Der Nachlass Paul de Lagarde

Orientalistische Netzwerke und antisemitische Verflechtungen

Am 15. und 16. Januar 2018 fand an der Georg August Universität Göttingen ein Workshop zu Leben und Werk des wegen seines, u.a. in seinen „Deutschen Schriften“ verbreiteten, völkisch-antisemitischen Gedankengutes hochumstrittenen Orientalisten Paul de Lagarde (1827–1891) statt.
Die Veranstaltung wurde gemeinsam mit dem Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam vom Seminar für Ägyptologie und Koptologie ausgerichtet. Vertreter verschiedener orientalistischer Disziplinen, der Jüdischen Studien, Antisemitismusforschung, Neueren und Neuesten Geschichte sowie Wissenschaftsgeschichte nahmen daran Teil und haben die Fallstudie Paul de Lagarde interdisziplinär und multiperspektivisch beleuchtetet. Ein Tagungsbericht ist bei HSozKult erschienen.


Die Ergebnisse des Workshops, um weitere Beiträge ergänzt, sind nun in der MMZ-Reihe der Europäisch-Jüdischen Studien, Beihefte erschienen. Der Band mit der Nr. 46 wurde 2020 vom Fachinformationsdienst für Jüdische Studien, zusammen mit acht weiteren Titeln, aus dem aktuellen Jewish Studies Programm beim Verlag De Gruyter für eine Open-Access-Stellung ausgewählt. An der Titelauswahl waren 18 Bibliotheken beteiligt.


Die Bemühungen des Seminars für Ägyptologie und Koptologie um eine nachhaltige und differenzierte Auseinandersetzung mit der Fachgeschichte der Orientalistik in Göttingen und darüber hinaus reichen bis in die 1970er Jahre zurück und finden ihren Ausdruck auch in aktuellen Ausstellungen, Tagungen und Publikationen.


Gemeinsam mit der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek bemüht sich das Seminar auch um eine umfassende Digitalisierung, Online-Edition und wissenschaftsgeschichtliche Erschließung des in den Archivbeständen der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen befindlichen Nachlasses Paul de Lagarde und will dabei auch den Fragen nachgehen, inwieweit durch Lagarde Antisemitismus und völkisches Denken in der deutschen Wissenschaft salonfähig gemacht worden sind, wie sich bei ihm philologische Forschung und politische Weltanschauung miteinander verschränken und ob in der Ägyptologie eine longue durée rassekundlich-völkischen Gedankengutes vom Ende des 19. Jh. bis in die Zeit des Nationalsozialismus nachzuweisen ist.