Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren
Die Stellung des Verletzten im Strafverfahren wurde in den letzten Jahren erheblich gestärkt. Die Diskussion um Verletzte im Strafverfahren beschränkte sich aber lange Zeit auf den Erwachsenenbereich und klammerte das Jugendstrafverfahren weitgehend aus.
Seit einiger Zeit ist jedoch auch die Stellung des Verletzten im Jugendstrafverfahren in den Blickpunkt des Interesses geraten. Dabei ging es zunächst darum, ob die durch das Opferschutzgesetz geschaffenen allgemeinen Verletztenrechte auch im Jugendstrafverfahren anwendbar sind. Seit kurzem verstärken sich aber die Stimmen, die für das Jugendstrafverfahren ein generelles Überdenken der Opferrolle fordern. Die stärkere Berücksichtigung des Verletzten im allgemeinen Strafverfahren und die zunehmende Bedeutung des Täter-Opfer-Ausgleichs haben die Diskussion darüber belebt, ob und inwieweit der kategorische Ausschluss von Privatklage, Nebenklage und Adhäsionsverfahren gegen jugendliche Angeklagte zurückgenommen und eine weitergehende Beteiligung des Verletzten ermöglicht werden sollte.
Die Arbeit soll einen Beitrag zu dieser aktuellen Debatte um die Rolle des Verletzten im Jugendstrafverfahren leisten. Sie geht der Frage nach, ob und inwieweit in einem am Erziehungsgedanken orientierten Jugendstrafverfahren Opferbelange berücksichtigt werden können oder die Besonderheiten der Jugendkriminalität und des Jugendstrafrechts eine andere Behandlung des Verletzten rechtfertigen oder sogar fordern. Dieses Problem soll sowohl aus theoretischer als auch aus empirischer Perspektive betrachtet werden.
Die Darstellung konzentriert sich auf die passiven und aktiven Partizipationsrechte, d.h. die allgemeinen Verletztenrechte gem. §§ 406d ff. StPO, die Nebenklage, das Adhäsionsverfahren, die Privatklage und das Klageerzwingungsverfahren, da nur in diesem Bereich Unterschiede zwischen allgemeinem und Jugendstrafverfahren bestehen.
In dem theoretischen Teil der Arbeit soll zunächst die Bedeutung des Erziehungsgedankens für die Gestaltung des Jugendstrafverfahrens untersucht werden. Denn die Einschränkung der Verletztenrechte im Jugendstrafverfahren wird vorrangig damit begründet, dass die Gewährung von Partizipationsrechten nicht mit einem am Erziehungsgedanken orientierten Verfahren zu vereinbaren sei. Die Beeinträchtigung der erzieherischen Belange durch eine Opferberücksichtung wird aber nur selten näher konkretisiert. Um aus dem Erziehungsgedanken tatsächlich Folgerungen für die Ausgestaltung der Verletztenstellung im Jugendstrafverfahren ziehen zu können, muss daher zunächst geklärt werden, was genau unter dem Erziehungsgedanken zu verstehen ist und welche Konsequenzen sich aus dem Erziehungsgedanken für die Gestaltung des Jugendstrafverfahrens ableiten lassen. Anschließend soll die rechtliche Stellung des Verletzten im Jugendstrafverfahren nach der geltenden Rechtslage dargestellt werden. Dabei geht es insbesondere um die Anwendbarkeit der §§ 406d ff. StPO im Jugendstrafverfahren sowie um die Zulässigkeit der Nebenklage in Verfahren, in denen ein Jugendlicher zusammen mit Heranwachsenden oder Erwachsenen angeklagt ist. Und schließlich soll der Frage nachgegangen werden, ob die vorhandenen Einschränkungen der aktiven Verletztenrechte durch das Jugendgerichtsgesetz gerechtfertigt sind oder ob eine Erweiterung dieser Rechte angemessen erscheint. In diesem Zusammenhang soll eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Gesetzgebungsvorschlägen und Positionspapieren, die in den letzten Jahren zu diesem Thema erschienen sind, stattfinden.
Im zweiten Teil der Arbeit soll der Konflikt zwischen Verletztenrechten und der erzieherischen Ausrichtung des Jugendstrafverfahrens empirisch untersucht werden. Zu diesem Zweck wurden Jugendrichter, Jugendstaatsanwälte und Strafverteidiger aus Niedersachen mit Hilfe standardisierter Fragebögen zum Thema Opferschutz im Jugendstrafverfahren befragt. Diese Befragung soll Erkenntnisse darüber liefern, welche Rolle die Verletztenrechte im Rechtsalltag des Jugendstrafverfahrens spielen, wie sich die Umsetzung der Verletztenrechte auf das Verfahren auswirkt und wie die Praxis einer möglichen Erweiterung der Verletztenrechte im Jugendstrafverfahren gegenübersteht.
Zapf, Jana Christina, Opferschutz und Erziehungsgedanke im Jugendstrafverfahren,
Göttinger Studien zu den Kriminalwissenschaften, Band 17, Göttingen 2012.