26/09/2013:
Hartz-Reformen haben Löhne gedrückt und Lohnspreizung erhöht

Die von der rot-grünen Bundesregierung zwischen 2003 und 2005 durchgeführten Arbeitsmarktreformen (Hartz I-IV) stellen den radikalsten sozialpolitischen Eingriff in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands dar. Die vielfach versprochenen positiven Arbeitsmarkteffekte sind nicht (jedenfalls nicht durch die Hartz-Reformen) eingetreten. Stattdessen haben die Flexibilisierung und Deregulierung des Arbeitsmarkts zu einer starken Ausweitung des Niedriglohnsektors (siehe 10.09.2012 und 25.07.2013) und zu einer Zunahme atypischer, oft prekärer Erwerbsformen zulasten des existenzsichernden Normalarbeitsverhältnisses geführt (siehe 16.12.2011). Auch hat sich durch die rot/grünen Hartz-Reformen die Armut bei Erwerbstätigen und Arbeitslosen in Deutschland stärker ausgebreitet als in allen anderen EU-Ländern (siehe 24.05.2012).

Zu weitgehend ähnlichen Ergebnissen kommen auch Wissenschaftler von Forschungsinstituten, die der Agenda 2010 (eher) positiv gegenüberstehen, wenn sie nicht noch stärker neoliberal ausgerichtete Arbeitsmarktreformen befürworten. Jüngstes Beispiel: In einem kürzlich erschienenen Beitrag für die Reihe IZA Discussion Paper des arbeitgebernahen Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) haben die Autoren Gianna C. Giannelli (Wirtschaftsprofessorin an der Universität Florenz), die Wirtschaftswissenschaftlerin Ursula Jaenichen und der Sozialwissenschaftler Thomas Rothe (beide vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) eine quantitative Analyse vorgelegt in der sie die Qualität der zwischen 1998 und 2010 neu entstandenen Arbeitsplätze (gemessen an Beschäftigungsdauer und Verdiensthöhe) von verschiedenen Beschäftigungsgruppen untersucht haben. Ihre Auswertung von Daten der Integrierten Erwerbsbiographien (IEB) des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt nach eigener Aussage einerseits ein relativ konstantes Niveau der allgemeinen Stabilität von Arbeitsplätzen, andererseits aber abnehmende Reallöhne und steigende Lohnspreizung im Zeitverlauf.

In Bezug auf die Stabilität der Beschäftigungsverhältnisse stellen die Autoren fest, dass die durch die Arbeitsmarktreformen herbeigeführte Flexibilisierung des Arbeitsmarktes nicht den erwarteten negativen Einfluss auf die Beschäftigungsdauer ausgeübt hat. Ein Rückgang der Beschäftigungsstabilität konnte für keine der nach Alter, Geschlecht und Qualifikationsniveau differenziert untersuchten Beschäftigtengruppen festgestellt werden. Zugleich hat sich aber auch nichts daran geändert, dass die Beschäftigungsdauer bei Leiharbeitern, Geringqualifizierten und aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung eintretenden Personen deutlich kürzer ist.

Die Analyse der Lohnverteilung ergab dagegen sowohl Reallohnverluste als auch eine zunehmende Lohnspreizung. Dabei waren es vor allem die am Arbeitsmarkt benachteiligten Beschäftigtengruppen, die überproportionale Lohnverluste hinnehmen mussten. Insgesamt waren die Lohneinbußen in den Jahren 2006 bis 2009 höher als in der Reformperiode 2003 bis 2005. Die Autoren schlussfolgern daraus, dass die Hartz-Reformen nicht Alleinverursacher der Entwicklung waren, sondern einen bereits vorhandenen Trend der Lohnabsenkung und der wachsenden Lohnungleichheit verstärkt haben, eine Entwicklung, unter der insbesondere die unteren Einkommensgruppen stark zu leiden haben.

In Bezug auf die Aussagekraft ihrer Befunde müssen die Verfasser allerdings einräumen, dass ihre Ergebnisse keine umfassende Gültigkeit beanspruchen können, da nicht alle Beschäftigten in die Auswertung einbezogen werden konnten. So ist ihre Lohnanalyse auf Vollzeitbeschäftigte beschränkt, zudem wurden Minijobber, Solo-Selbstständige und Beamte nicht mitberücksichtigt. Und auch bei der Analyse der Beschäftigungsdauer konnte nicht zwischen unbefristeten und befristeten Arbeitsverhältnissen unterschieden werden.

Quelle:
Giannelli, G./ Jaenichen, U./ Rothe, T. (2013): Doing Well in Reforming the Labour Market? Recent Trends in Job Stability and Wages in Germany, IZA Discussion Paper, No. 7580, August 2013.