Dr. Roland Pfau

Von September 2011 bis Januar 2012
Dr., Assistenzprofessor für Allgemeine Sprachwissenschaften
Universiteit van Amsterdam, Niederlande

Geboren 1966 in Wasserlos, Deutschland
Studium der Germanistik sowie der Romanistik und Psychologie in Frankfurt



Forschungsvorhaben
Gebärdensprachgrammatik – synchrone und diachrone Aspekte

Gebärdensprachen verwenden grammatische Strukturen, die denen von Lautsprachen, was Komplexität und Ausdruckskraft betrifft, in nichts nachstehen. Dies trifft auf alle Ebenen linguistischer Beschreibung zu: Phonologie, Morphologie und Syntax. Auch konnte gezeigt werden, dass theoretische Erklärungsmodelle, die auf der Basis von Lautsprachen entwickelt wurden, meist auch Gebärdensprachstrukturen beschreiben können. Mit anderen Worten: diese Modelle sind unabhängig von der Sprachmodalität.
Was syntaktische Strukturen betrifft, gibt es jedoch einen Aspekt, der deutlich durch die visuell-räumliche Modalität von Gebärdensprachen beeinflusst ist: die Verwendung des Gebärdenraumes (d.h. des Raumes vorm Körper des Gebärdenden) für grammatische Zwecke, wie z.B. die Realisierung von Verbkongruenz und Lokativkonstruktionen. Im Rahmen meines Forschungsprojektes möchte ich untersuchen, ob auch diese Phänomene – ungeachtet ihres scheinbar modalitätsspezifischen und ikonischen Charakters – mit Modellen erklärt werden können, die ursprünglich auf der Basis von (typologisch diversen) Lautsprachen entwickelt wurden.
Um ein Beispiel zu geben: In vielen Gebärdensprachen kann die Bewegung mancher Verbgebärden modifiziert werden, so dass deutlich wird, wer Subjekt und Objekt der durch das Verb ausgedrückten Handlung ist (z.B. “ich helfe dir” versus “du hilfst mir”); d.h. diese Verben kongruieren mit ihrem Subjekt und Objekt. Subjekt- und Objektkongruenz gibt es natürlich auch in zahlreichen Lautsprachen; die Frage ist jedoch, ob wir es tatsächlich mit demselben Phänomen zu tun haben.
Desweiteren interessiert mich, wie sich solche Konstruktionen im Laufe der Zeit entwickeln. Um beim obigen Beispiel zu bleiben: Historische sprachwissenschaftliche Studien haben nachgewiesen, dass sich Kongruenzmorphologie in Lautsprachen diachron oft aus Pronomina entwickelt. Interessanterweise verwenden Gebärdensprachpronomina dieselben Raumpunkte, die auch bei Kongruenz eine zentrale Rolle spielen. Hinzu kommt, dass Pronomina Zeigegebärden ähneln, wie sie auch in sprachbegleitender Gestik („co-speech gesture“) oft vorkommen. Es liegt somit die Vermutung nahe, dass sich gestische Elemente in Gebärdensprachen zu grammatischen Elementen entwickeln können. Lokativkonstruktionen (z. B. “das Buch liegt auf dem Tisch”) sind in diesem Zusammenhang ebenfalls relevant, da auch diese Konstruktionen Raumpunkte verwenden, um räumliche Relationen auszudrücken. Präpositionen (wie “auf“, „neben“, „in”) dagegen finden in Gebärdensprachen kaum Verwendung.
Im Zusammenhang mit meinem Forschungsprojekt fand am Lichtenberg-Kolleg vom 13. – 14. Oktober 2011 ein Workshop statt, den Prof. Dr. Markus Steinbach und Dr. Annika Herrmann gemeinsam mit mir organisiert haben (“Complex sentences and beyond in sign and spoken languages”) und bei dem internationale Gebärdensprachlinguisten vortrugen.


Ausgewählte Publikationen

Pfau, R. 2008. The grammar of headshake: A typological perspective on German Sign Language negation. Linguistics in Amsterdam 1, pp. 37-74.

Pfau, R. 2011. «A point well taken: On the typology and diachrony of pointing» in D. J. Napoli & G. Mathur (eds.): Deaf around the world. The impact of language. Oxford: Oxford University Press, pp. 144-163.

Pfau, R. / Steinbach, M. 2006. Pluralization in sign and in speech: A cross-modal typological study. Linguistic Typology 10, pp. 135-182.

Pfau, R. / Steinbach, M. 2006. Modality-independent and modality-specific aspects of grammaticalization in sign languages. Linguistics in Potsdam 24, pp. 3-98.

Steinbach, M. / Pfau, R. 2007. «Grammaticalization of auxiliaries in sign languages» in P. Perniss, R. Pfau & M. Steinbach (eds.): Visible variation: Comparative studies on sign language structure. Berlin: Mouton de Gruyter, pp. 303-339.