1918 durch die Regierung Károlyi vollzogen. Durch diese trat das Volksgesetz Nummer 1 in Kraft, das zum ersten Mal in der ungarischen Geschichte beiden Geschlechtern gleiches aktives und passives Wahlrecht garantierte. Ein Jahr später weitete ein Wahlgesetz stufenweise das Wahlrecht der Frau aus, Frauen, die die ungarische Staatsbürgerschaft besaßen, über 24 Jahre alt waren und lesen und schreiben konnten, durften wählen. Doch die Voraussetzungen, die für die Frauen galten, waren wesentlich strenger als die der Männer, eine Wahlrechtsreform aus dem Jahr 1922 erhöhte das Wahlalter für Frauen auf über 30 und auch die Schulausbildung der Frauen wurde strenger gehandhabt (im Vergleich: Männer brauchten vier Jahre Grundschulausbildung und Frauen sechs Jahre um wählen zu dürfen). Zwei Jahre zuvor, 1920, wurde Margit Slachta (1884-1974) als erste Frau ins nationale Parlament gewählt.

1945 wurde in Ungarn das uneingeschränkte Wahlrecht für beide Geschlechter wiederhergestellt und 1948 durch die Errichtung der Volksrepublik Ungarn, wie wir es heute kennen, zu einem formalen Recht erklärt.

Die aktuellen Rechte und ihre Umsetzung

Das heutige Grundgesetz Ungarns besagt gleiches Recht für Männer und Frauen, garantiert die Menschenrechte für alle und gibt an, Chancengleichheit zu fördern sowie Maßnahmen zum Schutz für Minderheiten (also in gewissermaßen auch Frauen) zu vollziehen. Die politischen Rechte der Frau wurden aus dem UN-Übereinkommen aus dem Jahr 1953 übernommen.

Doch seit Ministerpräsident Viktor Orbán mit seiner Partei Fidesz das Land seit 2010 regiert, zeigen sich Abweichungen dieser eigentlich geltenden Rechte. Die Vorstellungen der Partei weisen eine eher konservative Geschlechterordnung sowie Familienpolitik vor.

Das wesentliche Ziel der Partei ist es, die Geburtenrate zu erhöhen. Die Rechte der Frauen werden hierbei untergeordnet, laut Orbán müsse sich die Familienpolitik auf die Mütter stützen. Er gibt stolz an, für die Familien zu investieren und tatsächlich fließen ca. 5% des Bruttoinlandsprodukt in die Förderung der Familie ein. Doch diese Unterstützung erhalten nur die Familienkonstellationen, die den Wertevorstellungen der Regierung entsprechen, also knapp zusammengefasst, heterosexuelle Ehepaare mit ehelichen Kindern.

Die Geburtenrate in Ungarn stieg seit Orbáns Amtsantritt 2010 tatsächlich leicht an, die Privilegien, die eine Familie von der Regierung bei vielen Kindern versprochen bekommt, scheinen teilweise zu funktionieren. Je schneller und mehr Kinder eine Frau bekommt, desto praktischer oder, besser gesagt, billiger wird es für die ungarischen Familien. Denn in Ungarn werden die Erlassung von Steuern und billigere Kredite für z. B. Immobilien einer Familie mit Kindern garantiert, bei mehr Kindern werden diese Vorteile stufenweise ausgeweitet. Von diesen Maßnahmen profitieren allerdings nur die reichen Familien.

Allgemein sollten sich die Frauen der eigenen Familie unterordnen. Dazu passen auch die Vorstellungen der ehemaligen Familienministerin Katalin Novák, die sie in einem Video (2020) schilderte (seit 2022 ist sie Staatspräsidentin von Ungarn). Laut ihr müssten sich Frauen nicht immer mit Männern messen und ein kontinuierliches Streben besitzen, die gleichen Positionen oder Bezahlungen zu erhalten. Frauen sollten auf keinen Fall ihre Privilegien wegen eines für sie "falsch verstandenen Kampfes für Emanzipation" (Veyder-Malberg, mdr.de) aufgeben. Eine starke und erfolgreiche Frau übernehme Verantwortung und verzichte zu Gunsten ihrer Familie.

Diese Vorstellungen zur Rolle der Frau spiegeln sich auch in der aktuellen Regierung wieder. Der Frauenanteil in der ungarischen Politik ist gering, man könnte von einer Unterrepräsentierung der Frauen sprechen. Das ungarische Parlament weist einen Frauenanteil von 13% vor, dies ist einer der niedrigsten Prozentanteile, wenn man die Industrieländer betrachtet. In Orbáns Kabinett selbst sitzt die einzige Frau (Justizministerin Judit Varga) 14 Männern gegenüber.

Beim Gleichstellungsindex der EU, der verschiedene Indikatoren wie z. B. Bildung betrachtet, landete Ungarn auf dem vorletzten Platz.

Quellen:
Szapor, Judith. Hungarian Women´s Activism in the Wake of the First World War, From Rights to Revanche. 2018. New York. (Bloomsbury)
Veyder-Malberg, Thyra. Emanzipation Adé, Testlabor Ungarn: Frauen zurück an den Herd!. 2022. mdr.de (https://www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/politik/ungarn-abtreibung-gender-emanzipation-frauenrechte-gleichstellung-100.html)
https://de.wikipedia.org/wiki/Frauenwahlrecht_in_Ostmittel-_und_Osteuropa
https://de.wikipedia.org/wiki/Frauenwahlrecht_in_Europa#Antifeminismus
https://emberijogok.kormany.hu/nok

Titelbild: Zoe VandeWater auf Unsplash

Text: Liv Kallender, Praktikantin, Gymnasium an der Stadtmauer Bad Kreuznach