17/11/2010: Widersprüchliches zur Beschäftigungslage Älterer
Nach einem Bericht der Financial Times Deutschland gingen Arbeitsmarktforscher davon aus, dass sich die Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer künftig „drastisch verbessern“ würden. So erwarte Oliver Stettes vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) einen "massiven Beschäftigungsaufbau". Der Arbeitsmarktexperte des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Martin Dietz, halte bei den über 60-Jährigen langfristig eine Beschäftigungsquote von bis zu 50 Prozent für möglich. Er räumte aber auch ein, dass Deutschland bei den Jobchancen für Ältere im OECD-Vergleich weiter hinterherhinke.
Ein heute vom Bundesarbeitsministerium vorgelegter Prüfbericht zu den Chancen älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt stellt schon für die Gegenwart eine positive Entwicklung fest. Wie die taz dazu berichtet, spreche der Bericht von einer deutlich verbesserten Beschäftigungslage für ältere Beschäftigte. Laut Bericht habe sich die Beschäftigungsquote der 60- bis 64-Jährigen in sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten zwischen 2000 und 2009 auf rund 23 Prozent verdoppelt. Auch in der Gruppe der 55- bis 65-Jährigen sei die Quote zwischen 2005 und 2009 von 29,3 auf 37,3 Prozent gestiegen.
Während Arbeitsministerin von der Leyen in den Zahlen den Beleg für eine positive Entwicklung am Arbeitsmarkt sieht, interpretiert der Ökonom und Rentenforscher Ernst Kistler die Zahlen in der taz dagegen anders. Er kritisiert, dass auch Menschen in der passiven Phase der Altersteilzeit als Beschäftigte mitgezählt würden, obwohl sie gar nicht mehr im Betrieb arbeiteten. Zudem würde die Aggregation der Daten zu der Gruppe der 55- bis 64-Jährigen die Realität am Arbeitsmarkt verschleiern. Dadurch werde nicht ersichtlich, dass ab 63 Jahren die Erwerbsquote, zumal die der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, rapide abnehme. Gerade einmal jeder Zehnte habe mit 64 Jahren eine abgesicherte Beschäftigung. Und die könne dann immer noch Teilzeit- oder Leiharbeit sein.
Kistler kann sich dabei auf Zahlen berufen, die die Bundesregierung schon im Juni in einer Antwort auf eine Große Anfrage der Linkspartei zur Beschäftigungssituation Älterer vorgelegt hatte (siehe 18.08.2010). Danach liegt die Beschäftigungsquote aller 55- bis 65-Jährigen zwar bei 58,5 Prozent, von den 60- bis 65-Jährigen ist aber nur noch ein Drittel und von den 64-Jährigen nur noch ein Viertel in irgendeiner Form beschäftigt. Einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit gehen aber nur 38 Prozent aller 55- bis 65-Jährigen und nur 10 Prozent der 64-Jährigen nach.
Die Arbeitsmarktchancen und die Entwicklung der Erwerbstätigenquote von Älteren spielen eine zentrale Rolle für die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Union und SPD hatten das Gesetz zur Rente mit 67 einschließlich einer Überprüfungsklausel 2007 beschlossen. Danach muss erstmals 2010 überprüft werden, ob die Arbeitsmarktlage für Ältere die Anhebung des Rentenalters erlaubt. Dies bejaht der Bericht. Kritiker sehen dagegen aufgrund der zu geringen Beschäftigungsquote Älterer in der Rente mit 67 eine faktische Rentenkürzung.
Die Datenlage zu Ausmaß und Qualität der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer/innen ist insgesamt als unübersichtlich, lückenhaft und (auch aufgrund interessenspezifischer Aufbereitung) teils als widersprüchlich zu bezeichnen. Die Entwicklung der Erwerbstätigkeit Älterer wird in vielen Statistiken nur allgemein dokumentiert, ohne dass zwischen den unterschiedlichen Erwerbsformen (Normalarbeitsverhältnis oder atypische Beschäftigungsformen) differenziert wird.
So berichtete beispielsweise die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 14.11.2010 von aktuellen Zahlen der Statistikbehörde Eurostat, wonach in Deutschland die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen seit 2007 um fast 8 Prozentpunkte auf 57,4 Prozent (im zweiten Quartal 2010) gestiegen sei. Damit nehme Deutschland hinter einigen skandinavischen Ländern und Zypern eine Spitzenposition in Europa ein. Auffallend hoch sei der Wert für die erwerbstätigen 55- bis 59-Jährigen mit 71,2 Prozent. Noch weitaus niedriger ist die Quote der rentennahen Altersgruppe (60 bis 64 Jahre) mit 41,1 Prozent. Allerdings sei hier der Zuwachs seit 2007 mit fast 10 Punkten am größten.
Auch das Statistische Bundesamt (DESTATIS) hatte im September von einer wachsenden Erwerbsbeteiligung älterer Menschen berichtet. So seien im Jahr 2009 mit 38,7 Prozent der Personen zwischen 60 und 64 Jahren fast doppelt so viele Ältere erwerbstätig wie zehn Jahre zuvor (siehe 21.09.2010).
Über die Qualität der Jobs kann der Begriff der Erwerbstätigkeit jedoch keine Aussagen treffen. Als erwerbstätig gelten in den deutschen Arbeitsmarktstatistiken alle Personen, die als Arbeitnehmer (Arbeiter, Angestellte, Beamte, geringfügig Beschäftigte, Soldaten) oder als Selbstständige beziehungsweise als mithelfende Familienangehörige eine auf wirtschaftlichen Erwerb gerichtete Tätigkeit ausüben, unabhängig vom Umfang dieser Tätigkeit. Somit gehören auch Minijobber, geliehene Aushilfen und Ein-Euro-Jobber zu den Erwerbstätigen.
Aber auch eine Betrachtung allein der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, wie sie der Prüfbericht zu den Chancen älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt vorgenommen hat, ist nur dann wirklich aufschlussreich, wenn eine Differenzierung nach Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung vorgenommen wird, wie sie der „Vierte Monitoring-Bericht des Netzwerks für eine gerechte Rente“ bietet (siehe 17.09.2010).
Kürzlich hatte die Süddeutsche Zeitung (13.11.2010) auch darüber berichtet, dass in Deutschland einer Statistik zufolge immer mehr Arbeitnehmer zwischen 60 und 64 Jahren arbeitslos seien. Das Risiko, kurz vor Eintritt in den Ruhestand den Job zu verlieren, habe sich in den vergangenen drei Jahren stark erhöht. Hauptursache für die höhere Arbeitslosigkeit bei den über 60-Jährigen seien geänderte rechtliche Rahmenbedingungen. So sei 2009 die staatliche Förderung der Altersteilzeit ausgelaufen, und schon Ende 2007 wären bestimmte Vorruhestandsregeln weggefallen: Hinzu komme aber auch ein demografischer Effekt: Der Altersaufbau der Bevölkerung ändere sich. Die Bevölkerung schrumpfe und werde älter - und mit ihr sowohl die Beschäftigten wie auch die Arbeitslosen.
Quellen: FTD.de vom 16.11.2010
taz vom 17.11.2010
FAZ.net vom 14.11.2010
Sueddeutsche.de vom 13.11.2010
Weiterlesen: