Presseinformation: Glauben an die Macht

Nr. 68/2015 - 25.03.2015

Orientwissenschaftler beleuchten politischen Aufstieg religiöser Bewegungen

(pug) Wenn religiöse Fundamentalisten politischen Einfluss gewinnen, neigen sie zur inhaltlichen Mäßigung, um die verschiedenen Interessen neuer Anhänger zu integrieren. Dies ist eine der Kernthesen des neuen Sammelbandes „The Transformation of Politicised Religion – From Zealots to Leaders“ mit Beteiligung der Universität Göttingen. Zum Herausgeberteam um den Marburger Politikwissenschaftler Prof. Dr. Rachid Ouaissa gehört unter anderem Dr. Sebastian Schwecke, Akademischer Rat am Lehrstuhl für moderne indische Geschichte der Universität Göttingen. Einige der Autoren des Buches gehören selbst den moderaten Flügeln fundamentalistischer Bewegungen an.

In den vergangenen Jahren haben religiöse Bewegungen in vielen Ländern des Orients politische Machtpositionen erobert, so in der Türkei, Ägypten, Tunesien und Indien. Sie zeichnen sich durch eine Abgrenzung gegenüber einer säkularen, nationalstaatlichen Gesellschaftsordnung aus, die zunehmenden Wohlstand verspricht. „Der Umbau der bürgerlichen Schichten bildet den sozialen Hintergrund für den Aufstieg der religiösen Bewegungen zu politischer Macht“, schreiben Prof. Ouaissa und Dr. Schwecke in der Einleitung.

Wenn das Versprechen an die Mittelschichten, von wachsendem Wohlstand zu profitieren, sich nicht erfüllt, führt dies oft zu einer zunehmenden Ablehnung der überkommenen politischen Konzepte des säkularen Nationalstaats – die abgehängten Schichten wenden sich neuen Ideologien zu. Erobern die neuen Bewegungen einflussreiche Positionen in der Gesellschaft, stehen sie vor der Notwendigkeit, die Interessen immer breiterer Gesellschaftsschichten integrieren zu müssen. Gleichzeitig müssen sie jedoch ein wiedererkennbares Profil wahren, mit dem sie sich von politischen Konkurrenten absetzen können.

Der englischsprachige Band versammelt Fallbeispiele vom Mittleren Osten bis Südasien, die in einen übergreifenden Theorierahmen eingeordnet werden. Demnach gewinnen weltweit bürgerliche Bewegungen an Einfluss, die auf regionalen Interpretationen kultureller Identität und der Ablehnung des herrschenden Weltwirtschaftssystems beruhen – die Herausgeber sprechen von „Kulturell-Identitären Bewegungen“. Die Autoren beleuchten in ihren Fallstudien den Islamismus und die ökonomischen Verhältnisse in Algerien, den Machtverlust der Hindunationalisten in Indien, den militanten Islam in der Golfregion, die Muslimbruderschaft in Ägypten sowie die Basis der türkischen Regierungspartei AKP. Außerdem kommen gemäßigte Vertreter der algerischen Islamisten sowie der Hindunationalisten zu Wort, die wichtige Ansatzpunkte für die Fallstudien liefern.

„In unserem Buch werden politische Bewegungen thematisiert, die zwar in unterschiedliche Kulturen eingebettet sind, jedoch ähnliche Mobilisierungsmechanismen benutzen, und deren Klientel in der bürgerlichen Mitte zu verorten ist“, so die Herausgeber. „Diese Bewegungen sind eine Antwort auf das Scheitern der postkolonialen, säkularistischen Modelle.“

Originalveröffentlichung: Hartmut Elsenhans, Rachid Ouaissa, Sebastian Schwecke & Mary Ann Tétreault (Hg.). The Transformation of Politicised Religion – From Zealots to Leaders. Farnham (Ashgate) 2015. ISBN 978-1-4724-4881-1.

Kontaktadresse:
Dr. Sebastian Schwecke
Georg-August-Universität Göttingen
Centre for Modern Indian Studies (CeMIS)
Waldweg 26, 37073 Göttingen
Telefon (0551) 39-10721
E-Mail: sschwec@uni-goettingen.de
Internet: www.uni-goettingen.de/de/190397.html