Das Maurya-Reich
Der letzte Nanda-Herrscher wurde um etwa 320 v. Chr. von Candragupta Maurya gestürzt, nachdem dieser – offenbar aus Indiens Nordwesten stammend – erfolgreich gegen die von Alexander d. G. im Tal des Indus zurückgelassenen Truppen gekämpft hatte. Einem Angriff von Seleukos I. Nikator von Syrien (311-281), der aus den Diadochen-Kämpfen als Herrscher über die asiatischen Teile des Alexander-Reiches hervorgegangen war und der, nachdem er kurzfristig das Gebiet bis zum Indus unter seine Herrschaft gebracht hatte, weiter nach Nordindien vorzudringen versuchte, hielt der Maurya stand. In einem Friedensvertrag, den beide 305 v. Chr. miteinander schlossen, wurden Candragupta alle Gebiete östlich von Kabul, also das eigentliche Gandhāra, und Regionen entlang des Unterlaufs des Indus zugeschlagen, während Seleukos, dem dieser Vertrag die Sicherung der Ostgrenze seines sich vom Hellespont bis nach Indien erstreckenden Reiches einbrachte, im Gegenzug eine große Zahl indischer Kriegselefanten erhielt. In der Folge wurden seleukidische Botschafter an den Hof in Pāṭaliputra entsandt, unter ihnen auch Megasthenes. Dieser verfasste einen umfangreichen Bericht über das indische Reich, Ἰνδικά mit Namen, dessen Original zwar nicht erhalten ist, aus dem aber lange Passagen von Strabo, Diodor(os), Plinius und Arrian zitiert werden. In ihm wird ein anschauliches Bild Nordindiens zur Zeit des Candragupta gezeichnet, das an manchen Stellen durch die Kürzungen und Paraphrasierungen der späteren Autoren, die die Ἰνδικά überlieferten, Verzerrungen erfahren hat.
Über die weitere politische Entwicklung des Maurya-Reiches nach dem Friedensvertrag zwischen Candragupta und Seleukos und dem Gewinn des Nordwestens wissen wir wenig. Doch die Tatsache, daß Candraguptas Enkel Aśoka – Rudradāmans Inschrift nennt beide Maurya – bei seinem Regierungsantritt im Jahre 268 v. Chr. bereits über ein Gebiet regierte, das sich vom Hindukush bis in den heutigen indischen Bundesstaat Karnataka ausdehnte – an eigenen Annexionen nennt er in seinen Inschriften nur diejenige Orissas (s.u.) –, läßt darauf schließen, daß diese Eroberungen das Werk Candraguptas und seines Sohnes Bindusāra (ca. 293-268 v. Chr.) waren. Von letzterem, in der griechischen Historiographie nach seinem Beinamen Amitraghāta „Schlächter der Feinde“ Ἀμιτροχάτης genannt, ist nahezu nichts Gesichertes bekannt. Wir wissen lediglich, daß auch er diplomatische Beziehungen mit dem Westen pflegte und daß auch die an seinem Hofe weilenden Gesandten Abhandlungen über Indien verfaßt haben, die uns jedoch ebenfalls nur in Auszügen und Zitaten Späterer erhalten sind.
Mit der über dreißigjährigen Geschichte Aśokas – mit diesem Namen wird er lediglich in einigen „Kleineren Felsedikten“ (Minor Rock Edicts) genannt, sonst aber heißt er Piyadassi(n) / Priyadarśin, auf der Kandahar-Bilinguis (s.u.) entsprechend Πιοδάσσης / Prydrš – erhellt sich das Dunkel früher indischer Geschichte schlagartig, auch wenn von ihm die antike westliche Literatur völlig zu schweigen scheint. Ganz maßgeblich hängt dies mit der Entwicklung der Schrift zusammen. Diese wurde – jedenfalls unserer heutigen Kenntnis nach – eigens für Aśokas Edikte geschaffen, die ein deutliches Vorbild in den Edikten der Achämeniden besitzen. Und so ist Aśoka derjenige indische Herrscher, der als erster Inschriften hinterlassen hat. Deren Fund- und Standorte markieren nicht nur die Ausdehnung seines Reichs, sondern sie geben auch wichtige Hinweise zu dessen Struktur und Organisation. Für erstgenanntes sind naturgemäß die an der Peripherie liegenden von besonderer Bedeutung – maßgeblich sind diesbezüglich die „(Großen) Felsedikte“. Kandahar in der Nähe des Khyber-Passes, die ultima thule ʻIndiensʼ, Shāhbhāzgarhī und Mānsehrā in Gandhāra, Girnār auf der Halbinsel Kāṭhiāwār, Sopārā an der Westküste in der Nähe Bombays, Dhaulī und Jaugaḍa am Golf von Bengalen und Eṛṛaguḍi im südlichen Andhra stecken ein Reich ab, das von den Abhängen des Hindukush, des Karakorum und des Himalaya im Norden bis an die Küsten im Westen und Osten und bis an den Penner-Fluß im Süden reicht. Das Gebiet südlich dieses Flusses, das gesamte Süd-Indien also, lag somit außerhalb des Maurya-Reiches. Die Länder der Keralas, Coḷas und Pāṇḍyas werden folglich auf den Edikten als „benachbart“ vom Königreich an sich geschieden. Und auch das eigentliche Zentralindien scheint nicht zum Reich gehört zu haben. Denn unter den in den Felsedikten V und XIII genannten Völkern, die einen besonderen Status in Aśokas Reich genießen, gehören mit den Āndhras, Bhojas, Parindas und Pitinikas solche, die eben dort beheimatet waren. Doch auch das dergestalt markierte Gebiet gehörte nicht in Gänze zu Aśokas Herrschaftsbereich. Denn zwischen großen Kernregionen, die königlicher Kontrolle unterlagen, dehnten sich riesige Gebiete aus, die von weithin autonomen Populationen bewohnt wurden. Außer des Zentrums des Reiches in der östlichen Ganges-Ebene mit Pāṭaliputra als Hauptstadt lassen sich (mindestens) vier solcher Kerngebiete ausmachen, über die enge Verwandte des Königs herrschten: Takṣaśilā am Fuße der Paropamisaden, Ujjain auf der Hochebene von West-Mālwa – das Ὀζήνη des Periplus –, Kaliṅga im Osten des Subkontinents (s. u.) und Suvarṇagiri in dessen Süden im heutigen Karnataka. Diese Gebiete wurden – hierfür ist letztlich Megasthenes unsere Quelle – durch Handelsstraßen verbunden, deren beide wichtigste der „Nord-“ (Uttarāpatha) und der „Südweg“ (Dakṣiṇāpatha) waren. Erstgenannter führte von Takṣaśilā über Mathurā und Kauśāmbī nach Rājagṛha und weiter an die Ostküste, letzterer von Pratiṣṭhāna über Ujjain nach Kauśāmbī und von dort in großem Bogen nach Śrāvastī und Vaiśālī.
Auf Grund eines Hinweises in einer seiner Inschriften kann Aśokas Regierungszeit mit großer Sicherheit auf (ca.) 273/267-237/232 festgelegt werden. Denn das 13. Felsedikt nennt Könige mit Namen, zu denen Aśoka Gesandte geschickt habe. Bei diesen handelt es sich – hier ist sich die Forschung weitgehend einig – um Antiochos II. Theos von Syrien, Ptolemaios II. Philadelphos von Ägypten, Antigonos Gonatas von Makedonien, Magas von Kyrene und (wahrscheinlich) Alexandros von Epirus. Da es die Jahre 261-255 sind, in denen alle diese Könige am Leben waren, und Aśoka erst – wie er auf einem Säulenedikt wissen läßt (PE VI) – im zwölften Jahr nach seiner Salbung (abhiṣeka) zum König Edikte erlassen hat (s. auch RE IV), muß diese ʻSalbungʼ zwischen den Jahren 273 und 267 stattgefunden haben.
Ein offenbar einschneidendes Erlebnis im Leben des Königs war die blutige Eroberung Kaliṅgas, des heutigen Orissa, im neunten Jahr seiner Königsherrschaft und somit gegen 260 v. Chr. Es dürfte weit mehr als nur politisches Kalkül gewesen sein, daß Aśoka die Greuel, die den Menschen in diesem Krieg widerfuhren, zutiefst bereute, wie er in seinem 13. Felsedikt, das indes nicht in Kaliṅga angebracht wurde, kundtut. Gleichwohl entließ er das Land nicht wieder in seine Freiheit. Diese erlangte es erst nach Aśokas Tod und dem Untergang seines Reiches.
Nach der verlustreichen Annexion Kaliṅgas und einer Hinwendung zum Buddhismus suchte Aśoka sein Reich auf der Grundlage von Recht und Moral zu regieren. Verwirklicht werden sollte in ihm der Dharma, eben die Verbindung von Recht und Moral. Dazu dienten (u. a.) die „Dharma-Schriften“ genannten Edikte. Mit ihrer Hilfe wurde eine Art von Regierungsprogramm ʻunter die Leuteʼ gebracht, wozu bezeichnenderweise nicht das Sanskrit verwendet wurde, die priesterliche Hochsprache des alten Indien, sondern es wurde dafür mit dem Mittelindischen die Sprache des ʻVolkesʼ gewählt, genauso wie dies vor Aśoka schon Buddhismus und Jainismus, jene außer-brahmanischen Religionen, getan hatten. Und mit Ausnahme des äußersten Süden, wo sicherlich eine dravidische Sprache gesprochen wurde, wurde die jeweilige Lokalvariante des Mittelindischen benützt. Im äußersten Nordwesten seines Reiches bediente sich Aśoka des Aramäo-Iranischen – einer mit Aramäogrammen geschriebenen iranischen Verwaltungssprache – oder des Griechischen; die Bilinguis von Kandahar trägt gar Edikte in beiden Sprachen. Jenes war letztlich ein Erbe der Achämenidenzeit, des (sog.) ʻReichsaramäischenʼ, dieses zeigt die Ausstrahlung der von Alexander dem Großen und seinen Nachfolgern gegründeten Städte als Zentren griechischer Kultur. Neben den Edikten, deren Text zu besonderen Anlässen den Versammelten vorgetragen wurde, diente dem König auch ein Stab von Beamten dazu, seine Morallehre den Menschen nahe zu bringen und für deren praktische Umsetzung Sorge zu tragen. Teile dieser Beamtenschaft hatten auch zu überprüfen, ob die Umsetzung des Dharma jeweils im Sinne des Königs geschah. Dazu reisten sie alle fünf Jahre durch das Land und inspizierten (u. a.) Wohltätigkeitseinrichtungen und prüften dabei auch die Rechtspflege in der Provinz.
Über das weitere Schicksal der Maurya-Dynastie wissen wir sehr wenig. Nach Aśokas Tod im Jahre 232 v. Chr. scheint das Maurya-Reich in eine westliche und eine östliche Hälfte zerfallen zu sein. Der Norden des Westreiches wurde bald von den Griechen Baktriens, die über die Pässe des Hindukush einfielen, überrannt, während der Süden Teil des Herrschaftsgebietes der Āndhras und anderer Dynastien des nördlichen Dekhan wurde. Das Ostreich, weiterhin mit Pāṭaliputra als Hauptstadt und zunächst von Daśaratha, von dem als einzigem der späteren Mauryas Inschriften erhalten sind, regiert, geriet nach nur fünfzig Jahren unter die Herrschaft zunächst der Śuṅgas, dann der Kāṇvas. Und so verschwand gegen 180 v. Chr. das Königshaus der Mauryas, deren Namen das Lexikon des Hesychius in der Form Μωριεῖς als Königstitulatur verewigt hat.