Laudatio

zur Dissertation von Dr. Anthea Luisa Pitschel: Die gute fachliche Praxis. Ein staatliches Steuerungsinstrument im Spannungsfeld zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen in der Landwirtschaft

Die Dissertationsschrift von Anthea Pitschel hat mit der „guten fachliche Praxis“ ein strukturprägendes Konzept des Agrarumweltrechts zum Gegenstand. Es findet sich als Tatbestandselement in zahlreichen agrarrechtlichen Bestimmungen. In den meisten Bestimmungen sollen über die gute fachliche Praxis die landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsformen definiert werden, die von den strengen ordnungsrechtlichen Vorgaben des Umweltrechts entweder vollständig oder teilweise freigestellt sind. Damit wird die Schlüsselfunktion der „guten fachlichen Praxis“ bei der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Landwirtschaft und Umweltschutz und damit zwischen ökonomischen und ökologischen Belangen deutlich. Man kann sogar sagen, dass die gute fachliche Praxis der Maßstab dafür ist, wie sich der Umweltschutz in der Landwirtschaft realisiert. Die Debatte um die Defizite des Agrarumweltschutzes und um die Verantwortung der Landwirtschaft für erhebliche Beeinträchtigungen der Umwelt zeigt indes, dass dieses Instrument in seiner konkreten Ausgestaltung selbst wiederum Defizite aufweist. So sind die einzelnen Grundsätze auf Ausfüllung und Ergänzung durch das Landesrecht angelegt. Diese Konkretisierung haben die Länder bis heute nicht geleistet. Folge ist, dass die gute fachliche Praxis daher bis heute nicht die Steuerungswirkung entfaltet hat, die ihr ursprünglich zugeschrieben worden war.
Anthea Pitschel beschränkt jedoch ihre Untersuchung nicht auf die Sichtung und Beschreibung dieser defizitären Praxis der guten wissenschaftlichen Praxis. Sie erfasst, analysiert und strukturiert vielmehr die zugrundeliegenden Probleme im Gesamtkontext des Agrarumweltrechts sowie des Verwaltungssystems mit den ökonomischen und ökologischen Konnotationen.
Von besonderem Gewinn ist die Einordnung der guten fachlichen Praxis als Teil des Gesamtsystems der Regulierungssinstrumente des Wirtschaftsverwaltungsrechts. Hierzu arbeitet die Untersuchung überzeugend heraus, dass die Nutzung des Instruments der guten fachlichen Praxis als besonderer Maßstab für die Vorsorgepflichten der Landwirtschaft im BNatSchG und BBodSchG innovativ und fortschrittlich ist. Das Instrument ermöglicht im Sinne einer regulierten Selbstregulierung dem landwirtschaftlichen Sektor als risikogeneigte Tätigkeit, das sich verändernde Fachwissen um die gebotenen Standards in die Gesetzgebung dynamisch einzubauen. Das gewährleistet sachgerechte und umsetzbare Regelungen, stärkt die Akzeptanz beim Adressaten und sichert dadurch das Regelungsziel
Die Untersuchung vertieft die dem Konzept der regulierten Selbstregulierung zugrunde liegenden Strukturelemente der Regulierung, der gesellschaftlichen Selbstregulierung und einer gemeinwohlorientierten Regulierung. Dabei belässt es die Untersuchung nicht bei der bloßen Beschreibung oder Darstellung, sondern sie analysiert sowohl faktisch als auch rechtlich umfassend die zugrundeliegenden Strukturen sowie die zugrundeliegenden Konzepte wie Verhaltenssteuerung oder Techniksteuerung. Neben dieser Funktion als Verhaltenssteuerung wird das Konzept der guten fachlichen Praxis auch verstärkt zur Standardisierung herangezogen.
Ausgehend von diesem Zwillingscharakter der guten fachlichen Praxis als unbestimmter Begriff sowie als interdisziplinärer Verbundbegriff werden sodann die Möglichkeiten und Grenzen der Steuerung über unbestimmte Begriffe untersucht. Das setzt eine verfassungsrechtliche wie auch verwaltungsrechtliche Befassung und Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Unbestimmtheit voraus. Diese Unbestimmtheit ist erforderlich, zugleich aber zu begrenzen, sei es durch das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot, sei es durch Verfahren, die sich aus der Rechtsschutzgarantie ergeben zur verwaltungsprozessrechtlichen Kontrolle und Begrenzung bestehender Beurteilungsspielräume.
Anthea Pitschel gelingt es, die gute fachliche Praxis als ein das Agrarrecht prägendes, in der Literatur bislang jedoch kaum durchdrungenes Instrument in seinem Gesamtrechtsrahmen zu erfassen und zu analysieren. Sie hat ihre Ergebnisse mit einer methodisch sicheren Argumentation erzielt, die durchgängig den Blick für die Praxiserfordernisse nicht verliert, sondern ihnen durchaus differenziert Rechnung trägt. Die Untersuchung betritt wissenschaftliches Neuland, das sich nicht als kleine Insel erweist, sondern als der ganze, dogmatisch unaufbereitete Kontinent des deutschen Agrarumweltrechts. Diesen akademischen Kontinent untersucht sie mit einer beeindruckenden fachlichen und sprachlichen Souveränität sowie Tiefe- schlichtweg eine beeindruckende Leistung!

Prof. Dr. José Martinez