In publica commoda

Schreiben des Vorsitzenden des Stiftungsrates der Georg-August-Universität Stiftung Öffentlichen Rechts, Generalsekretär der VolkswagenStiftung Dr. Wilhelm Krull, an den niedersachsischen Wissenschaftsminister zu den geplanten Mittelkürzungen im Hochschulbereich.


An den
Niedersächsischen Minister für
Wissenschaft und Kultur
Herrn Lutz Stratmann
Leibnizufer 9

30169 Hannover


21. Oktober 2003

Betr. Stiftungsrat der Georg-August-Universität Göttingen – Finanzkürzungen des Landes Niedersachsen


Sehr geehrter Herr Minister,

der Stiftungsrat der Universität Göttingen hat auf seiner Sitzung am 21. Oktober 2003 intensiv die Finanzlage von Universität und Stiftung insbesondere unter dem Gesichtspunkt der angekündigten Mittelkürzungen des Landes Niedersachsen im Hochschulbereich erörtert. Die drohenden Eingriffe in die Strukturen von Forschung und Lehre lassen einen herben Rückschlag in den bislang konsequent verfolgten Erneuerungsprozessen und den in den vergangenen Jahren außerordentlich erfolgreichen Berufungen von Spitzenwissenschaftlern erwarten. Sie geben Anlass zur Sorge um die internationale Reputation und Wettbewerbsfähigkeit der Göttinger Universität.

Das Land Niedersachsen befindet sich zweifelsohne in einer finanziellen Notsituation, die von der Universität Göttingen nicht nur anerkannt wird; die Universitätsleitung hat vielmehr auch vom Stiftungsrat positiv bewertete, konkrete Angebote zum Mitwirken an der Lösung dieser Probleme entwickelt. Ziel dieser Vorschläge ist es, den auf der Grundlage der Evaluationsergebnisse in Forschung und Lehre eingeschlagenen Weg der Profilbildung und der „Stärkung der Stärken“ nicht abbrechen zu lassen. Die jetzt vom Kabinett vorgeschlagenen Kürzungen für die Universität Göttingen in Höhe von insgesamt über 12 Millionen Euro gehen deutlich über diese Angebote der Universitätsleitung hinaus und machen nahezu ein Drittel der gesamten Budgetminderungen von 40,6 Millionen Euro im Hochschulansatz des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur aus. Insbesondere unter Gesichtspunkten von Qualität und Bandbreite der in Göttingen vertretenen Disziplinen und Studienangebote hält der Stiftungsrat den Umfang der angestrebten Kürzungen für nicht vertretbar. Der Stiftungsrat der Georg-August-Universität Göttingen fordert die Landesregierung daher auf, die einzige Volluniversität in Niedersachsen nicht dauerhaft zu beschädigen und damit gleichzeitig die Chance zu vertun, mit einer niedersächsischen Universität in der Spitzengruppe der deutschen und auch der internationalen Forschungsuniversitäten mitzuhalten.

Im Namen des Stiftungsrates möchte ich vor diesem Hintergrund einige beispielgebende Akzentsetzungen in der Forschungsstruktur und im Lehrangebot skizzieren, die die Universität Göttingen in jüngerer Zeit zum überwiegenden Teil aus eigener Kraft, aber auch mit nennenswerter Unterstützung aus dem MWK unternommen hat. Die Bildung exzellenter Zentren und Institute in den Naturwissenschaften wie auch in den Geisteswissenschaften im Verein mit herausragenden Berufungserfolgen sind ein Wechsel auf die Zukunft, der allerdings nur dann eingelöst werden kann, wenn dieser Weg fortgeführt und nicht einer kurzfristigen Sparpolitik zum Opfer gebracht wird.

Als Center of Excellence ist zum Beispiel das Göttinger Zentrum für Molekulare Biowissenschaften (GZMB) angelegt. Es trägt in hervorragender Weise, ebenso wie die Gründung weiterer Zentren - das Zentrum für Biodiversitätsforschung und Ökologie oder das für Neurobiologie des Verhaltens - zur Neustrukturierung und Modernisierung der Biowissenschaften und damit zu einer nachhaltigen Profilbildung bei. Die Vernetzungen mit angrenzenden Forschungsgebieten in der Chemie und in der Physik sowie die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Primatenzentrum in Göttingen und den Göttinger Max-Planck-Instituten reichen bei diesen Zentrenbildungen bis hin zu gemeinsamen Berufungen von Professoren und zur Entwicklung gemeinsamer Studienangebote, wie PhD-Studiengängen, die gleichzeitig Max Planck Reseach Schools sind. Dieser Prozess trägt bereits erste Früchte: So ist es gelungen, eines von fünf DFG-Forschungszentren – das DFG Research Center for Molecular Physiology of the Brain (CMPB) - nach Göttingen zu holen und damit gleichzeitig die größte Drittmittelsumme einzuwerben, die jemals an eine niedersächsische Hochschule gegangen ist.

Interdisziplinäre Verflechtung einhergehend mit Schwerpunkt- und Profilbildung sind auch die Ziele der Einrichtung der neuen geisteswissenschaftlichen Zentren für Komparatistik (ZfK) sowie für Mittelalter- und Frühneuzeitforschung (ZMF). Beide Gründungen können schon jetzt als außerordentlich erfolgreich gelten: Die angegliederten Master- und PhD-Studienangebote sind stark nachgefragt, das Zentrum für Mittelalter-und Frühneuzeitforschung trägt die einzige Forschernachwuchsgruppe in den Geisteswissenschaften in Niedersachsen und bildet mit dem Max-Planck-Institut für Geschichte eine von nur zwei geisteswissenschaftlichen Max Planck Research Schools in der Bundesrepublik.

Sowohl in den Geisteswissenschaften als auch in den Naturwissenschaften, in denen mit der Neuaufstellung der Physik ein weiterer wichtiger Schritt getan ist, zeigen die eingeleiteten Maßnahmen bereits jetzt deutlich sichtbare Erfolge. Um sie konsequent weiterzuführen und es nicht zu kontraproduktiven und ineffektiven Torso-Bildungen kommen zu lassen, ist insbesondere die Fortführung einer exzellenten Berufungspolitik für die Universität Göttingen zwingend erforderlich. Der Stiftungsrat stellt sich daher an die Spitze der Forderungen nach einer Unterstützung des Landes bei der Einlösung der verbindlichen Zusagen aus bereits erfolgreich abgeschlossenen Berufungs- und Bleibeverhandlungen und in den für die Universität zentralen Berufungen in den Geistes- und Naturwissenschaften. Insbesondere in den experimentellen Fächern machen teure, aber unverzichtbare Berufungen in der Chemie, der Zoologie und der Biophysik erhebliche Mittel erforderlich, die nicht allein von der Hochschule aufgebracht werden können. Auf die große Chance zu einer Profilbildung von internationalem Rang habe ich bereits hingewiesen, jedenfalls entscheidet dieser Prozess über Exzellenz oder Mittelmaß auf Jahrzehnte.

Damit wird zugleich deutlich, dass eine mittel- bis langfristige Planungsperspektive für die Georg-August-Universität unerlässlich ist, um international konkurrenzfähig zu bleiben. Außerdem ist es gerade für eine Stiftungshochschule, die auch private Mittel einwerben soll, umso wichtiger, dass sie die sich für ihren Erfolg engagierenden Mitglieder weiterhin motivieren und sich in ihrer Finanzplanung auf verlässliche Finanzierungszusagen der öffentlichen Hand stützen kann. Der Stiftungsrat sieht darin eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Mittelaquisition im nichtstaatlichen Bereich.

Der Stiftungsrat wendet sich in großer Sorge an die Landesregierung, weiß sich aber mit den politisch Verantwortlichen einig darin, dass für Niedersachsen ein Motto wie „erstklassig zweitklassig“ niemals Realität werden darf.

Mit den besten Wünschen

Dr. Wilhelm Krull