Presseinformation: Wissenschaftliche Arbeit über Industrieforschung im Konzentrationslager

Nr. 81/2002 - 13.02.2002

Göttinger Nachwuchsforscherin wurde mit dem Georg-Agricola-Preis 2001 ausgezeichnet

(pug) Die Historikerin Anne Sudrow, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Göttingen, ist mit dem Georg-Agricola-Preis 2001 ausgezeichnet worden. Sie erhielt diese Aus-zeichnung für ihre Magisterarbeit über die sogenannte Schuhprüfstrecke im Konzentrationslager Sachsenhausen. Der Preis wird seit 1987 von der Freiberger Georg-Agricola-Gesellschaft an Nachwuchswissenschaftler vergeben, die sich mit der Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik beschäftigen.

Anne Sudrow behandelt in ihrer Magisterarbeit ein unbekanntes Kapitel deutscher Industrieforschung, die Entwicklung von Leder-Ersatzstoffen. Nach Angaben der Historikerin arbeitete das NS-Regime gemeinsam mit der Industrie seit Mitte der dreißiger Jahre an der Produktion derartiger Stoffe. Qualität und Verhalten im Gebrauch wurden auf Prüfstrecken getestet. Anne Sudrow: „Schon 1937 hatte ein badisches Unternehmen eine solche Strecke eingerichtet, auf der die Mitarbeiter täglich marschierten, um die Belastbarkeit der Ersatzsohlen zu testen. Weil diese Teststrecke nicht genügte, baute das Reichsamt für Wirtschaftsausbau im Konzentrationslager Sachsenhausen eine Schuhprüfstrecke.“ Wie die Wissenschaftlerin ermittelt hat, mussten die Häftlinge täglich bis zu 40 Kilometer auf einer 700 Meter langen Strecke laufen. Viele überlebten diese Anforderungen nicht und starben an Entkräftung oder an nichtbehandelten Entzündungen der Füße, so Anne Sudrow. Die Historikerin wertete für ihre Arbeit die Korrespondenzen der staatlichen Bewirtschaftungsstellen mit den Unternehmen der Leder-Ersatzstoff- und der Schuhindustrie aus. Nach ihren Recherchen wurden die im Konzentrationslager getesteten Ersatzstoffe später auch in der Bundesrepublik verwendet. „In der Nachkriegszeit entwickelten sich einige dieser Materialien zu erfolgreichen Produkten wie Schuhsohlen und Bodenbelägen.“

Die Georg-Agricola-Gesellschaft ist eine der ältesten Einrichtungen der Forschungsförderung in Deutschland. Sie wurde 1926 gegründet und hat das Ziel, die Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik zu fördern. Benannt ist die Gesellschaft nach dem sächsischen Humanisten Georgius Agricola (1494 bis 1555).

Kontaktadresse:
Anne Sudrow
Georg-August-Universität Göttingen
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Platz der Göttinger Sieben 5, 37073 Göttingen
Tel. (0551) 39-14055, Fax (0551) 39-12433
e-mail: anne.sudrow@wiwi.uni-goettingen.de
Internet: http://wiwi.uni-goettingen.de/wsg