Mitglieder der "Religionsgeschichtlichen Schule"
- Wilhelm Bousset (1865-1920)
Dt. evg. Theologe, geb. am 3.9.1865 in Lübeck. Studium in Erlangen, Leipzig und Göttingen, 1890 Privatdozent ebd., 1896 außerord. Professor für Neues Testament ebd., 1916 ordentl. Professor in Gießen. Gest. am 8.3.1920 ebd.
B. war ein Hauptvertreter der sog. "Religionsgeschichtlichen Schule" und ein maßgeblicher Erforscher des sog. "Spätjudentums" (ca. 150 v.Chr.-135 n.Chr.) in seiner Bedeutung für die Entstehung des frühen Christentums. Auch hellenistische und orientalische Einflüsse auf das Urchristentum wies er nach.
Neben einer regen, auch politischen Zwecken dienenden Vortragstätigkeit, der die "Religionsgeschichtlichen Volksbücher" (hg. von Fr. M. Schiele) ihre Entstehung verdankten, begründete B. 1898 zusammen mit W. Heitmüller die "Theologische Rundschau" und wurde zusammen mit H. Gunkel 1903 Herausgeber von "FRLANT".
Auf diesen Theologen blickten alle mit Argwohn
Wilhelm Bousset war für Kirche und Universität unbequem
Veröffentlicht in: Evangelische Zeitung, Beilage "Mensch und Umwelt", 1.11.1992.)
"Die um Bousset erschienen mir wie eine Horde von Bilderstürmern, die alles kurz und klein schlagen wollten. Wie man in Darwins Schöpfung den Schöpfer vermißt, so vermißte ich in Boussets Bibel den Heiligen Geist. Es war ja alles Menschenwerk, noch dazu eins, wo es nach Fälschungen stank. Von Boussets Umgang aber habe auch ich profitiert."
So hat einmal ein theologisch wohl nicht gerade liberal gesinnter Pastor seine Erinnerungen an die Göttinger Studienzeit bei dem dortigen Neutestamentler Wilhelm Bousset (1865-1920) zusammengefaßt. Radikal erschienen ihm die Ansichten dieses eigenwilligen Wissenschaftlers, zu radikal wohl überhaupt für die Masse der damaligen traditionsgebundenen Theologiestudenten. Aber andererseits waren sie doch so machtvoll vorgetragen, daß sich bei allem heimlichen Groll gegen den angeblichen Bilderstürmer die Anerkennung für dessen überragende Persönlichkeit nicht verweigern ließ.
Wilhelm Boussets Situation in Göttingen, wo er fast sein gesamtes Gelehrtenleben zugebracht hat, war tatsächlich so von Widersprüchen bestimmt, wie es jene studentischen Erinnerungen andeuten. In der Fachwelt längst als der überragende Neutestamentler seiner Generation anerkannt, wurde ihm dennoch in Göttingen über Jahrzehnte die Position eines ordentlichen Professors versagt.
Trotz seines vielfältigen Engagements in der Studentenschaft, etwa beim Aufbau und der Neugestaltung der Göttinger Burschenschaft Germania, hielt sich deren Mehrzahl bis auf eine geistige Elite von ihm fern. Und die Kirche schließlich blickte mit Argwohn auf einen Theologen, der es sogar gewagt hatte, den Elfenbeinturm der Universität zu verlassen, um auch in sozialen und politischen Fragen, als Anhänger des großen Liberalen Friedrich Naumann, seine Anschauungen zur Geltung zu bringen.
Dabei war Wilhelm Bousset nirgends von der Suche nach Konfrontation bestimmt, sondem überall von einem Streben nach Wahrhaftigkeit in der theologischen Forschung und dem unbedingten Ausdruck seiner inneren Überzeugungen. Diese teilte er mit einem Kreis junger Göttinger Gelehrter, die sich um 1890 an der theologischen Fakultät in Göttingen gefunden hatten. Zu jenem Kreis gleichgesinnter Freunde zählten neben Bousset noch unter anderem Albert Eichhorn, Hermann Gunkel, William Wrede, Johannes Weiß und Ernst Troeltsch. Sie alle waren zunächst Schüler des großen Göttinger Systematikers Albrecht Ritschl gewesen, bevor sie in Abgrenzung von ihm ihre eigenen Auffassungen entwickelt hatten.
In der Abkehr von der traditionellen Orthodoxie, die in der Bibel allein Lehrsätze zu finden suchte und an der Eingebung der Heiligen Schrift festhielt, suchten sie nach neuen Wegen zur Erforschung der Entstehung der biblischen Religion. Sie fanden diesen Weg schließlich in der Religionsgeschichte, die das Christentum nicht in orthodoxer Erstarrung, sondern wieder als lebendige Religion zu verstehen und es deshalb in allen seinen Erscheinungen wieder in den historischen Zusammenhang der antiken Glaubenswelt einzuordnen suchte.
In diesen Kreis junger Gelehrter, der später unter dem Namen "Religionsgeschichtliche Schule" innerhalb der Theologie über zwei Jahrzehnte hindurch für Furore sorgen sollte, war Wilhelm Bousset 1889 eingetreten. Er stammte ursprünglich aus einem lutherisch-orthodoxen Pfarrhaus in Lübeck und wurde hier am 3. September 1865 als Nachkomme einer weitverzweigten Danziger Hugenottenfamilie geboren. Auf Wunsch seines Vaters begann er 1884 sein Theologiestudium in Erlangen, wo er seinen lebenslangen Freund Ernst Troeltsch kennenlernte. Danach verbrachte er ein Studienjahr an der Leipziger Fakultät, deren Theologie ihn aber innerlich ebensowenig berührte wie zuvor die Erlanger. Schließlich ging er auf Betreiben seines Freundes Troeltsch und gegen den Willen seines Vaters nach Göttingen, wo er, wie sein Freund Hermann Gunkel sich erinnernd schrieb, "seine große Stunde erlebte". In Göttingen wurde durch Ritschl und die neuen Freunde sein Wissenschaftlergeist geweckt. Und nachdem er 1888 sein Abschlußexamen in Lübeck bestanden hatte, konnte er schon zwei Jahre später in Göttingen um Zulassung zur Habilitation ersuchen, die ihm trotz einiger Widerstände in der Fakultät Ende 1890 schließlich gewährt wurde.
Solche Widerstände trafen freilich damals den jungen Privatdozenten Wilhelm Bousset nicht allein. Alle seine Göttinger Freunde hatten in jenen wenigen Jahren von 1888 bis 1893 diesen Weg der Hochschulkarriere eingeschlagen, was bei einigen der Göttinger Ordinarien für erhebliche Beunruhigung gesorgt hatte. Ernst Troeltsch erinnerte sich so: "Daß die Fakultät von diesem Ansturm wenig entzückt war und einer der alten Herren von einer drohenden 'kleinen Fakultät' sprach, begriffen wir damals in unserer Naivität nicht. Namentlich den feurigen Bousset haben sie arg gequält und hingehalten. Aber schließlich zwangen wir es doch."
Während nun aber für die meisten seiner Freunde die wissenschaftliche Laufbahn durch auswärtige Professuren zügig voranging, blieb Bousset ohne Berufung in Göttingen zurück. Für einen liberal denkenden und in der Öffentlichkeit mit populären Vorträgen, schließlich gar in der Sozialpolitik auftretenden Theologen gab es damals an den preußischen Fakultäten keine Chance auf einen Lehrstuhl. Nicht zuletzt hatte ihn seine damals äußerst fortschrittliche Forderung suspekt gemacht, Frauen den Zugang zum Theologiestudium zu ermöglichen, eine Einsicht, die ihm seine Frau Marie Bousset (1867-1944) vermittelt hatte.
(Wilhelm und Marie Bousset, ca. 1915)
"Bousset hat lange und schwer darunter gelitten, sich in kümmerlichsten Verhältnissen durchgekämpft. Das ist kein Ruhmestitel für die Fakultät", schrieb der Freund Ernst Troeltsch im Rückblick. Nach sechs unsicheren Jahren als Privatdozent wurde Bousset dann 1896 endlich, quasi als Hilfsbeamter der Fakultät in Göttingen, wenigstens zum außerordentlichen Professor ernannt, erstmals mit einem regelmäßigen Jahreseinkommen von 1800 Mark. Diese Stellung hatte er dann annähernd 20 Jahre inne, eher er 1916 schließlich doch noch die Berufung auf eine ordentliche Professur im hessischen Gießen erhielt. Aber bereits nach vier Jahren in der neuen Position, am 8. März 1920, starb Wilhelm Bousset mit nicht einmal 55 Jahren an einem Herzschlag.
Für Göttingen war der äußere Mißerfolg eines ihrer besten Privatdozenten freilich ein Glücksfall. Nicht zum wenigsten der Religionsgeschichtlichen Schule und hier insbesondere Wilhelm Bousset verdankte damals und verdankt noch heute die Göttinger theologische Fakultät ihr Ansehen. Schon mit seiner ersten kleinen Schrift Jesu Predigt in ihrem Gegensatz zum Judentum von 1892 sorgte Wilhelm Bousset innerhalb der neutestamentlichen Wissenschaft für Aufsehen. Hier schon zeichnete sich für ihn der Grundgedanke ab, der für Boussets gesamte späteren Forschungen zur Entstehung des Christentums von entscheidender Bedeutung sein sollte.
Eine Theologie des Neuen Testaments, so Bousset, läßt sich nicht - wie damals noch in der Bibelwissenschaft üblich - ohne Zwischenschritte an die des Alten Testaments anschließen. Vielmehr ist für die Entwicklung der urchristlichen Religion viel stärker, als bis dahin angenommen, der Blick auf das nachalttestamentliche Judentum zu richten. Bousset erkannte, daß die Glaubensanschauungen des Neuen Testaments wesentlich von der Gedanken- und Stimmungswelt geprägt sind, wie sie sich im nicht in der Bibel vertretenen Judentums der beiden vor- und nachchristlichen Jahrhunderte entwickelt hat. Vor allem die jüdischen Vorstellungen von der Apokalypse sind in die Evangelien eingeflossen und bilden den steten Hintergrund der Verkündigung Jesu.
Martin Schröder, 1992
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Primärliteratur:
Jesu Predigt in ihrem Gegensatz zum Judentum. Ein religionsgeschichtlicher Vergleich, 1892; Die Religion des Judentums im neutestamentlichen Zeitalter, 1903 (3. Aufl. 1926 hg. v. H. Greßmann); Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenäus, FRLANT 21, 1913 (2. Aufl. 1921 hg. v. G. Krüger).
Sekundärliteratur:
Gunkel, H.: Wilhelm Bousset (Gedächtnisrede). In: EvFr 42 (1920), S.141-62; Lüdemann, G. und M. Schröder: Die Religionsgeschichtliche Schule in Göttingen. Eine Dokumentation, V. Lebensläufe. Wilhelm Bousset, 1987, S.55-63; Verheule, A. F.: Wilhelm Bousset. Leben und Werk. Ein theologiegeschichtlicher Versuch, 1973 (mit Bibliographie).
- Carl Clemen (1865-1940)
Dt. evg. Theologe und Religionsgeschichtler, geb. am 30.3.1865 in Sommerfeld bei Leipzig. Studium der Theologie, Philosophie und Geschichte in Leipzig, Tübingen, Halle und Berlin. 1892 Privatdozent in Halle, ab 1903 in Bonn. 1910 außerord. Professor für Religionsgeschichte in der Philosophische Fakultät und ab 1920 ordentl. Professor für Neues Testament und Religionsgeschichte ebd., zugl. Direktor des Religionswissenschaftlichen Seminars, 1933 emeritiert. Gest. am 8.7.1940 in Bonn.
Carl Clemen war von 1910 an der erste Professor, der das Fach Religionsgeschichte in Deutschland an einer Philosophischen Fakultät vertrat. Obwohl von seiner akademischen Ausbildung her Theologe, kam Clemen über die Beschäftigung mit den Religionen und religiösen Philosophien in der Umwelt des frühen Christentums zur Religionswissenschaft, deren Methode er in einer historisch-philologischen und interkulturell vergleichenden Interpretation von Quellen, insbesondere von schriftlichen Quellen, sah. Im Zentrum seiner Forschungen standen die nichtchristlichen Religionen des Mittelmeerraumes. Er untersuchte die griechischen und römischen Vorstellungen über das Leben nach dem Tod, außerdem japanische und chinesischen Religionen, den Hinduismus und Islam, außerdem den Volksglauben und Mysterien. 1927 gab er das 4-bändige Werk "Die Religionen der Erde" heraus. Nach seiner altersbedingten Emeritierung 1933 setzte er sowohl seine akademische Lehrtätigkeit als auch seine Forschungen fort. Die veränderte politische und geistige Lage nach 1933 brachte es mit sich, dass Themen vor allem im Umfeld der germanischen Religionsgeschichte, die ihn schon seit vielen Jahren beschäftigt hatten, eine unerwartete Aktualität gewannen. Auf der Basis seines Verständnisses von Religionswissenschaft griff er wiederholt mit kritischen Beiträgen in die Auseinandersetzung seiner Tage ein (U. Vollmer, s.u. Lit.).
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Primärliteratur:
Chronologie der paulin. Briefe, 1893; Die Einheitlichkeit der paulin. Briefe, 1894; Die christl. Lehre v. der Sünde, 1897; Der Ursprung des hl. Abendmahls, 1898; Niedergefahren zu den Toten, 1900; Die rel.geschichtl. Methode in der Theol., 1904; Die Apg. im Lichte der neueren Forsch., 1905; Die Entstehung des NT, 1906 (21926); Die Entwicklung der christl. Rel. innerhalb des NT, 1908; Rel.geschichtl. Erkl. des NT. Die Abhängigkeit des ältesten Christentums v. nichtjüd. Rel.en u. philos. Systemen zus.fassend unters., 1909 (19242); Primitive Christianity and its non-jewish sources, 1912; Der Einfluß der Mysterienrel.en auf das älteste Christentum, 1913; Die Reste der primitiven Rel. im ältesten Christentum, 1916; Die nichtchristl. Kulturrel.en in ihrem gegenw. Zustand. I: Die japan. u. chines. Nationairel.en. Der Jainismus u. Buddhismus, 1921; II: Der Hinduismus, Parsismus u. Islam, 1921; Rel.gesch. Europas. I: Bis zum Untergang der nichtchristl. Rel.en , 1926; II: Die noch bestehenden Rel.en , 1931; Die Anwendung der Psychoanalyse auf Mythologie u. Rel.gesch., 1928; Urgeschichtl. Rel. Die Rel. der Stein-, Bronze- u. Eisenzeit, 2 Bde., 1932/33; Der Einfluß des Christentums auf andere Rel.en, 1933; Dunkle Stellen in der Offb. Joh. rel.geschichtl. erkl., 1937; Der Kern des ursprüngl. Christentums, 1938.
Sekundärliteratur:
Ulrich Vollmer, "Carl Clemen (1865-1940) als Emeritus", in: ZfR 9 (2001), 185-203; NDB Band 3, S. 280; Friedrich Wilhelm Bautz, Clemen, Carl, in: Biogr.-bibliogr. Kirchenlex. I (1990), Sp. 1046-1047; Carl Clemen, Seite der Universität Halle.
- Albert Eichhorn (1856-1926)
Dt. evg. Theologe, geb. am 1.10.1856 in Lüneburg. Studium in Leipzig, Erlangen und Göttingen. Ab 1884 Vorbereitung auf die Habilitation ebd., 1886 Privatdozent in Halle, 1896 außerord. Professor für Kirchengeschichte ebd., 1888 ordentl. Professor ebd., 1901 Tausch mit dem Kieler Extraordinarius Voigt aus gesundheitlichen Gründen, 1913 Entbindung von den Amtsgeschäften aus gesundheitlichen Gründen. Gest. am 3.8.1926 nach langer schwerer Nervenkrankheit in Braunschweig.
E. wurde durch Krankheit früh an literarischem Schaffen behindert. Sein Ideenreichtum wirkte jedoch stark anregend auf Freunde und Schüler, bes. seine Thesen zum Geschichtsverständnis und zur historischen Behandlung ntl. Probleme.
(Vorwort von: Hugo Greßmann, Albert Eichhorn und Die Religionsgeschichtliche Schule, Göttingen 1914)
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Primärliteratur:
Das Abendmahl im Neuen Testament (= Hefte zur ChW 36), 1898.
Sekundärliteratur :
Ernst Barnikol, Albert Eichhorn (1856-1926). Sein "Lebenslauf", seine Thesen 1886, seine Abendmahlsthese 1898 und seine Leidensbriefe an seinen Schüler Erich Franz (1913/1919) nebst seinen Bekenntnissen über Heilige Geschichte und Evangelium, über Orthodoxie und Liberalismus, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Ges.-Sprachwi. Reihe IX/1, Halle 1960, S. 141-152; Hugo Greßmann, Albert Eichhorn und Die Religionsgeschichtliche Schule, Göttingen 1914; Horst Renz, Albert Eichhorn und die Anfänge der Religionsgeschichtlichen Schule (ungedrucktes Manuskript), Augsburg 1985.
- Hugo Greßmann (1877-1927)
Dt. evg. Theologe, geb. 1877 in Köln. 1902 Privatdozent in Kiel, 1906 Mitarbeiter des deutschen-evangelischen Institituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes in Jerusalem, 1907 außerord. Professor für Altes Testament in Berlin, 1920 ordentl. Professor ebd., 1925 Direktor des Institutum Judaicum ebd. Gest. 1927 in Chicago.
"Aus der Wellhausen'schen Schule hervorgegangen, ist G. in die Arbeit der Religionsgeschichtlichen Schule eingetreten, zu deren vielseitigsten, anregendsten und einflußreichsten Vertretern er gehört hat."
(H. Gunkel, Art. Greßmann, Hugo. In: RGG2, Bd.2, Sp.1454).
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Primärliteratur:
Der Ursprung der israelitisch-jüdischen Eschatologie, 1905; Die Ausgrabungen in Palästina und das Alte Testament, 1908; Die älteste Geschichtsschreibung und Prophetie Israels, 1909; Das Gilgamesch-Epos (mit A. Ungnad), 1911; Mose und seine Zeit, 1913; Die Anfänge Israels, 1913; Das Weihnachtsevangelium, 1913; Albert Eichhorn und die religionsgeschichtliche Schule, 1914; Tod und Auferstehung des Osiris, 1923; Die Aufgaben der alttestamentlichen Wissenschaft, ZAW 1924; Die Aufgaben der Wissenschaft des nachbiblischen Judentums, ZAW 1925; Israels Spruchweisheit im Zusammenhang mit der Weltliteratur, 1925; Hellenistische Gestirnreligion, 1925.
Sekundärliteratur:
Hugo Greßmann, Gedächtnisworte von W. Horst, A. Titius, Th.H. Robinson, E. Sellin, J. Hempel, 1927.
- Hermann Gunkel (1862-1932)
Dt. evg. Theologe, geb. am 23.5.1862 in Springe bei Hannover. Studium der Theologie in Göttingen, Gießen und Göttingen, 1888 Privatdozent ebd., 1889 Privatdozent in Halle (Umhabilitation vom Neuen zum Alten Testament), 1895 außerord. Professor für Altes Testament in Berlin, 1907 ordentl. Professor in Gießen, 1920 ordentl. Professor in Halle, emerit. 1927 aus gesundheitl. Gründen. Gest. am 11.5.1932 in Halle.
G. war ein Hauptvertreter der sog. "Religionsgeschichtlichen Schule". Neben grundlegenden Forschungen zum Alten (z.B. Formgeschichte), aber auch zum Neuen Testament, war er mit seiner Vortrags- und Publikationstätigkeit maßgeblich an der theologischen Aufklärung der Bevölkerung beteiligt.
G. war u.a. Mitherausgeber von "FRLANT" sowie der 1. und 2. Aufl. von RGG
[Vorwort für die dritte, unveränderte Auflage von Hermann Gunkels "Die Wirkungen des heiligen Geistes, nach der populären Anschauung der apostolischen Zeit und nach der Lehre des Apostels Paulus, Göttingen 1909 (1. Aufl. 1888), mit eigenhändigen Korrekturen Gunkels.]
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Primärliteratur:
Die Wirkungen des heiligen Geistes, nach der populären Anschauung der apostolischen Zeit und nach der Lehre des Apostels Paulus, 1888; Schöpfung und Chaos in Urzeit und Endzeit, 1895; Zum religionsgeschichtlichen Verständnis des neuen Testaments (=FRLANT 1), 1903.
Sekundärliteratur:
Werner Klatt, Hermann Gunkel. Zu seiner Theologie der Religionsgeschichte und zur Entstehung der formgeschichtlichen Methode (=FRLANT 100), Göttingen 1969 (Bibl. ab 1922: S. 272-274; bis 1922 s. Johannes Hempel, in: Eucharisterion. Festgabe für Hermann Gunkel, 1923, Bd. II [=FRLANT 36], S. 214-225); Konrad von Rabenau, Hermann Gunkel auf rauhen Pfaden nach Halle, in: EvTh 30 (1970), S. 433-444; Hans Rollmann, Zwei Briefe Hermann Gunkels an Adolf Jülicher zur religionsgeschichtlichen und formgeschichtlichen Methode, in: ZThK 78 (1981), S. 276-288.
- Heinrich Hackmann (1864-1935)
Dt. evg. Theologe, geb. am 31.8.1864 in Osnabrück. Studium in Leipzig und Göttingen, 1893 Privatdozent ebd., 1894 Pastor der dt. Gemeinde in Shanghai, 1904 Pfarrer der dt. Gemeinde in Denmark Hill, London, 1913 ordentl. Professor für Religionsgeschichte in Amsterdam, 1934 emeritiert. Gest. am 13.7.1935 in Hildesheim.
Ein deutscher Pfarrer in China
(Veröffentlicht als: Der Traum von fernen Ländern ging in Erfüllung. Pfarrer Heinrich Hackmann wirkte von 1894-1901 in Schanghai [Teil I und II]. In: Hildesheimer Allgemeine Zeitung, Beilage "Aus der Heimat", 2.12.1995 und 6.1.1996.)
Wie viele Jugendliche am Ende des 19. Jahrhunderts träumte Heinrich Hackmann davon, ferne Länder zu bereisen und fremde Kulturen kennenzulernen. Doch was für die meisten nur ein Wunsch blieb, ging für ihn in Erfüllung: viele Jahre lang sollte er in Ostasien leben. Auf seinen mehrjährigen Wanderungen gelangte er dabei auch in Gegenden, die zuvor noch nie ein Europäer besucht hatte. Doch gegen Ende seines Lebens kehrte er 1934 in eine Stadt zurück, der sein Herz seit Jugendzeiten gehörte und in der er seine berufliche Karriere begonnen hatte: er siedelte nach Hildesheim über, wo er 1935 verstarb.
Heinrich Hackmann wurde am 31. August 1864 in Gaste bei Osnabrück geboren. Er war der dritte von vier Söhnen eines in christlich-erweckter Religiösität lebenden Elternpaares. Doch schon in frühen Jahren regte sich bei Heinrich Widerspruch gegen die fromme, streng bibelgläubige Lebensüberzeugung seiner Mutter, die seit dem frühen Tod des Vaters die Söhne alleine aufzog. Diese kritische Haltung verstärkte sich noch während der Schuljahre.
Hackmann faßte den Entschluß, Pastor zu werden. Er studierte ab 1883 Theologie in Leipzig, wo ihn besonders eine Vorlesung über "Geschichte und Lehre des Buddhismus" faszinierte und zu eigenständiger weiterer Beschäftigung mit dem Thema anregte. Einige seiner späteren Vorträge dürften auf diese frühe Beschäftigung mit der Gedankenwelt des Buddhismus zurückgehen. 1886 schloß er sein Studium an der Universität Göttingen ab, wo er besonders von Albrecht Ritschl (1822-1889) beeinflußt wurde.
In seiner Suche nach Lösungen für ihn quälende Fragen entwickelte der junge Heinrich einen fast unstillbaren Wissensdrang. Besonders neuartige naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die in Widerspruch zu traditionellen religiösen, biblisch-christlichen Überzeugungen zu stehen schienen, faszinierten ihn. Seine Beschäftigung mit der Darwin'schen Entwicklungslehre, die in jenen Tagen auch auf die Entwicklung der einzelnen Religionen übertragen wurde, ließen ihm eine Frage immer wieder auftauchen: War das Christentum nur eine Stufe in der religiösen Entwicklung, fragte er sich, vielleicht die höchste, die die Menschheit bisher erstiegen hatte? Dann war es nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich, daß sich irgendwann in der Zukunft über dieses hinausgehende Religion entwickeln würde. Das Christentum als "absolute und allgemeingültige Religion" war für ihn damit nicht mehr haltbar.
Hier wurde ihm erstmals das Auseinanderklaffen von wissenschaftlicher Erkenntnis einerseits sowie kirchlicher Lehre und Tradition mit all ihren verbindlichen und verpflichtenden Glaubensformeln andererseits bewußt. Kritisch stand er jedem Versuch gegenüber, Lebendiges in Normen zu pressen oder zu dogmatisieren, sei es im Bereich der Religion oder im menschlichen Zusammenleben. So reiften in ihm erste Zweifel, ob er tatsächlich den Pastorenberuf würde ergreifen können, da er vor seinem Gewissen die bindenden Bekenntnisformulierungen ablehnen müsse, die nicht mit seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen übereinstimmten. Wie viele andere Studenten auch, verließ er die Universität mit der Erfahrung, im Laufe des Studiums aus den Bahnen der traditionellen Theologie hinausgeschleudert worden zu sein, ohne wiederkehren zu können.
Noch im selben Jahr nahm Hackmann eine Lehrerstelle an einer Privatschule in Schulenburg bei Nordstemmen an. Bald hörte er von einer zu Ostern 1887 freiwerdenden Stelle an der Privattöchterschule von Frl. Minna Hoyermann in Hildesheim (Langer Hagen). Hier verbrachte er die nächsten zwei Jahre.
Frl. Henriette Wilhelmine Hoyermann (1834-1919), eine ältere unverheiratete Dame, hatte 1870 in Hildesheim ein Haus erworben, in dem sie eine Töchterschule mit Pensionat (vor allem für junge Mädchen vom Lande) eingerichtet hatte. Bald nahm "Tante Minna" für Hackmann die Stelle einer Ersatzmutter ein; seine eigene war 1883 verstorben. Sie war es auch, die ihn mit dem jungen Rudolf Otto zusammenführte, der sich in dieser Zeit auf sein Abitur am Gymnasium Andreanum vorbereitete. Hackmann wurde für diesen zum älteren, fast väterlichen Freund, Vorbild und Lehrer. Diese enge Freundschaft verband die beiden ihr Leben lang. Otto sollte später zu einem berühmten Theologen avancieren. Sein Buch "Das Heilige" (1917), in dem er auch Gedanken Hackmanns weiterführte und verarbeitete, wurde zur weltweit meistverkauften theologischen Publikation des 20. Jahrhunderts mit Übersetzungen in viele Sprachen, darunter Japanisch und Sanskrit.
In Hildesheim erlebte Hackmann seine erste, wenn auch tragische Liebe. Mathilde Wilken war ebenfalls Lehrerin an der Töchterschule von Minna Hoyermann und einige Jahre älter als Hackmann (sie 32, er 24). Trotzdem verlobten sich die beiden heimlich an Weihnachten 1888, wohl wissend, daß "Tante Minna" diesen Schritt nie gutheißen würde. Doch Hildesheimer Bürger nutzten die ihnen bekanntgewordene Verlobung, um die vermeindlich an Fräulein Hoyermanns Institut herrschenden "unmoralischen Verhältnisse" anzuprangern und Tante Minna Unterstützung unsittlicher Zustände vorzuwerfen. Diese wiederum verlangte von Hackmann, der inzwischen im Kloster Loccum kurz vor der Beendigung seiner Ausbildung für den praktischen kirchlichen Dienst stand, die Auflösung der Verlobung. Auch Mathilde Wilken befürwortete am Ende diesen Schritt. Hackmann brauchte Jahre, um dies zu überwinden. "Tante Minna" schließlich schloß 1891 ihre Töchterschule und eröffnete in Hoheneggelsen ein Erholungsheim, in dem sowohl Heinrich Hackmann als auch Rudolf Otto oft zu Gast waren.
Nach Beendigung seiner kirchlichen Ausbildung ging Hackmann nicht sofort in den Gemeindedienst, obwohl er sich zu diesem berufen fühlte. Grund dafür war seine schon zuvor erwähnte Gewissensnot, den Pfarrerberuf aus "Bekenntnisgründen" nicht ergreifen zu dürfen. Denn das Einschwören auf ein "Bekenntnis" bedeutete für ihn eine Zwangsjacke, die sich Pastoren trotz vielfach gegenteiliger Überzeugung freiwillig anzögen. So erhoffte er sich von einem Aufschieben der endgültigen Entscheidung eine eventuelle Klärung seines problematischen Amtsverständnisses.
Hackmann entschloß sich, zunächst eine akademische Karriere anzustreben. Eine Gelegenheit hierzu bot sich ihm, als in Göttingen die Stelle als Inspektor des Theologischen Stifts, einer Wohneinrichtung für mittellose und begabte Theologiestudenten freiwurde. Diesen Posten füllte Hackmann von 1891-93. Theologisch entwickelte er sich immer mehr in Richtung auf eine radikalere Ausrichtung der sog. liberalen Theologie zu, deren Hochburg zu Beginn der 90er Jahre Göttingen war. Einer ihrer Grundsätze war, daß man jeden geschriebenen Text nur mit dem Hintergrundwissen um dessen Schreiber verstehen könne. Dazu wäre es notwendig, dessen Herkunft, soziales Umfeld und Lebensgemeinschaft/-situation näher zu beleuchten. Für den konkreten Fall der Untersuchung biblischer Texte bedeutete dies, daß man sich ein fundiertes Wissen über die Lebensgewohnheiten der (antiken) orientalischen Völker verschaffen müsse. Diesem Zweck diente auch das Studium der Archäologie, da hier ein Teil der damaligen Lebenssituation erhalten und wieder zum Leben erweckt werden könne.
So wird es verständlich, warum Hackmann Reisen als wichtig erachtete: Er wollte die Originalorte besichtigen, an denen die antiken Texte spielten, um so einen eigenen Eindruck von deren Entstehungssituation zu gewinnen. Im Spätsommer 1891 schließlich unternahm er zusammen mit Rudolf Otto, der inzwischen auch in Göttingen studierte, und einem weiteren Freund eine Studienreise nach Griechenland und Konstantinopel, auf der er auch seine jüngst erworbenen arabischen Sprachkenntnisse anwenden konnte. Dabei liebte Hackmann es jetzt, wie auch später immer, sich zu Fuß oder im langsamen Pferdekarren fortzubewegen, um so möglichst viele Eindrücke in sich aufnehmen zu können.
Im Frühjahr 1893 schließlich habilitierte sich Hackmann mit einer Arbeit über "Die Zukunftserwartung des Jesaja" für das Fach "Altes Testament". Nun war er also Privatdozent mit der Pflicht, an der Universität Vorlesungen zu halten. Eine regelmäßige Besoldung gab es für dererlei Arbeit nicht. Doch gerade kritische Theologen, noch dazu mit einer Abneigung gegen die herkömmlich Dogmatik wie Hackmann, wurden nicht allzu häufig auf vakante Professuren berufen. Begabung und Befähigung waren dabei nicht allein ausschlaggebend.
Gewissensgründe hatten ihn damals von einem Eintritt in das Pfarramt zurückgehalten. Jetzt waren es die zu erwartenden finanziell entbehrungsreichen Jahre, die ihm die Freude am akademischen Beruf nahmen. So schien es ihm fast wie eine Fügung des Schicksals, als er im November 1893 in einer Zeitschrift die Anzeige von der vakanten Pfarrstelle in der neugegründeten deutschen evangelischen Gemeinde in Schanghai las. Denn in den überseeischen Missionsgemeinden ging es theologisch und kirchlich freier zu als in den festgefügten Strukturen der deutschen Landeskirchen. Darüber hinaus meinte er in China seine religionsvergleichenden Studien zum Buddhismus gewissermaßen "vor Ort" fortsetzen zu können.
Hackmann stellte sich dem für die Besetzung der Stelle zuständigen Gremium in Berlin vor. Gleichzeitig machte er sofort die Einschränkung, die Stelle nur übernehmen zu können, wenn er seine kritische Auffassung gegenüber kirchlicher Lehre und traditionsgebundenen Frömmigkeitsformeln, die ihm Zwang und Beschränkung bedeuteten, in der Gemeinde uneingeschränkt vertreten dürfe. Denn er hielt es einer Gemeinde gegenüber für oberste Pflicht, sie von für moderne Menschen unverständlichen kirchlichen Formeln und Formulierungen zu befreien. Ihm wurde zugesichert, daß er liturgische Formulierungen selbst würde wählen oder gestalten können, die dem religiösen Anliegen des modernen Menschen einsichtig, verstehbar und nachvollziehbar wären.
Hackmann wurde zum Pfarrer gewählt und traf nach sechswöchiger Überfahrt im April 1994 schließlich in Schanghai ein. Dort bestand die deutsche Bevölkerung vorwiegend aus Kaufleuten, zum Konsulatsdienst gehörenden Beamten sowie Seeleuten. Anders als Engländer, Amerikaner und Franzosen lebten die Deutschen jedoch nicht in einem eigenen Stadtviertel, sondern verteilt im gesamten Stadtgebiet. Feste Gemeindestrukturen existierten daher noch nicht, auch eine eigene Kirche gab es nicht; zu Gottesdiensten wurde das methodistische Kirchengebäude der englischen Union-Church mitgenutzt.
So war es Hackmanns vorrangiges Ziel, ein intaktes Gemeindeleben zu etablieren. Da das einende Element aller Gemeindmitglieder ihr Deutschtum war, versuchte er, die Menschen auf diesem Wege anzusprechen. Alle 14 Tage hielt er Vorträge zu den verschiedensten Themen (z.B. "Deutsches Leben vor 100 Jahren", "Mohammed und der Islam", "Henrik Ibsen und seine Dramen", "Charles Darwin", "Goethe in seinen Beziehungen zu berühmten Zeitgenossen", "Der Buddhismus" oder "Das Leben Jesu"). Auf vielfachen Wunsch veröffentlichte er schließlich diese Vorträge im "Ostasiatischen Lloyd", einer regelmäßig erscheinenden Zeitschrift, so daß auch die Deutschen im Inneren Chinas von diesen Veranstaltungen profitieren konnten. Ebenso ließ er von 1895 bis 1901 seine Sonntagspredigten unter dem Titel "Sonntagsgruß an die Deutschen in Ostasien aus der deutschen Gemeinde in Schanghai" regelmäßig drucken.
Hackmann bemühte sich auch, die durchreisenden deutschen Seeleute in die Gemeinde zu integrieren. So lud er ab Sommer 1894 Seeleute zu "wöchentlichen Gesellschaftsabenden" in die Gemeinde ein. Seit Mai 1897 schließlich stand den Seeleuten ein von der Gemeinde gemieteter Raum als "Lesezimmer" zur Verfügung, das sie zahlreich besuchten. Für eine schlichte Verköstigung sorgten Frauen aus der Gemeinde. Dieses Engagement in der "Seemannsmission" hatte Vorbildcharakter und wurde von vielen überseeischen Hafenstädten übernommen.
Die Kinder der in Schanghai ansässigen Auslandsdeutschen waren nur in den wenigsten Fällen, und dann nur in geringem Maße, der deutschen Sprache mächtig. So begann Hackmann, diese regelmäßig in der deutschen Sprache, aber auch in anderen "Schulfächern" wie Literatur und Geographie, zu unterrichten. Hierbei kam ihm seine in Hildesheim erworbene Erfahrung als Lehrer zugute. Seine Schule sollte "das Deutschtum weit über Schanghai hinaus erhalten und fördern" und den Kindern eine heimatgerechte Ausbildung ermöglichen.
Im ersten Jahr besuchten 25 Schüler den Unterricht; später waren es mehr als doppelt so viele. Die zur Unterstützung Hackmanns eingestellte Lehrerin erkrankte jedoch bald und kehrte schon im Herbst 1895 nach Deutschland zurück. Als Ersatz wurde Gabriele Vogler aus Altona verpflichtet, die im April 1896 ihren Dienst antrat. - Weihnachten 1897 verlobte sie sich mit Heinrich Hackmann, und im April 1898 heirateten die beiden. Doch wurde ihr Eheglück getrübt, als ihr 1899 geborener Sohn kurz nach der Geburt an einem medizinischen Fehler verstarb. Diesen Schicksalsschlag überwanden die beiden nie völlig; die Ehe blieb danach kinderlos.
Die weiterhin anwachsende Schülerzahl der deutschen Schule, durchweg Kinder aus dem Kaufmannsstand oder der Konsulatsangehörigen, nötigte den Schulverband schließlich, die finanzielle Voraussetzung zum Erwerb eines geeigneten Gebäudes für die Schule und die Einstellung weiterer Lehrkräfte zu schaffen. Es wurde ein Haus angemietet, in der Schule und Pastorenwohnung gemeinsam Aufnahme fanden. Schließlich errichtete die Gemeinde ein eigenes Schulgebäude, das Hackmann im September 1901 eröffnete. Ebenfalls 1901 wurde der Bau einer eigenen Kirche vollendet, die Hackmann zum Abschluß seiner Tätigkeit in Schanghai weihen konnte.
7 1/2 Jahre war Hackmann als Pastor (und Lehrer!) in Schanghai geblieben. Er blickte zurück auf eine lange und äußerst fruchtbare Schaffensperiode. Erst unter seiner Leitung konnte sich die Gemeinde konstituieren. "Seine" Schule hatte Vorbildcharakter für die deutschen Überseegebiete (u.a. informierten sich Admiral Tirpitz und Prinz Heinrich vor Ort über diese Einrichtung). Auch im seelsorgerischen Bereich hatte sich Hackmann hochverdient gemacht. Nicht nur seinen Gemeindemitgliedern, sondern auch den durchreisenden Seeleuten und - durch seine rege Publikationstätigkeit - den Deutschen im übrigen Ostasien konnte er ein Stück Heimat vermitteln. Für seine Verdienste in Schanghai wurden ihm der Rote Adler-Orden IV. Klasse und die China-Gedenkmünze verliehen.
Doch Hackmann kehrte nicht sogleich nach Deutschland zurück. Es war von vornherein eines seiner erklärten Ziele gewesen, religionsvergleichende Studien in Ostasien zu treiben. Intensiv hatte er inzwischen Chinesisch gelernt, auch ein wenig Japanisch, und war bereits einige Male zu Kurzaufenthalten in benachbarten chinesischen Regionen sowie in Japan gewesen. Auch Aufsätze zur chinesischen Sprache hatte er inzwischen veröffentlicht. Doch nun wollte er auf Reisen aus eigener Anschauung gründlichere Kenntnisse über den chinesischen Buddhismus und Taoismus sammeln.
Zwar war der Buddhismus in Deutschland keine "unbekannte Größe" mehr; es gab schon vereinzelte Veröffentlichungen darüber. Um jedoch "das Leben einer Religion" wirklich kennenzulernen, bedurfte es noch umfassender eingehender Forschung, die nur "vor Ort" zu leisten war. Für besonders wichtig zum Verstehen einer Religion hielt Hackmann das Aufspüren ihres besonderen "Gefühlslebens", gleichsam ihres "Lokalkolorits", das sie von anderen Religionen unterschied. Über den chinesischen Buddhismus gab es in diesem Bereich bisher kaum Forschungsergebnisse: Das Wissen um Kultus, Geschichte und Empfindungsleben dieser Religion war sehr dürftig und unzureichend.
Seine Reise (fast ausschließlich zu Fuß!), die ihn u.a. in entlegene Gegenden von China, Korea, Tibet und Birma führte, die bisher noch wenige und teilweise noch nie ein Europäer durchquert hatte, dauerte zwei Jahre (1901-1903). Seine Frau war 1902 alleine nach Altona zu ihren Verwandten zurückgekehrt, während Hackmann weiterhin Tempel und Klöster besuchte und intensiv die Art und Weise der religiösen kultischen Übungen studierte. Er sprach ebenso mit einfachen Menschen wie mit dem "Papst" des Taoismus und widmete dabei seine Aufmerksamkeit besonders den Zeugnissen lebendiger Religiösität unter Mönchen und Laien. Unterwegs führte er ein Tagebuch und an den wenigen Tagen, die er an einem Ort verweilte, formulierte er seine Eindrücke und schickte sie an die Zeitschrift "Christliche Welt" in Marburg, um deren deutsche Leser an seinen Erlebnissen teilhaben zu lassen. Zum Abschluß seiner Reise zog er in einem Brief aus Colombo/Sri Lanka vom 26.9.1903 an den Herausgeber dieser Zeitschrift ein Fazit seiner Beobachtungen: "So sehr ich seit langem in den Buddhismus eingetaucht bin und so gerne ich alle seine schönen Seiten anerkenne, nie früher ist mir die Größe und das Überragende des europäischen Christentums so lebendig geworden wie unter diesen Studien des Buddhismus."
Seine Beobachtungen und Gespräche führten ihn zu der Überzeugung, daß die Chinesen in der unaufhaltsam sich ändernden internationalen Welt eines Tages eine schicksalhafte Rolle übernehmen würden. In der Abhandlung "Der schlafende Riese" hatte er schon zuvor die Überzeugung vertreten, China würde Japans Weg der Erneuerung nachvollziehen, wenn auch langsamer und verworrener, dafür aber in der Wirkung riesenhafter. In dieser Konstellation sah er Entwicklungen voraus, die später ähnlich eintrafen.
Im November 1903 nach Deutschland zurückgekehrt, stellte sich für Hackmann erneut das Problem, wie er seine weitere berufliche Karriere gestalten sollte. Er mußte feststellen, daß sich an der Situation von vor 10 Jahren nichts Grundsätzliches geändert hatte. Eine Pfarrstelle in Deutschland zu übernehmen, kam für ihn weiterhin gewissensmäßig nicht in Frage. Eine akademische Karriere mit ihren finanziellen Unwägsamkeiten zu ergreifen, war nun unmöglich geworden, da er eine - wenn auch nur kleine - Familie zu ernähren hatte. Nach vielen Besuchen bei "Tante Minna" in Hoheneggelsen entschied er sich schließlich abermals für einen Pfarrposten im Ausland (1904-1913), diesmal in der deutschen Gemeinde von Denmark Hill (London). War er in Schanghai noch der eigentliche Gründer und Erbauer der Gemeinde gewesen, so fand er in Denmark Hill eine Gemeinde mit einer ihm durchaus genehmen Tradition vor, in die er sich problemlos einfügte.
Während dieser neuen Tätigkeit fand er die Zeit, seine Erkenntnisse über Ostasien im allgemeinen und den chinesischen Buddhismus im besonderen zu Papier zu bringen. Neben unzähligen Aufsätzen entstanden "Klassiker" der Buddhismusforschung wie: "Omi bis Bhamo. Wanderungen an der Grenze von China, Tibet und Birma" (1904), "Der Buddhismus" (3 Bände 1905/6), "Buddhismus as a Religion" (1910) sowie "Welt des Ostens" (1912), die teilweise noch heute erhältlich und immer noch lesenswert sind.
In den letztgenannten Band flossen schon Hackmanns neue Erkenntnisse ein, die er sich auf einer zweiten Chinareise von 1910-12 verschaffte. Anfang Oktober 1910 reiste er gemeinsam mit seiner Frau mit der Transsibirischen Eisenbahn in die Mongolei, im Pferdewagen durch die Wüste Gobi weiter nach China, besuchte u.a. Peking und seine Freunde in Schanghai. Er lebte für mehrere Monate in einem taoistischen Kloster im Inneren Chinas, um Lebensweise, Organisation und Heiligtümer der taoistischen Mönche eingehender kennenzulernen. Anschließend besuchte er Japan, Hongkong, Saigon, Bangkok, Singapur und den Himalaya, bevor er von Bombay aus nach London zurückkehrte und im April 1912 seine Gemeindetätigkeit wieder aufnahm.
Doch bereits 1913 wurde er aufgrund seiner hervorragenden Kenntnisse fernöstlicher Religionen, die er in seinen unzähligen Veröffentlichungen immer wieder unter Beweis gestellt hatte, als Professor für "Allgemeine Religionsgeschichte" an die ganz von jedem kirchlichen Einfluß unabhängige Universität Amsterdam berufen. So konnte Hackmann in seinem letzten Lebensabschnitt doch noch eine akademische Position bekleiden, die ihm zuvor aufgrund ungewisser finanzieller Verhältnisse verwehrt geblieben war. Von nun an widmete er sich ganz der Verarbeitung und Vergleichung von Materialien aus allerlei Gebieten der Religionsforschung. In dieser Spätzeit entstanden so wichtige Veröffentlichungen wie "Allgemeine Religionsgeschichte" (1919), "Laien-Buddhismus in China" (1922) und "Der Zusammenhang zwischen Schrift und Kultur in China" (1928). 1951 erschien auch noch das von ihm begonnene und bis zum Buchstaben T entwickelte "Buddhistisch-chinesische Wörterbuch", ein Lexikon zur Erklärung von zum Verständnis des Buddhismus wichtigen Ausdrücken und Begriffen, das bis heute in diesem Bereich ein unentbehrliches Hilfsmittel darstellt.
Bis 1934 blieb Hackmann in Amsterdam, bevor er sich - jetzt 70 Jahre alt - zur Ruhe setzte. Nun kehrte er nach Deutschland zurück. Als Altersruhesitz hatte das Ehepaar Hildesheim gewählt, die "sehr hübsche, an alten schönen Bauwerken reiche Stadt", in der Heinrich seine erste Liebe erlebte und wo er bleibende Freundschaften geknüpft hatte. Doch bereits weniger als ein Jahr später, am 16. April 1935, traf ihn ein harter Schicksalsschlag: Seine Ehefrau, von längerer Krankheit und Einsamkeit gezeichnet, nahm sich in einem Anfall von Depression das Leben. Dies verwand Heinrich Hackmann nicht mehr. Seine Schwägerin nahm ihn in ihrem Haus in Ahrenshoop an der Ostsee auf. Doch Hackmann, ohnehin an Herz- und Atembeschwerden kränkelnd, verzweifelte zusehends. Am Morgen des 13. Juli 1935 wurde er tot am Strand der Ostsee gefunden. Die offizielle Todesursache lautete auf Selbstmord. Doch wie bei seinem Freund Rudolf Otto zwei Jahre später bleiben auch hier viele Fragen offen.
Heinrich Hackmann wurde an der Seite seiner Ehefrau auf dem Hildesheimer Zentralfriedhof beigesetzt.
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Literatur:
1997 erschien in der Reihe "Studien und Texte zur 'Religionsgeschichtlichen Schule'" (STRS 2) im Peter-Lang-Verlag eine ausführliche Biographie über Heinrich Hackmann durch Dr. Fritz-Günter Strachotta, Bremen.
Alf Özen, 1995
- Wilhelm Heitmüller (1869-1926)
Dt. evg. Theologe, geb. am 3.8.1869 in Döteberg bei Hannover. Studium in Greifswald, Marburg, Leipzig und Göttingen, 1902 Privatdozent ebd., 1908 ordentl. Prof. für Neues Testament in Marburg, 1920 in Bonn, 1924 in Tübingen. Gest. am 29.1.1926 ebd.
H's Hauptforschungsgebiet waren die Entstehung der urchristl. Sakramente und ihre Entsprechungen außerhalb des Christentums.
H. war RGG-Redakteur für N.T. Zus. mit W. Bousset gab er ab 1898 die "Theologische Rundschau" heraus. Auch der Plan der ab 1905 in Göttingen von J. Weiß herausgegebenen sog. "Gegenwartsbibel" ging auf Bousset und H. zurück.
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Primärliteratur:
Im Namen Jesu. Eine sprach- und religionsgeschichtliche Untersuchung zum Neuen Testament, speziell zur altchristlichen Taufe (=FRLANT 2), 1903; Das Johannesevangelium (=SNT 2/3), 1907; Jesus, 1913.
Sekundärliteratur:
Rudolf Bultmann, Wilhelm Heitmüller (Nachruf), in: ChW 40 (1926), Sp. 209-213; Gerd Lüdemann/Martin Schröder, Die Religionsgeschichtliche Schule in Göttingen. Eine Dokumentation, 1987, S. 74f.; Hermann Schuster, Nachruf für Wilhelm Heitmüller, in: Die Schwarzburg 8 (1926), S. 212-216.
- Karl Mirbt (1860-1929)
Dt. evg. Theologe, geb. am 21.6.1860 in Gnadenfrei/Schlesien. Theologiestudium in Halle, Erlangen und Göttingen. 1886-1888 Inspektor des Theologischen Stifts ebd. 1888 Privatdozent in Göttingen, ab 1889 außerord. und ab 1890 ordentl. Professor für Kirchengeschichte in Marburg, 1903/04 Rektor ebd. Ab 1912 ordentl. Professor für Kirchengeschichte in Göttingen, 1920/21 Rektor ebd. 1928 emeritiert. Gest. am 27.9.1929 ebd.
Mirbt war in Göttingen Schüler von Hermann Reuter. Als Kirchenhistoriker erlangte M. eine gewisse Bedeutung durch seinen methodischen Neuansatz, welcher die Kirchengeschichte nicht mehr von der Profanhistorie trennte und mit denselben wissenschaftlichen Methoden bzw. forschungsleitenden Fragestellungen arbeitete wie diese. So vertrat er im Anschluß an Ranke für sein Fachgebiet die These: "Kirchenhistorie ist Feststellung nackter Tatsachen" (B. Wolf-Dahm, s.u. Lit.).
Für Mirbt stand der Absolutheitsanspruch des Christentums und damit zugleich die Verpflichtung zur Missionierung Andersgläubiger fest. Die Begründung der Mission ergibt sich ihm aus der Überzeugung, "daß das Christentum die absolute Religion ist, die für alle Menschen bestimmt ist und für alle ein Gut darstellt, das von ihnen auf anderem Wege als durch die Annahme des Christentums nicht gewonnen wird." Folgerichtig wirkte Mirbt durch eine rege Vortragstätigkeit im Evangelischen Bund mit, dessen Zentralvorstand er auch angehörte. In Hannover rief er eine allgemeine Missionskonferenz ins Leben. 1918 gehörte er in Berlin zu den Gründungsmitgliedern der "Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft", deren Vorsitz er bis zu seinem Tod innehatte und in deren Namen er seit 1920 die "Missionswissenschaftlichen Forschungen" herausgab. 1919 gründete Mirbt die Forschungsreihe "Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens", die er bis zu seinem Tod als Herausgeber betreute.
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Primärliteratur:
Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus, 1895, 61967; Der deutsche Protestantismus und die Heidenmission im 19. Jahrhundert, 1896; Der Ultramontanismus im neunzehnten Jahrhundert, 1902; Der Entscheidungskampf des Christentums um seine Stellung als Weltreligion, 1912; Die Evangelische Mission. Eine Einführung in ihre Geschichte und Eigenart, 1917; Mission und Reformation, 1917; Der Einheitsgedanke in der Geschichte des Protestantismus, in: Göttingen. Reformationsfeier am 31. Oktober 1917. Festrede, 1918, 11-31; Die Grundformen des Verhältnisses von Staat und Kirche, 1921.
Sekundärliteratur:
Altes und Neues aus Bremen, Göttingen und dem übrigen Niedersachsen. Prof. D. C.M. zum 40jährigen Professoren-Jubiläum. = ZGNKG 34/35, 1929/30; - Hinrich Johannsen, D. C.M. in piam memoriam, in: NAMZ 7, 1930, 10-16; - Ernst Strasser, C.M. als Missionswissenschaftler, in: Ev.-luth. Missionsbl. 44 (86), 1931, 24-46; - Heinz Weidemann, C.M. zum Gedächtnis, in: ZGNKG 36, 1931, 5-11; - RGG IV, 962; - LThK VII, 437; - Barbara Wolf-Dahm, Mirbt, Carl, in: Biogr.-bibliogr. Kirchenlex. V (1993) Sp. 1569-1573.
- Rudolf Otto (1869-1926)
Dt. evg. Theologe, geb. am 25.9.1869 in Peine. Studium in Erlangen und Göttingen, 1897 Privatdozent ebd., 1904 außerord. Prof. für Religionsphilos. ebd., 1915 ordentl. Prof. für Systematische Theologie in Breslau, 1917 in Marburg, emerit. 1929. Gest. am 6.3.1937 in Marburg.
O. gehörte zur sog. "Religionsgeschichtlichen Schule". Im Bemühen um die wissenschaftliche und begriffliche Erfassung von Wesen und Wahrheit aller Religion(en) erkannte er als deren Objekt das "Heilige". In seinem Wesen irrational (numinos), ist es verstandesmäßig nicht zu fassen. Überlieferte Glaubensdokumente sind als Reaktionen von Menschen auf die Begegnung mit dem Heiligen anzusehen. Diese Erkenntnis veranschaulichte O. durch eigene Untersuchungen zu Überlieferungen der indischen Gnadenreligion. Dem gemeinsamen Kern aller Religionen zum Trotz aber hielt er an der wissenschaftlichen Nachweisbarkeit der Überlegenheit des Christentums fest.
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Primärliteratur:
Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, 1917 (53. Tsd.1991; Nachdr. d. ungek. Sonderausg. 1979); Aufsätze das Numinose betreffend, 1923 (5./6. Aufl. 1932); Die Gnadenreligion Indiens und das Christentum, 1930.
Sekundärliteratur:
Boozer, J.S.: Rudolf Otto (1869-1937): Theologe und Religionswissenschaftler. In: J. Schnack (Hg.), Marburger Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, 1977, S.362-82; Lüdemann, G. und M. Schröder: Die Religionsgeschichtliche Schule in Göttingen. Eine Dokumentation, V. Lebensläufe. Rudolf Otto, 1987, S.75-77; Schütte, H.-W.: Religion und Christentum in der Theologie Rudolf Ottos, 1969 (mit Bibliographie).
Ausführliche Informationen über Rudolf Otto (nebst Originaltexten, Bildern und einer Bibliographie) hat Gregory D. Alles zusammengetragen.
- Alfred Rahlfs (1865-1935)
Dt. evg. Theologe, geb. am 29.5.1865 in Hannover-Linden. Studium der Theologie, Philosophie und der orientalischen Sprachen in Halle und Göttingen, 1891 Privatdozent ebd., 1901 außerord. Professor für Altes Testament ebd., 1914 ordentl. Honorarprofessor ebd., 1919 ordentl. Professor ebd., emerit. 1933. Gest. am 8.4.1935 in Göttingen.
R. gehörte in seiner Anfangszeit zur sog. "Religionsgeschichtlichen Schule". Sein akademisches Wirken blieb auf Göttingen begrenzt. Unter Fortführung der Arbeit seines Lehrers P. de Lagarde spezialisierte sich R. bald ausschließlich auf Untersuchungen am griechischen Text des Alten Testaments, der sog. "Septuaginta". Er war 1908 maßgeblich an der Gründung des Septuaginta-Unternehmens der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften durch R. Smend beteiligt, dessen Leiter er über seine Emeritierung hinaus blieb.
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Primärliteratur:
Septuaginta-Studien, 3Bde, 1904ff. (2. Aufl. 1965); Das Buch Ruth griechisch, 1922; Septuaginta, Kleine Ausgabe, 2Bde., 1935 (8. Aufl. 1965).
Sekundärliteratur:
Bauer, W.: NGG, Jahresbericht über das Geschäftsjahr 1934/35, S.60-65; Hempel, J.: FF II, 1935, S.192; Lüdemann, G. und M. Schröder: Die Religionsgeschichtliche Schule in Göttingen. Eine Dokumentation, V. Lebensläufe. Alfred Rahlfs, 1987, S.79f.
- Ernst Troeltsch (1865-1923)
Dt. evg. Theologe, geb. am 17.2.1865 in Haunstetten bei Augsburg. Studium in Augsburg, Erlangen, Berlin und Göttingen, 1891 Privatdozent ebd., 1892 ordentl. Professor für Systematische Theologie in Bonn, 1894 in Heidelberg, 1912 korrespondierendes Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1914 ordentl. Professor für Philosophie in Berlin, 1919 zugleich Mitglied der Preuß. Nationalversammlung (DDP) und Staatssekretär im Kultusministerium. Gest. am 1.2.1923 in Berlin.
T. war der "Systematiker" der "Religionsgeschichtlichen Schule". Wichtig sind in diesem Zusammenhang seine Arbeiten zum Absolutheitsanspruch des Christentums, zum Verhältnis von Historismus und Theologie sowie von Staat und Kirche.
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Primärliteratur:
Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte, 1902; Die Trennung von Staat und Kirche, der staatliche Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten, 1907; Der Historismus und seine Probleme, 1922.
Sekundärliteratur:
Drescher, H.-G.: Ernst Troeltsch. Leben und Werk, Göttingen 1991; Köhler, W.: Ernst Troeltsch, Tübingen 1941; Renz. H. und Graf, F.W. (Hrsg.): Troeltsch-Studien (mehrere Bände), Gütersloh ab 1982.
- Heinrich Weinel (1874-1936)
Dt. evg. Theologe, geb. am 28.4.1874 in Vonhausen. Studium der Theologie in Gießen und Berlin. 1899 Stiftsrepetent in Bonn, 1900 Privatdozent ebd. 1904 außerord. Professor und ab 1907 ordentl. Professor für Neues Testament in Jena. 1921/22 Rektor und ab 1925 ordentl. Professor für systematische Theologie ebd. Gest. am 29.9.1936 in Jena.
Heinrich Weinels vielbeachtete dogmengeschichtlich-pneumatologische Skizze "Die Wirkungen des Geistes", thematisch an Hermann Gunkel orientiert und Gustav Krüger gewidmet, unterstreicht den erlebnishaften Charakter des Christentums zu Lasten der Lehre und ist eine feinsinnige religionspsychologische Analyse. Weinel stellt Paulus "als den Prediger der Religion der Innerlichkeit" dar.
Mit seiner Biblischen Theologie des Neuen Testaments legt er bewußt und im Rückgriff auf die Forderung William Wredes (Ueber Aufgabe und Methode der sogenannten Neutestamentlichen Theologie, Göttingen 1897) nach Abschaffung der Kategorie der Lehrbegriffe eine "Geschichte der Religion des ältesten Christentums" vor. Mit seiner Unterscheidung zwischen der Lehre Jesu und der dreifach gegliederten urchristlichen Theologie (Urgemeinde, Paulus, Das Christentum der werdenden Kirche) ist Weinel aber gezwungen, letzteres schon als Verdunklung zu begreifen. Jesus vollendet nach Weinel die sittlich-prophetische Botschaft, die "sogleich nach seinem Tode ihre Gestalt vollkommen verändert und (...) Christentum im engeren Sinne des Wortes" wird (K.-G. Wesseling, s.u. Lit.).
Weinel war seit 1909 theologischer Leiter der Jenaer Ferienkurse und bis 1912 Mitglied im Vorstand der "Vereinigung der Freunde der Christlichen Welt" sowie Herausgeber der populärwissenschaftlich-theologischen Schriftenreihe "Lebensfragen".
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Primärliteratur:
Die Wirkungen des Geistes u. die Geister im nachapost. Zeitalter bis auf Irenäus, Freiburg 1899; Die Bildersprache Jesu in ihrer Bedeutung f. die Erforsch. seines inneren Lebens (aus: Festgruß f. Bernhard Stade z. Feier seiner 25j. Wirksamkeit als Prof. dargebracht v. seinen Schülern, Gießen 1900); Die Gleichnisse Jesu. Zugl. eine Anleitung z. einem quellenmäßigen Verständnis der Evv. (Aus Natur u. Geisteswelt. Smlg. wiss.-gemeinverständlicher Darstt. 45), Leipzig 1904, 51929; Der Hirt des Hermas, in: Edgar Hennecke (Hrsg.), Hdb. der Nt. Apokr. (Tübingen 1904), 217-292 (= Nt. Apokr. [Tübingen 21924), 327-384); Paulus. Der Mensch u. sein Werk: Die Anfänge des Christentums, der Kirche u. des Dogmas (Lebensfragen 3), Tübingen 1904, 2., gänzlich umgearb. Aufl. 1915; Die Stellung des Urchristentums z. Staat. Antrittsrede, gehalten am 1. Juni 1907, Tübingen 1907; Das freie Christentum in der Welt. Berr. nach Vortrr. auf dem internat. Kongreß f. freies Christentum in Boston 1907. Mit einem Schlußwort v. Prof. R. Eucken in Jena über "Die Zukunft des freien Christentums". Eingel. u. hrsg. v. H. W., Tübingen 1909; Ist das "liberale" Jesusbild widerlegt? Eine Antwort an seine "positiven" u. an seine radikalen Gegner mit bes. Rücksicht auf A. Drews, Die Christusmythe, Tübingen 1910; Ist unsere Verkündigung v. Jesus unhaltbar geworden?: ZThK 20 (1910), 1-38.89-129; Biblische Theol. des NT. Die Rel. Jesu u. des Urchristentums (Grdr. der theol. Wiss. 3,2), Tübingen 1911, 4., neu bearb. Ausg. 1928; Der Talmud, die Gleichnisse Jesu u. die synopt. Frage: ZNW 13 (1912), 117-132; Erwiderung (auf Fiebigs Aufs.): ZNW 13 (1912), 272; Paulus u. die Mystik seiner Zeit, Leipzig 1918, 21921; Die spätere christliche Apokalyptik, in: EYXAPISTHPION. Stud. z. Rel. u. Lit. des Alten u. NT. Festschr. Hermann Gunkel (FRLANT NF 19,2 [36,2]) (Göttingen 1923), 141-173; Die ChW u. die nt. Wiss., in: Vierzig J. ChW. Festg. f. Martin Rade z. 70. Geb. 4. April 1927. Im Auftrag der Freunde zusammengest. v. Hermann Mulert (Gotha 1927); Das Jesusbild in den geistigen Strömungen der letzten 150 J., Leipzig/Berlin 1927;
Sekundärliteratur:
Andreas Lindemann, Jesus in der Theol. des NT, in: Georg Strecker (Hrsg.), Jesus Christus in Historie u. Theol. Nt. Festschr. f. Hans Conzelmann z. 60. Geb. (Tübingen 1974), 27-57; Werner Zager, Begriff u. Wertung der Apokalyptik in der nt. Forsch. (Europäische Hochschulschrr., R. 23: Theol. 358), Frankfurt/Bern/New York/Paris 1989, 161-170; Gunnar Sinn, Christologie u. Existenz. Rudolf Bultmanns Interpretation des paulinischen Christuszeugnisses (Texte u. Arbeiten z. nt. Zeitalter 4), Tübingen 1991; Henning Pleitner, Das Ende der liberalen Hermeneutik am Beispiel Albert Schweitzers (Texte u. Arbeiten z. nt. Zeitalter 5), Tübingen 1992; Christoph Schwöbel, Einl., in: An die Freunde, d.i. nicht f. die Öffentlichkeit bestimmte Mitt. (1903-1934). Nachdr. mit einer Einl. v. Christoph Schwöbel (Berlin/New York 1993), IV-XXXIV; Nittert Janssen, Vermittlung theol. Forschungsergebnisse durch Ferienkurse u. das Engagement der "Religionsgeschichtlichen Schule" (1892-1914), in: Alf Özen (Hrsg.), Hist. Wahrheit u. theol. Wiss. Gerd Lüdemann z. 50. Geb. (Frankfurt/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1996), 105-111; Friedrich Wilhelm Graf, Der Nachl. H. W.s: ZKG 107 (1996), 201-231; Klaus-Gunther Wesseling, Weinel, Heinrich, in: Biogr.-bibliogr. Kirchenlex. XIII (1998), Sp. 616-622.
- Johannes Weiß (1863-1914)
Dt. evg. Theologe, geb. als Sohn des Neutestamentlers Bernhard Weiß am 13.12.1863 in Kiel. Studium in Marburg, Berlin und Göttingen, 1888 Privatdozent ebd., 1890 außerord. Professor für Neues Testament ebd., 1895 ordentl. Professor in Marburg, 1908 in Heidelberg. Gest. am 24.8.1914 ebd.
W. war ein Hauptvertreter der sog. "Religionsgeschichtlichen Schule". Er betonte unter Hinzuziehung außerbiblischer Quellen den auf jüdisch-apokalyptischem Denken basierenden futurisch-eschatologischen Charakter der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu. Den Versuch einer Synthese dieser Erkenntnis mit dem primär innerweltlich gegenwärtigen Verständnis des Reich-Gottes-Begriffs seines Schwiegervaters A. Ritschl gab er nach lebhaften Diskussionen mit befreundeten "Religionsgeschichtlern" jedoch auf. Seine Arbeiten sind durchweg von einem psychologischen Verständnis von Religion getragen.
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Primärliteratur:
Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, 1892 (2. Aufl. 1900); Das älteste Evangelium. Ein Beitrag zum Verständnis des Markus-Evangeliums und der ältesten evangelischen Überlieferung, 1903; Das Urchristentum, 2 Bde. (hg. von R. Knopf), 1917.
Sekundärliteratur:
Bultmann, R.: J. Weiß zum Gedächtnis. In: ThBl 18 (1939), S.242-46; Lannert, B.: Die Wiederentdeckung der neutestamentlichen Eschatologie durch Johannes Weiß, TANZ 2, 1989 (mit Bibliographie); Schäfer, R.: Das Reich Gottes bei Albrecht Ritschl und Johannes Weiß. In: ZThK 61 (1964), S.68-88.
- Paul Wernle (1872-1939)
Schweiz. evg. Theologe, geb. am 1.5.1872 in Zürich-Hottingen. Studium in Basel, Berlin und Göttingen. 1897 Privatdozent in Basel, ab 1900 außerord. Professor für Neues Testament ebd. Ab 1905 ordentl. Professor für Kirchen-, Dogmen- und Geschichte des protestantischen Lehrbegriffs ebd., 1928 emeritiert. Gest. am 11.4.1939 in Basel.
Wernle war in Basel Schüler von Bernhard Duhm, in Berlin von Adolf von Harnack und Heinrich von Treitschke. In Göttingen trat er am 1894 der Burschenschaft Germania bei, wo er in engem persönlichen und theologischen Austausch mit Wilhelm Bousset und Johannes Weiß, später auch mit Wilhelm Heitmüller stand. W.s wissenschaftliche Leistungen liegen auf neutestamentlichem Gebiet, vornehmlich in der paulinischen und synoptischen Forschung. 1915 entbrannte ein (öffentlicher) Disput zwischen Wernle, Bousset und Heitmüller um das Thema "Jesus und Paulus", unter dem die Freundschaft litt.
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Primärliteratur:
Die Synopt. Frage, Freiburg/Leipzig/Tübingen 1899; Die Anfänge unserer Religion, Tübingen/Leipzig 1901. 2., verb. u. verm. Auf. 1904; Was haben wir heute an Paulus?, Basel 1904; Die Quellen des Lebens Jesu (RV 1,1), Halle 1904, Tübingen 21905, 1913; Jesus und Paulus. Antithesen zu Boussets Kyrios Christos: ZThK (1915), 1-92 (auch separat Tübingen 1915); Jesus, Tübingen 1916.
Sekundärliteratur:
Ernst Troeltschs Briefe u. Karten an P. W. hrsg. v. Friedrich Wilhelm Graf, in: Zschr. f. neuere Theologiegesch./Journal for the Hist. of Modern Theology 2 (1995), 85-147; Thomas K. Kuhn, Theologisch-historische Leidenschaften. Paul Wernle (1872-1939), in: Im Spannungsfeld von Gott und Welt. Beiträge zu Geschichte und Gegenwart des Frey-Grynaeischen Instituts in Basel 1747-1997, hrsg. von Andreas Urs Sommer, Basel 1997, 135-158; Klaus-Gunther Wesseling, Wernle, Paul, in: Biogr.-bibliogr. Kirchenlex. XIII (1998) Sp. 873-879
- William Wrede (1859-1906)
Dt. evg. Theologe, geb. am 10.5.1859 in Bücken (Königreich Hannover). Studium in Leipzig und Göttingen, Mitglied im Akademisch-theologischen Verein, 1884-1886 Inspektor am theol. Stift in Göttingen, März 1891 Privatdozent ebd., 1896 außerord. Professor für Neues Testament in Breslau, 1895 ordentl. Professor ebd. Gest. am 23.11.1906 nach längerer Krankheit ebd.
W. erkannte in Paulus den Stifter einer zweiten christlichen Religion. Auch hätte Jesus kein "messianisches Bewußtsein" gehabt, sondern dieses wäre erst von Markus von der Auferstehung her ins Leben Jesu hineingetragen. Darüber hinaus stellte W. für die nt.liche Theologie ein neues Programm auf.
(Elisabeth und William Wrede in Breslau, ca. 1900)
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Primärliteratur:
Über Aufgabe und Methode der sogenannten Neutestamentlichen Theologie, 1897; Das Messiasgeheimnis in den Evangelien, 1901; Paulus (=RV I/5.6), Tübingen 1904.
Sekundärliteratur:
Nittert Janssen, Das Predigerseminar in Loccum unter Gerhard Uhlhorn und der Loccumer Lebenslauf von William Wrede, in: G. Lüdemann/M. Schröder, Die Religionsgeschichtliche Schule in Göttingen. Eine Dokumentation, Göttingen 1987; Georg Strecker, William Wrede. Zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages, in: ders., Eschaton und Historie, 1979, S. 335-356 (Bibl.: S. 357-359); Hans Rollmann, The Historical Methodology of William Wrede, PhD McMaster University, Hamilton/Canada 1880, ; Hans Rollmann/Werner Zager (Hrsgg.), Unveröffentlichte Briefe William Wredes zur Problematisierung des messianischen Selbstverständnisses Jesu, in: Zeitschrift für neuere Theologiegeschichte 8 (2001), S. 274-322.
Hans Rollmann, Memorial University of Newfoundland und Werner Zager, Bochum/Worms/Frankfurt/M. arbeiten z.Z. an einer Biografie und Dokumentation über William Wrede, ergänzt um zahlreiche bisher unveröffentlichte Texte, Briefe und andere Dokumente.
- Carl Clemen (1865-1940)