ERSATZTERMIN: 15.05.2019: Marion Schmidt, PhD (Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universitätsmedizin Göttingen): „Gehörlosigkeit als Pathologie oder (Bio-)Diversität? Genetische Beratung in den USA, 1930 – 1990“
Ersatztermin für den entfallenen Vortrag am 17.4.
Im Rahmen des Institutskolloquiums der Diversitätsforschung hält Marion Schmidt am 15.05.2019 um 12:15 - 13:45 in Raum OEC 1.165 einen Fachvortrag zum Thema:
"Gehörlosigkeit als Pathologie oder (Bio-)Diversität? Genetische Beratung in den USA, 1930 – 1990"
Gehörlosigkeit ist eine polarisierende Eigenschaft. Für die einen ist es eine Behinderung, die durch Medizin und Wissenschaft verhindert werden soll. Für viele Gehörlose selbst – und zunehmend auch für Forschende der Sprach-, Kultur- und Geisteswissenschaften – ist sie Merkmal einer sprachlichen Minderheit mit ihrer eigenen Kultur, Gemeinschaft und Geschichte, Teil einer diversen Gesellschaft.
Auch die Eugenik und Genetik verfolgten lange Zeit das Ziel, Taubheit zu verhindern. Dabei vermischten sich eugenische und pädagogische Motive unter dem größeren Ideal, Gehörlose sprachlich und körperlich zu normalisieren. Seit den 1970ern zeigt sich jedoch in den USA ein Paradigmenwandel: Genetiker*innen identifizieren sich zunehmend mit Gehörlosenkultur und -Gemeinschaft, bieten genetische Beratung in Gebärdensprache an, und bezeichnen Gehörlosigkeit nicht als Defekt, sondern als Merkmal menschlicher Diversität.
In meinem Vortrag setze ich diese Entwicklung in Beziehung mit größeren Trends: einem Paradigmenwandel in der Genetik hin zu Patient*innenautonomie und nichtdirektiver Beratung, einer veränderten Wahrnehmung von sozialer und kultureller Diversität in der amerikanischen Gesellschaft und nicht zuletzt der Einfluss der Gehörlosenbewegung. Die Geschichte der genetischen Taubheit demonstriert damit, unter welchen Umständen die Perspektiven von Minderheiten in Medizin und Wissenschaft ausgeklammert oder inkludiert wurden, wie sich soziokulturelle Modelle von Behinderung entwickelten und nicht zuletzt, wie Genetik für Gehörlosenaktivist*innen Teil eines größeren Arguments für biokulturelle Diversität wurde.
Aushang (PDF)
Der Veranstaltungsraum ist barrierefrei zugänglich.
Alle sozialwissenschaftlich Interessierten sind herzlich eingeladen.