Laudatio zur Dissertation von Jan Armin Gärtner
Koalitionsfreiheit und Crowdwork - Zur Kollektivierung der Beschäftigteninteressen soloselbstständiger Crowdworker
Die immer weiter fortschreitende Verbreitung digitaler Technologien ermöglicht nicht nur den Abschluss von Kaufverträgen und die Durchführung von Bankgeschäften, sondern auch die Organisation von Arbeit über Internetplattformen. Dieses neuartige Phänomen lässt sich unter den Oberbegriff der Plattformbeschäftigung fassen und meint die Zusammenführung von Arbeitskraftnachfrage und Arbeitskraftbedarf über internetbasierte digitale Plattformen. Die damit einhergehenden arbeitsrechtlichen Fragen bestimmen seit einigen Jahren die arbeitsrechtliche Diskussion im In- und Ausland. Als problematisch erscheint dabei vor allem, dass Tätigkeiten, die herkömmlich durch kontinuierlich beschäftigte Arbeitnehmer wahrgenommen worden sind, von den Plattformbetreibern entsprechend der Kundennachfrage in einzelne „Auftritte“ (Gigs) aufgespalten werden. Dies führt jedenfalls äußerlich zum Abschluss einzelner Werk- oder Dienstverträge und damit zu einer Unterwanderung des traditionellen Arbeitnehmerschutzes.Mit seiner Dissertation „Koalitionsfreiheit und Crowdwork“ greift Jan Armin Gärtner eine gleichermaßen aktuelle wie sozialpolitisch hochbrisante Materie auf, wobei er sich gezielt dem Phänomen des Crowdwork als Unterfall der Plattformbeschäftigung zuwendet. Hierunter versteht man die Erbringung ortsungebundener, rein digitaler Arbeitsaufgaben gegen Entgelt, die von einem Auftraggeber mithilfe einer als digitaler Marktplatz fungierenden Internetplattform an eine potentiell unbestimmte Menge von Personen ausgeschrieben wird (z.B. die Erledigung digitaler Kleinstaufgaben wie Verschlagwortung und Bilderkennung, aber auch die Teilnahme an Umfragen, das Entwerfen von Designs etc.) und die von der Erledigung ortsgebundener, analoger Dienstleistungen etwa im Bereich der Personenbeförderung (bekanntestes Beispiel ist insoweit der Fahrdienstleister Uber) zu unterscheiden ist.
Unter umfassender Berücksichtigung der hierzu schon vorangeschrittenen nationalen und vor allem internationalen Diskussion geht der Autor zunächst der Frage nach der rechtlichen Qualifikation der Crowdworker nach und gelangt dabei zu dem Zwischenergebnis, dass diese Art von Plattformbeschäftigten ihre Tätigkeit regelmäßig als soloselbstständige Dienstleister auf werkvertraglicher Basis erbringen, wodurch sie außerhalb des klassischen Arbeitsrechts stehen. Über den Fortfall zahlreicher arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften hinaus führen die Mechanismen des Arbeitsmarktes in diesem Sektor vielfach zu ausgesprochen niedrigen Entgelten. Dies mag bei Gelegenheitstätigkeiten noch hinnehmbar sein, ist sozialpolitisch aber dann hochgradig bedenklich, wenn Menschen auf eine solche Beschäftigung für ihren Lebensunterhalt angewiesen sind.
Vor diesem Hintergrund erörtert der Autor im Zentrum seiner Arbeit die Möglichkeiten zur Kollektivierung der Beschäftigteninteressen bei Crowdwork als Instrument zur Herbeiführung angemessener Arbeitsbedingungen. Hierbei arbeitet er heraus, dass soloselbstständige Crowdworker dem Schutzbereich der grundrechtlich gewährleisteten Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG unterfallen. Die Koalitionsfreiheit, so argumentiert der Autor, ist entwicklungsoffen formuliert und will überall dort, wo die sozioökonomischen Umstände es gebieten, den beruflich Tätigen das Recht verschaffen, sich zu Koalitionen zusammenzuschließen, um die auf ihre Beschäftigung bezogenen Interessen gemeinsam zu vertreten. In diesem Sinne sind Crowdworker klassischen Arbeitnehmern vergleichbar schutzbedürftig, weil die Wahrnehmung ihrer Vertragsfreiheit gegenüber den Betreibern digitaler Plattformen stark eingeschränkt ist. Letztere diktieren die Vertragsbedingungen einseitig und schreiben vielfach vollständig determinierte Arbeitsaufgaben zu niedrigen Entgelten aus, die den Crowdworkern, die auf einem zumindest potenziell globalen Arbeitsmarkt untereinander konkurrieren, nur die Wahl lassen, die vorgegebene Bedingungen zu akzeptieren oder von der Auftragserledigung Abstand zu nehmen. Eine Einflussnahme auf die Vertragsgestaltung, wie sie bei rechtlich und wirtschaftlich selbstständigen Dienstleistern idealtypisch und üblich ist, findet nicht statt.
Zwar lässt sich, so der Autor weiter, aus der Verfassung kein Recht der Crowdworker auf den Abschluss von normativ wirkenden Tarifverträgen ableiten, sodass ihnen dieses klassische Instrument des Arbeitnehmerschutzes versagt bleibt, solange der Gesetzgeber nicht dahingehend aktiv wird. Die Crowdworker könnten die ihnen zustehende Koalitionsfreiheit aber durch den Beitritt zu klassischen Gewerkschaften oder auch im Wege der Bildung neuer Koalitionen sowie durch den Abschluss schuldrechtlicher Kollektivvereinbarungen mit ihren Beschäftigungsgebern wahrnehmen, um bestimmte existenzsichernde Mindestarbeitsbedingungen durchzusetzen. Diese Kollektivverträge sind nach Ansicht des Autors durch atypische Arbeitskampfmaßnahmen – wie etwa Boykottmaßnahmen und Cyberangriffe – im Rahmen der Verhältnismäßigkeit erkämpfbar. Schließlich prüft und bejaht der Autor auch ihren Einklang mit dem (europäischen) Kartellrecht sowie den europäischen Grundfreiheiten.
Mit seiner grundlegenden Untersuchung betritt Jan Armin Gärtner weitgehend Neuland und setzt Maßstäbe in einem für die künftige Gestalt des Arbeitsmarktes immer wichtiger werdenden Bereich. An seinen Überlegungen wird der wissenschaftliche Diskurs, wird aber auch der Gesetzgeber bei den gegenwärtigen Überlegungen für eine gesetzliche Regelung der Plattformbeschäftigung nicht vorbeigehen können.
Prof. Dr. Rüdiger Krause