Von der „Ethnographischen Sammlung“ des Academischen Museums zum Institut für Ethnologie – ein kurzer Überblick
Völkerkunde im ersten deutschen Universitäts-Museum
Sehr viel früher als anderswo innerhalb Deutschlands wurde der Grundstein für das Fach Ethnologie im Sinne einer kulturvergleichenden Wissenschaft mit besonderer Betonung außereuropäischer Gesellschaften in Göttingen gelegt. Während die meisten der deutschen Völkerkunde-Museen während der Kolonialzeit um die Wende des 19./ 20. Jahrhunderts gegründet wurden und sich die Völkerkunde an den Universitäten als selbständige Disziplin erst in der Folgezeit etablierte, setzte eine intensive Beschäftigung mit völkerkundlichen Themen ebenso in Forschung und Lehre wie auch im Museumsbereich an der Georgia Augusta bereits in der Zeit der Aufklärung ein. Bald nach Gründung der Universität im Jahr 1737 verfolgte man, undogmatisch und weltoffen, neben allgemein-kulturhistorischen auch ethnologiusche Fragestellungen und baute in dem 1773 eröffneten Academischen Museum, dem ersten Universitäts-Museum in Deutschland, systematisch eine „Ethnographische Sammlung“ auf.
Frühe internationale Kontakte
Insbesondere der Initiative des Göttinger Naturforschers und Anthropologen Johann Friedrich Blumenbach ist es durch dessen weitreichende Kontakte zu wissenschaftlichen Teilnehmern der Großen Entdeckungsreisen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu verdanken, dass dieses Museum, das seiner Bestimmung nach „nicht zum Prunck, sondern lediglich zum Gebrauch, zur Untersuchung und zum Unterricht“ ( Georg Christoph Lichtenberg) dienen sollte, eine unübersehbare ethnographische Prägung erhielt. Vor allem zwei aus Blumenbachs internationalen Kontakten herrührende Sammlungen, die er für Göttingen erwerben konnte, bildeten hier den Ausgangspunkt völkerkundlicher Forschung: zum einen die sich aus authentischen, europäisch noch unbeeinflussten Kulturdokumenten der arktischen Regionen von Sibirien und Alaska bestehende Baron von Asch-Sammlung, zum anderen die auf den berühmten englischen Kapitän James Cook und seine wissenschaftlichen Begleiter Johann Reinhold und Georg Forster zurückgehende, sich aus 500 Ethnographica zusammen-setzende und weltweit einzigartige Südsee-Sammlung (Cook-/Forster-Sammlung). Diese überaus wertvollen Altbestände haben dazu beigetragen, dass nach Auflösung des Academischen Museums infolge des Tods von Blumenbach im Jahr 1840 die völkerkundliche Forschung an der Universität Göttingen, vor allem mit ihrer Zentrierung auf die Südsee (Ozeanien), nicht in Vergessenheit geriet, sondern aufgrund ihrer internationalen Anerkennung eine dauerhafte Verankerung im Göttinger Universitätsbetrieb erhielt.
Institutionalisierung und kulturelles Vermächtnis
Mit Aufnahme des ethnologischen Unterrichtsbetriebs an der Universität im Jahr 1928, der Einrichtung eines Ordinariats für Völkerkunde (1934) und der anschließenden Gründung von Institut und Sammlung für Völkerkunde (1935/36) wurde Ozeanien die Hauptregion in Lehre und Forschung. Im Zentrum des Instituts standen damals die „Lehrsammlungen“, zu denen vorrangig die heute weltberühmte Cook-/Forster-Sammlung gehörte.
Aus heutiger Sicht birgt die seinerzeit vollständig in das Institut für Völkerkunde ein gegliederte Ethnologische Sammlung mit ihren mittlerweile auf 17.000 Ethnographica angewachsenen Beständen ein einmaliges kulturelles Vermächtnis – sowohl rein wissen-schaftshistorisch für die Göttinger Universität insgesamt als auch spezifisch ethnologisch für das Institut, was vor allem die Kulturdokumente aus Ozeanien betrifft. Seit nunmehr etwa 70 Jahren wurden deshalb die Fachbibliothek sowie die Foto- bzw. Bildersammlung gezielt mit dem Schwerpunkt Ozeanien erweitert.
Das Institut für Ethnologie und seine derzeitigen Forschungsschwerpunkte
"Asia-Pacific" und Afrika sind die regionalen Schwerpunkte des Instituts und bilden den Rahmen für gegenwartsbezogene und problemorientierte Untersuchungen, die den ökologischen, kolonialgeschichtlichen und kulturellen Unterschieden und Gemein-samkeiten beider Großregionen Rechnung tragen.
Hinzu kommt ein Komplex sachthematischer Forschungsschwerpunkte: soziales und politisches Handeln in unterschiedlichen postkolonialen Gesellschaften (Staatsbildung, sozioökonomische Grundlagen und ökologisches Wissen), Differenz (vor allem zu gender, Körper und Emotionen in verschiedenen kulturellen Artikulationen), Transformationsprozesse auch hinsichtlich Wertvorstellungen und Orientierungssystemen, Migration und Globalisierung sowie exemplarische Forschungen an Kulturdokumenten (Objekt-Kultur-Identität), ausgehend vom inhaltlichen Potenzial des wissenschaftlichen Kulturarchivs des Instituts. Die auf der Grundlage dieses wissenschaftlichen Kulturarchivs, also aus der optimalen Verzahnung von Fachbibliothek, Schriftgut- und Bild-Magazin sowie der Ethnologischen Sammlung resultierenden Forschungsergebnisse schlagen sich sowohl in Publikationen als auch in Ausstellungen nieder und fließen ständig in die Lehre ein.
Aufgrund der regionalen Schwerpunkte ("Asia-Pacific" und Afrika) ist das Institut für Ethnologie seit Jahrzehnten durch Forschungskooperationen mit verschiedenen universitären und außeruniversitären Institutionen, auch im Hinblick auf den Austausch von Studierenden, verbunden. Um einige herausragende Beispiele dafür zu nennen: Mit dem Institut für den Wissenschaftlichen Film (IWF Wissen und Medien gGmbH) als einer wichtigen fachnahen außeruniversitären Einrichtung besteht eine bereits länger existierende kontinuierliche Zusammenarbeit im Hinblick auf die Durchführung des alle zwei Jahre in Göttingen stattfindenden Internationalen Festivals des ethnologischen Films (GIEFF) und in bezug auf die Lehre (dreisemestrige ethnologische Filmpraktika, Abschlussarbeiten im Bereich der Visuellen Anthropologie). Bezüglich der Durchführung von Museumspraktika für Studierende steht das Institut traditionell im engen Kontakt mit dem Landesmuseum in Hannover. Das Institut ist in zahlreichen und überregionalen Kooperationen vernetzt.
Alle Themen, besonders auch die Drittmittelprojekte, mit denen sich das Institut für Ethnologie in Forschung und Lehre befasst, sind im Spannungsfeld von „Eigenem“ und relational „Fremdem“ angesiedelt.
Die bereits bestehende Vernetzung mit anderen Fächern und Einrichtungen vor allem der Sozialwissenschaftlichen Fakultät (z.B. Methodenzentrum und Geschlechterforschung) soll zukünftig noch ausgedehnt werden. Hierzu bieten die neuen Schwerpunkte der Kultursoziologie (Migration, Ethnizität und Religionssoziologie) und der Politikwissenschaften zahlreiche neue Anknüpfungspunkte, die auch kooperative, sogar universitätsübergreifende Projekte nahe legen. Die Mitarbeit in einer sich derzeitig im Aufbau befindlichen Forschergruppe zur Thematik „Cultural Property/ Intellectual Property“ seitens des Instituts für Kulturanthropologie/ Europäische Ethnologie bildet einen ersten Schritt zur Umsetzung solcher Vorhaben.