Person, Selbst und Emotion im Spannungsfeld lokaler und globaler Prozesse: Biographische Annäherungen

Laufzeit von: 01.01.2001
Laufzeit bis: 01.10.2003


Im Rahmen der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde (7. - 10. Oktober 2001), die vom Institut für Ethnologie an der Universität Göttingen organisiert wurde, hielten wir einen Workshop zur ethnologischen Biografieforschung ab. In der Folgezeit wurden die Beiträge für die Publikation in einem Sammelband überarbeitet. Ausgangspunkt für die versammelten Studien ist die Annahme, dass Lebensgeschichten einen guten Zugang zu persönlichen Erfahrungen in lokal-global vernetzten Welten eröffnen. Sie können Aufschluss darüber geben, welche Möglichkeiten und Einschränkungen für die Einzelnen durch das Ineinandergreifen von globalen und lokalen Prozessen entstehen, welche Wege innerhalb dieses Terrains beschritten werden, und wie diese in der Retrospektive bewertet werden. Die versammelten Forschungen zeigen, in welcher Art und Weise biografische und autobiografische Erzählungen auf Entscheidungen von Einzelnen und Kollektiven inmitten spezifischer Machtverhältnisse verweisen und wie Person, Selbst und Emotion narrativ konzipiert werden. Darüber hinaus wird herausgearbeitet, inwiefern Biografien als kulturspezifische Repräsentationen kulturelle Ordnungen genauso wie persönliche Strategien des Erzählens deutlich werden lassen.

Teilprojekt I
Projektleitung: Dr. Elfriede Hermann

Positionierung des ethnischen Selbst: Autobiographische Assoziationen einer Banaban Frau in Fiji
Für die Analyse der Formung von Ethnizität im Umgang mit äußeren Kräften können Lebensgeschichten einen spezifischen Beitrag leisten: sie können Rückschlüsse auf persönliche Erfahrungen mit und Reflektionen von Fremd- und Eigendefinitionen zulassen und damit auf die kulturell geprägte, aber auch auf die individuell mögliche Gestaltung der Zugehörigkeit zu einer (oder mehreren) ethnischen und anderen Gruppen verweisen. Meine Fallstudie über die ethnische Identifizierung und vielfältige Assoziierung des Selbst bezieht sich auf die Banaban Gesellschaft, die von der in Mikronesien liegenden Insel Banaba stammt. Wegen der ökologischen Zerstörung von Banaba durch eine multinationale Phosphatabbau-Gesellschaft wurde die indigene Bevölkerung zur Umsiedlung auf die Insel Rabi im Pazifikstaat Fiji veranlasst. Aus den Erzählungen älterer Banabans über die Kultur und Lebensweise auf Banaba und Rabi Island wähle ich autobiografische Assoziationen einer älteren Banaban Frau aus, um den von ihr vorgenommenen Positionierungen im ethnischen Kollektiv und anderen - so etwa nach Alter und Gender spezifizierten - Gruppen nachzugehen. Ihre Darstellungen, so möchte ich zeigen, sprechen von Erfahrungen und Emotionen des simultanen Existierens als Dividuum und Individuum. Sie zeugen von Formungen des vielfach positionierten Selbst, die nicht allein innerhalb der eigenen Gesellschaft entstehen, sondern in der kritischen Auseinandersetzung mit rassistischen und ethnischen Zuschreibungen dominanter externer Kräfte.

Teilprojekt II
Projektleitung: PD Dr. Birgitt Röttger-Rössler

Gegenwärtige Vergangenheit: Rekonstruktionen eines interethnischen Ehekonfliktes in biografischen Gesprächen
Das Projekt beschäftigt sich mit dem Prozess kommunikativen Erinnerns im Kontext alltäglicher lebensgeschichtlicher Konversationen. Im Zentrum steht die Frage, wie vergangene Ereignisse aus dem Leben eines Individuums in Alltagsgesprächen von den Gesprächsteilnehmern gemeinsam rekonstruiert und kreativ "vergegenwärtigt", d.h. an die Bedingungen der jeweiligen Gegenwart angepasst werden. Ein Teilergebnis dieser Untersuchungen wird in dem Sammelband unter dem Titel "Gegenwärtige Vergangenheit" publiziert werden. Im Mittelpunkt des Beitrages stehen verschiedene biografische Erzählungen über die problematische Anfangszeit der interethnischen Ehe eines indonesischen Paares, die von mir im Verlauf von zwei Jahrzehnten aufgezeichnet werden konnten. In der Analyse des Materials wird vor allem der Aspekt der Reinterpretation vergangener Erlebnisse fokussiert. So wird die betrachtete Episode von denselben Erzählern zu verschiedenen Zeitpunkten immer wieder anders gedeutet und ausgestaltet in Abhängigkeit von den jeweiligen persönlichen sowie sozio-politischen Entwicklungen.

Zuordnung zu Einrichtungen:
Institut für Ethnologie (zentral)

Personal:
Hermann, Elfriede, Dr. (Leiter)