Religion, Menschenrechte und Verfassung

Menschenrechte, Verfassung und katholische Kirche: der performative Selbstwider-spruch der katholischen Kirche
Die katholische Kirche befindet sich in einem performativen Selbstwiderspruch: auf der einen Seite hat sie sich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil umfassend zu der Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte bekannt, diese auch theologisch begründet, auf der anderen Seite wendet sie das Freiheits- und Gleichheitsprinzip aber nicht für die eigene Sozialgestalt an. Entsprechend eingeprägt ist das Bild der Kirche als das eines exklusiv organisierten, männerdominierten, patriarchalen und auf Gehorsam basierenden Klerikerverbandes. Wie sähe demgegenüber eine Verfassung der katholischen Kirche aus, die die Universalität der Menschenrechte auch auf die eigene institutionelle und rechtliche Struktur bezieht und die auch weitere Governance-Elemente demokratischer Rechtsstaaten übernähme, ohne zugleich ihr Proprium als Glaubensgemeinschaft aufzugeben? Der Zugang von Frauen zum Weiheamt, die Lockerung des Zölibats, eine andere machtpolitische und diskursive Stellung von Laien und der Ortskirche – diesen und weiteren Aspekten gehe ich gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus der Theologie und der Rechtswissenschaft nach. Die ersten Ergebnisse der Diskussionen erscheinen demnächst im Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften. Weitere Workshops zur Frage einer konstitutionellen Reform der katholischen Kirche sind für das nächste Jahr verabredet (Koordinatorin Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins, Universität Münster/Exzellenzcluster Politik und Religion). Ich möchte mich hierbei insbesondere dem Problem des Ausschlusses von Frauen vom Weiheamt und von den Entscheidungsinstitutionen der Kirche zuwenden. Ich vertiefe hier meine bereits publizierte Analyse der Verfassungsstruktur der katholischen Kirche.

Balancing Religious Accomodation and Human Rights in Constitutional Frameworks
Als Assoziiertes Mitglied (associate fellow) einer Forschungsgruppe, die derzeit am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld beheimatet ist (www.uni-bielefeld.de/ZIF/FG/2014Balancing/members.html), bin ich an der Durchführung mehrerer Workshops bzw. Konferenzen beteiligt, die sich der Frage eines transnationalen Austausches des Konzepts der Religionsfreiheit und seiner Beziehung zu anderen Menschenrechten im Rahmen konstitutionell verfasster Staatlichkeit widmet. Das Innovative dieser Forschungsgruppe liegt unter anderem darin, dass der üblicherweise innerhalb der westlichen Staaten-gruppe vorgenommene Vergleich des jeweiligen Verhältnisses von Politik, Recht und Religion hier zugunsten einer umfassenderen Perspektive erweitert wird, insofern sie Länder des nordafrikanischen und arabischen ebenso wie des südostasiatischen und des lateinamerikanischen Raums in den Vergleich einbezieht. Die Gruppe kann an Forschungen anknüpfen, die sie in der Vergangenheit zur Rolle von Religion in verfassunggebenden Prozessen durchgeführt hat; ich habe im Rahmen dieser Forschungskooperation den deutschen Part bearbeitet (ein Sammelband mit den Ergebnissen erscheint demnächst bei Cambridge University Press, hrsg. v. Asli Bali/ Hanna Lerner). Die nächste Etappe widmet sich unter anderem dem Phänomen von „constitutional migration“, das heißt ob und inwiefern in verfassunggebenden und verfassungsändernden Prozessen religionsrechtliche Konzepte von einem Staat in einen anderen „migrieren“ bzw. rezipiert werden. Unter dem Stichwort des „transjudicialism“ wird die Frage nach Zeugnissen von Verfassungstransfers auch für die Rechtsprechung gestellt. Hierzu werden Shylashri Shankar (Neu-Delhi), Mirjam Künkler (Princeton) und ich im nächsten Jahr eine internationale Konferenz veranstalten, die von der VW-Stiftung finanziert wird (Herrnhäuser Symposien). Für diese Konferenz bereite ich einen Beitrag vor, der die Frage eines universellen Kerns von Religionsfreiheit angesichts der Pluralität der Religionen und Rechtstraditionen (insbesondere hinsichtlich unterschiedlicher Verständnisse von „rule of law“) diskutiert.


Veranstaltungen im Rahmen des Projektes

  • Internationales Symposium zu „Constitutionalism, Religious Freedom and Human Rights: Constitutional Migration and Transjudicalism beyond the North Atlantic“ vom 3.6. bis 6.6.2015 in Hannover
    Tine Stein hat zusammen mit Mirjam Künkler (Princeton) und Shylashri Shankar (New Delhi) ein internationales Symposium zu „Constitutionalism, Religious Freedom and Human Rights: Constitutional Migration and Transjudicalism beyond the North Atlantic“ ausgerichtet, welches vom 3. Juni bis 6. Juni 2015 im Schloß Herrenhausen in Hannover stattfand. Das Programm finden Sie hier.

    HannoverKonferenz TS