Presseinformation: Universität richtet neue Zentren zur modernen Indien- und Ostasienforschung ein

Nr. 184/2009 - 02.10.2009

Deutschlandweit einzigartige Ausrichtung und neue Studienangebote

(pug) Starkes Wirtschaftswachstum und große Forschritte auf den Gebieten Wissenschaft und Technologie kennzeichnen Süd- und Ostasien ebenso wie ethnische, sprachliche und religiöse Vielfalt. Die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung Süd- und Ostasiens für die übrige Welt wird weiter zunehmen. Um die Prozesse zu erforschen, die diesen Entwicklungen zugrunde liegen, richtet die Universität zwei Regionalzentren ein, die sie am heutigen 2. Oktober 2009 vorgestellt hat: Das Centre for Modern Indian Studies und das Ostasienzentrum. Beide arbeiten an der Nahtstelle von Geistes- und Sozialwissenschaften. Die gesellschaftswissenschaftliche Ausrichtung und die enge Verzahnung mit kulturwissenschaftlichen Fragestellungen zur Moderne in Indien und China sind in Deutschland einzigartig. Ihre Gründung gehört zu den entscheidenden Maßnahmen zur Förderung der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften an der Universität Göttingen. Diese Gründungsintitiativen sind auch deshalb ein wissenschaftspolitisches Ereignis ersten Ranges, weil sie einem vom Wissenschaftsrat konstatierten Entwicklungsrückstand der deutschen Universitätslandschaft entgegenwirken. So liegt die letzte Gründung eines interdisziplinären Instituts für Indienstudien vergleichbarer Größenordnung in Deutschland beinahe ein halbes Jahrhundert zurück.

Ein wesentliches Ziel ist es, die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in Indien und China und die Wechselwirkungen mit kulturellen, politischen und rechtlichen Entwicklungen von der Moderne bis zur Gegenwart zu erforschen. Dabei ist der systematische Vergleich zwischen beiden Ländern auch deshalb ein wichtiges Forschungsinstrument, um die durchaus unterschiedlichen Entwicklungsoptionen zu erkennen, die diesen beiden etwa in Bezug auf Bevölkerungsgröße, Urbanisierungsdynamik und wirtschaftliches Wachstum ähnlichen, historisch aber sehr unterschiedlichen Ländern offen stehen. Indien erzielte seit seiner Unabhängigkeit über Jahrzehnte ein Wirtschaftswachstum von rund vier Prozent. Dies gelang trotz tief verwurzelter ethnischer, regionaler, religiöser und kastenbasierter Ungleichheiten und der sich daraus ergebenden wirtschaftlichen und sozialen Spannungen. Seit den 80er Jahren stieg diese Wachstumsrate auf bis zu neun Prozent an. Noch stärker wuchs die Wirtschaft der Volksrepublik China, die seit den Wirtschaftsreformen Mitte der 80er Jahre häufig zweistellige Wachstumsraten aufwies.

Für das Centre for Modern Indian Studies liegt ein besonderer Schwerpunkt auf den neuen dynamischen Konflikten im modernen Indien, während sich die Forschung im Ostasienzentrum der Frage nach der Substanz und Tragfähigkeit der in dieser Region konzipierten Alternativen zur westlichen Moderne stellt. Im Fokus steht dabei die Entwicklung in China sowie weiterer Länder wie insbesondere Südkorea und Japan.
Beim Aufbau dieser Regionalzentren kann sich die Universität Göttingen nicht nur auf eine lange Tradition in der Indologie und Sinologie stützen, sondern auch auf aktuelle Projekte in Forschung und Lehre, bei denen die Wissenschaftler in engem Kontakt mit Indien und China stehen. „Die Rahmenbedingungen für den Aufbau dieser Zentren sind exzellent, denn sie können mit zahlreichen Einrichtungen am Wissenschaftsstandort Göttingen kooperieren“, erklärt Vizepräsidentin Prof. Dr. Hiltraud Casper-Hehne. Dazu zählen das Max-Planck-Institut zur Erforschung multiethnischer und multireligiöser Gesellschaften ebenso wie ein Courant Forschungszentrum an der Universität, das Armut, Ungleichheit und Wachstum in Entwicklungsländern untersucht. Hinzu kommen zwei gemeinsame Institute der Universitäten Göttingen und Nanjing: das Deutsch-Chinesische Institut für Rechtswissenschaft und das Deutsch-Chinesische Institut für Interkulturelle Germanistik. Die neuen Zentren besitzen darüber hinaus Verbin-dungslinien zur Humangeographie mit ihren Schwerpunkten in Asien, zur Ethnologie oder zum Schwerpunkt Religionswissenschaften am Lichtenberg-Kolleg. Unterstützt wird die Arbeit der beiden neuen Regionalzentren außerdem durch die im Rahmen der Exzellenzinitiative eröffneten Auslandsrepräsentanzen in Pune (Indien), Nanjing (China) und Seoul (Südkorea).

Centre for Modern Indian Studies
Am deutschlandweit einzigartigen Zentrum für Studien über das moderne Indien, das die Universität Göttingen zum 1. September 2009 eingerichtet hat, sollen soziale, ökonomische und politische Entwicklungen in Indien erforscht werden. Dabei spielen ethnische, religiöse und sprachliche Diversität sowie sozialstrukturelle Ungleichheiten und politische Konflikte eine wichtige Rolle. „Das Göttinger Centre for Modern Indian Studies fügt sich in die aktuelle Forschung über die wirtschaftlich dynamischen südasiatischen Staaten ein, wird aber mit seiner wirtschafts- und gesellschaftswissenschaftlichen Ausrichtung bundesweit ein Alleinstellungsmerkmal haben“, erläutert Universitäts-Präsident Prof. Dr. Kurt von Figura. Für die Aufbauphase des Zentrums in den Jahren 2009 bis 2013 hat die Universität Fördermittel beim Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur beantragt. Der Bedarf liegt bei 2 bis 2,5 Mil-lionen Euro jährlich.

Am Göttinger Centre for Modern Indian Studies sollen insgesamt fünf neue Professuren eingerichtet werden, die dem Zentrum ein interdisziplinäres Profil geben. Ein Anknüpfungspunkt ist dabei auch die klassische Indologie, wie sie an der Universität Göttingen bereits seit den 1830er Jahren gelehrt wurde. „Die erste Professur für das aufzubauende Zentrum konnten wir bereits mit einem renommierten Indienexperten besetzen und damit im internationalen Wettbewerb um exzellente Wissenschaftler mit unserem Konzept überzeugen“, so Prof. von Figura. Prof. Dr. Ravi Ahuja hat sich mit Arbeiten zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Indiens profiliert. Zwei weitere Professuren zur ökonomischen Entwicklung Indiens und zu indischen Religionen sind derzeit ausgeschrieben.

Die Forschung am Centre for Modern Indien Studies ist auf eine Verknüpfung der kultur- und gesellschaftswissenschaftlichen Perspektiven ausgerichtet. Die besondere Aufmerksamkeit der Forscher gilt Indiens pluralistischer Gesellschaft. Dabei wird es um unterschiedliche Dimensionen von Ungleichheit und Armut gehen und deren Verknüpfung mit ethnischen, religiösen und kastenbasierten Unterschieden. Die Wissenschaftler am Zentrum können bei ihrer Forschung an etablierte Kooperationen mit Hochschulen in Indien anknüpfen. Mit der Forschung auf dem Gebiet der indischen Regionalstudien sind auch neue Studienangebote verknüpft. Geplant sind ein Bachelor-Studiengang, zwei Master-Studiengänge sowie ein Promotionsstudiengang.

Ostasienzentrum
Ostasien gehört weltweit zu den Regionen, die über eine lange, kontinuierliche Hochkultur verfügen und sich der Herausforderung durch den modernen Westen erfolgreich gestellt haben. Mit dem ökonomischen Aufstieg Japans, Koreas und Taiwans sowie Festlandchinas agieren diese ostasiatischen Staaten weltweit mit mehr Selbstbewusstsein. Die Universität Göttingen wird ein Zentrum für Ostasienwissenschaften aufbauen, um die rasanten sozio-ökonomischen Entwicklungen in Ostasien und die Alternativen zum westlichen Entwicklungsmodell in den Mittelpunkt von Forschung und Lehre zu stellen. Es wird dabei angestrebt, sich mit Japan, Nord- und Südkorea, Festlandchina, Taiwan und Hongkong in seiner historischen und politisch-kulturellen Vielfalt auf der Grundlage profunder linguistischer und kultureller Kenntnisse auseinanderzusetzen.

Die Universität Göttingen verfügt für den Aufbau eines Ostasienzentrums nicht nur über eine lange Tradition in der Sinologie und in der Ostasienkunde, sondern sie steht auch aktuell mit bedeutenden Projekten in Forschung und Lehre in engem Kontakt zu China und Südkorea. Derzeit widmen sich 20 Kooperationen an acht Fakultäten den deutsch-chinesischen Beziehungen in der Moderne. Darüber hinaus kooperiert die Universität am Wissenschaftsstandort Göttingen mit dem Max-Planck-Institut zur Erforschung multiethnischer und multireligiöser Gesellschaften, an dem soziale und religiöse Entwicklungen in der chinesischen Gesellschaft untersucht werden. Ein einzigartiger Bestand von sinologischen, japanologischen und koreanischen Quellentexten, Zeitschriften und Referenzwerken stehen in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen bereit. Die Bibliothek ist zudem am DFG-Forschungsprojekt „Virtuelle Fachbibliothek Ostasien“ und dem DFG-Sondersammelgebiet „Korea“ beteiligt.

Als ersten wichtigen Schritt für den Aufbau eines Ostasienzentrums hat die Universität Göttingen eine Stiftungsprofessur „Ostasienwissenschaften“ mit dem Schwerpunkt China aus der regionalen Wirtschaft eingeworben. Prof. Dr. Axel Schneider hat zum August 2009 seine Tätigkeit aufgenommen und leitet das Ostasiatische Seminar der Philosophischen Fakultät. Durch die Berufung des Ostasien-Experten wird die Göttinger Sinologie eine moderne Ausrichtung erhalten, ohne die klassisch-historischen Grundlagen zu vernachlässigen. Ziel der Forschung und Lehre ist es, sich China und seinen Nachbarn sozial- und kulturwissenschaftlich zu nähern und sowohl den Modernisierungsprozess der vergangenen 150 Jahre als auch die kulturellen Entwicklungen und Diskurse zu erforschen.

Die Universität plant, weitere Professuren für das Ostasienzentrum einzuwerben. Die Forschung soll sich konzentrieren auf die sozialen, rechtlichen, politischen und kulturellen Bedingungen in der Volksrepublik China und in Südkorea und untersuchen, wie diese die wirtschaftliche Entwicklung beeinflussen. Darüber hinaus sollen die wissenschaftlichen Verbindungen nach Japan im Kontext eines europäisch-ostasiatischen Forschungsnetzwerkes ausgebaut werden.

Der Schwerpunkt Ostasienwissenschaften spiegelt sich auch im Studienangebot der Universität wider. Der Bachelor-Studiengang „Ostasienwissenschaft/China“ vermittelt grundlegende wissenschaftliche Kenntnisse der chinesischen Sprache und Kultur in Hinblick auf das Moderne China. Geplant sind die Einführung eines Master-Studiengangs „Moderne Sinologie“ mit sozial- und kulturwissenschaftlichen Komponenten, die Entwicklung eines Promotionsstudiengangs „Ostasienwissenschaft“ mit Schwerpunkt China und von Studienangeboten mit dem Profil Lehramt Chinesisch.

Weitere Informationen und Beiträge des Pressegesprächs stehen im Internet unter der Adresse www.uni-goettingen.de/de/124160.html zum Download bereit.