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Aktuelle Forschungsthemen



In der Evolution komplexer Organe, wie des Gehirns, werden Phasen gradueller Modifikation immer wieder von diskreten Innovationen unterbrochen, die die evolutionäre „Erfindung“ neuartiger Architekturen oder Informationsverarbeitungsprinzipien markieren. Die Grundprinzipien solcher neurobiologischen Schlüsselinnovationen zu erfassen und ihren Ablauf zu erklären, ist eine der großen Herausforderungen für die theoretische und evolutionäre Neurowissenschaft. Die Gruppe von Prof. Wolf arbeitet gegenwärtig an zwei Problemenfeldern aus diesem Bereich: der Reorganisation des Netzwerkes der Sehrinde am Ursprung des Primatengehirns und der Optimierung des neuronalen Codes für die Populationscodierung in der Evolution des Vorderhirns

In der Großhirnrinde wird relevante Information in der Regel durch die Aktivität von Populationen von Tausenden von Nervenzellen dargestellt und verarbeitet. Dennoch hängen die Leistungsfähigkeit und Verarbeitungsgeschwindigkeit biologischer neuronaler Netzwerke kritisch von der spezialisierten molekularen Architektur und Biophysik der einzelnen Nervenzellen ab. In einer Reihe von Projekten beschäftigt sich die Gruppe von Prof. Wolf damit, Aspekte der molekularen Architektur von spezialisierten Kompartimenten der Nervenzelle quantitativ und theoretisch fundiert mit der Leistungsfähigkeit auf der Ebene großer Netzwerke zu verknüpfen.

Menschen, Tiere und künstliche Agenten stehen häufig vor der Aufgabe, Informationen über ihre Umwelt in einem sozialen Kontext zur Verhaltenssteuerung zu nutzen, wobei das Verhalten anderer Akteure sowohl die Bewertung von Handlungsmöglichkeiten bestimmt als auch als eigene Informationsquelle genutzt werden kann. Traditionell werden optimale Handlungsstrategien für soziale Akteure mit Hilfe von spieltheoretischen Modellen und deren evolutionärer Optimierung untersucht. Solche spieltheoretischen Modelle vernachlässigten allerdings bisher, dass die Verarbeitung sozialer und sensorischer Information, Handlungsplanung und -initiierung in der Regel parallel verlaufen. So hat Prof. Wolf eine neue Klasse spieltheoretischer Modelle, „transparente Spiele“, eingeführt, die erlaubt, dies adäquat zu berücksichtigen.

Die Netzwerke der Großhirnrinde sind in der Lage, ihre Architektur durch Lern- und Selbstorganisationsprozesse umzustrukturieren, so dass Nervenzellpopulationen neue Aufgaben übernehmen oder ihre Leistung verbessern können. Diese im jungen Gehirn besonders ausgeprägte Neuroplastizität ist die entscheidende Grundlage unseres Vermögens, lebenslang neue Fähigkeiten zu erwerben. Die Gruppe von Frau Prof. Löwel beschäftig sich mit den Fragen, welche molekularen Prozesse der hohen Plastizität des juvenilen Gehirns zugrunde liegen, wie sie in eine adulte Form überführt wird und ob sich eine dem jungen Gehirn ähnliche Lernfähigkeit zu therapeutischen Zwecken wiederherstellen lässt. Die Gruppe konnte beispielsweise einen neuartigen Mechanismus für die Regulation der Plastizität der Sehrinde entdeckt. Diese Untersuchungen werden durch Arbeiten des Labors Neurophysik des CIDBN an konditionierten in vitro Modellen der Netzwerkplastizität ergänzt.

Die Fähigkeit der Netzwerke der Großhirnrinde sich erfahrungsgetrieben zu reorganisieren, wird nicht allein vom Alter bestimmt, sondern kann durch Umgebungsbedingungen und körperliche Aktivität beeinflusst werden. In mittlerweile klassischen Arbeiten konnte Prof. Löwel im Nagermodell zeigen, dass das Heranwachsen in einer angereicherten Umgebung ausreicht, um im adulten Zustand funktionale Plastizität des gleichen Ausmaßes wie im jungen Alter zu erhalten. Zuletzt konnte die Gruppe von Prof. Löwel das Ausmaß und die Grenzen adulter Plastizität weiter untersuchen und Möglichkeiten bestimmen, eine verstärkte Plastizität zu therapeutischen Zwecken herbeizuführen.

Die Architektur biologischer Netzwerke dient im Wesentlichen der Vermittlung, Lenkung und Integration der Informationsflüsse zwischen ihren Elementen. Diese Informationsflüsse quantitativ zu erfassen, ist eine zentrale Herausforderung der datengetriebenen Analyse biologischer Netzwerke. Die Gruppe von Prof. Wibral Methoden hat für die Messung von Transferinformation und Informationsmaße spezifischer und synergistischer Komponenten von Informationsflüssen weiterentwickelt und in Magnetenzephalographie-Experimenten mit neurotypischen und psychiatrischen Probanden erfolgreich eingesetzt

Biologische Netzwerke erfüllen ihre Funktion durch das organisierte Zusammenspiel ihrer Elemente, das von Arbeitspunkten des Netzwerks bestimmt wird und so zustandsabhängig moduliert werden kann. Beispiele hierfür sind die variable Lebensdauer von Gedächtnisspuren des Arbeitsgedächtnisses, aber auch die Natur und Intensität eines Infektionsgeschehens in einer interagierenden Population von Organismen. Zur Bestimmung von Kernparametern derartiger Netzwerk-Arbeitspunkte hat die Gruppe von Prof. Wibral im Berichtszeitraum Methoden einer bislang nicht erreichten Auflösungskraft entwickelt und angewandt.

Die Analyse der Dynamik biologischer Netzwerke wie auch ihre technologische Nutzung und therapeutische Eingriffe schreiten gegenwärtig durch die Entwicklung biologischer Schnittstellen-Technologien sehr dynamisch voran. Schnittstellen hoher Leistungsfähigkeit erfordern dabei die Optimierung der eingesetzten Effektoren, abgestimmt auf die intrinsische Dynamik des spezifischen Systems und die Erfassung der gekoppelten Systeme aus Schnittstelle und biologischem Netzwerk in mathematischen Modellen. Innerhalb des CIDBN ist das Labor Neurophysik unter Leitung von Dr. Neef Kompetenzzentrum und Plattform für neuronale Schnittstellen-Technologien und ihre Anwendungen.

Komplexe Fluide können sich durch Separation verschiedener flüssiger Phasen räumlich selbstorganisieren. Seit einigen Jahren werden im Bereich der Zellbiologie immer mehr funktionelle Kompartimente nachgewiesen, die sich durch analoge Phasenseparationsprozesse ausbilden. Im Unterschied zu klassischen physikalischen Modellen der Phasentrennung werden viele dieser Systeme durch Energieeinsatz im thermodynamischen Ungleichgewicht gehalten und können dadurch neuartige und biologisch funktionale Eigenschaften ausprägen. Die Gruppe von Dr. Zwicker hat eine Vielzahl von Beiträgen zu diesem jungen Gebiet der Dynamik lebender Systeme geliefert.

Die Dynamik der evolutionären Anpassung lebender Systeme ist der fundamentale Prozess biologischer Evolution. Eine Vielzahl lebender Subsysteme unterliegt allerdings einer gegenseitigen Anpassung, einer Coevolution, die nicht in einem stationären Gleichgewicht resultieren muss. Die Dynamik coevolvierender Systeme, wie etwa von Pathogenen und der Immunantwort ihres Wirts, ist aus diesem Grund reichhaltig und noch unzureichend verstanden. Dr. Nourmohammad und ihre Gruppe verwenden Methoden der statistischen Mechanik des Ungleichgewichts, der Optimierungs- und Systemtheorie, um paradigmatische Beispiele coevolutionärer Dynamik zu untersuchen.