Presseinformation: Göttinger Wissenschaftler simulieren „Zusammenarbeit“ von Nervenzellen

Nr. 25/2010 - 05.02.2010

Formel ermöglicht erstmals genaue Vorhersage zur Aktivität von Neuronen

(pug) In einem Orchester werden die Einsätze der einzelnen Musiker sehr genau aufeinander abgestimmt, damit kein Missklang entsteht. Das ist auch bei Milliarden von Nervenzellen (Neuronen) im Gehirn so. Nur durch exakte Abstimmung der Neurone funktionieren so erstaunliche Leistungen wie Musik zu hören oder einen Text zu lesen. Verschiedene Nervenzellen sind beispielsweise auf bestimmte Aspekte der Bildverarbeitung spezialisiert. Sie reagieren auf Farbe, Helligkeit oder Bewegungsrichtung. Vieles deutet nun darauf hin, dass Nervenzellen, die den gleichen Gegenstand erfassen, auch ihre Signale synchronisieren, um zusammengehörige Informationen gemeinsam weiterzugeben. Wie und unter welchen Bedingungen diese „Zusammenarbeit“ der Neurone zustande kommt, konnte bislang aber nicht geklärt werden. Nun haben Göttinger Wissenschaftler um Prof. Dr. Fred Wolf vom Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience und dem Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation eine mathematische Formel entwickelt, mit der genau vorhergesagt werden kann, wie und wann sich Nervenzellen synchronisieren.

Neurowissenschaftler debattieren schon lange darüber, wie das Gehirn Informationen in der elektrischen Aktivität der Signale von Nervenzellen kodiert. Mit ihrer Arbeit konnten die Göttinger Wissenschaftler dieses Rätsel ein Stück weiter entschlüsseln. Sie haben untersucht, wie synchron die Antwort zweier Nervenzellen ist, wenn ihre Eingangssignale zum Teil überlappen. Dabei ist es ihnen gelungen, die Umwandlung von Eingangs- in Ausgangssignale bei Neuronen in eine relativ einfache mathematische Formel zu fassen. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sind am 4. Februar 2010 in der Zeitschrift „Physical Review Letters“ erschienen. Erstautorin ist die Neurophysikerin Tatjana Tchumatchenko. Sie ist Doktorandin an der Göttinger Graduiertenschule für Neurowissenschaften und Molekulare Biowissenschaften (GGNB) der Universität Göttingen, die mit Mitteln aus der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern gefördert wird.

Jedes Neuron in der Hirnrinde enthält Informationen von etwa 30.000 anderen Nervenzellen und sendet als Antwort darauf selbst Impulse. Allerdings wird nicht jedes Eingangssignal mit der gleichen Anzahl Ausgangssignale beantwortet – nicht jeder Reiz führt also auch zu einer „Antwort“ des Neurons. Das liegt daran, dass die vielfältigen elektrischen Eingangssignale, die ein Neuron erhält, zu Veränderungen in der Spannung über seiner Membran führen. Erst wenn die Summe dieser Eingangsreize einen gewissen Schwellenwert überschreitet, sendet das Neuron selbst ein Signal aus. Die Frage ist, wie ähnlich Neurone reagieren, wenn ein Teil der Eingangssignale gleich ist.

Wie die Forscher anhand des Modells vorhersagen konnten, hängt die Korrelation der Antwortsignale nicht nur davon ab, wie ähnlich sich die jeweiligen Eingangssignale sind, sondern auch davon, wie aktiv die Zellen sind. Senden die Nervenzellen in schneller Folge viele Signale – ihre Aktivität ist also hoch – sind auch die Antwortsignale stärker korreliert. Diese Regel gilt allerdings nur, wenn die Neurone lediglich einen kleinen Teil der Eingangssignale gemeinsam empfangen. Wenn die Neurone dagegen weitgehend von gemeinsamen Eingangssignalen angeregt werden und entsprechend ähnliche Antwortsignale produzieren, spielt die eigene Aktivität der Nervenzellen plötzlich keine große Rolle mehr. Diese Aussagen aus ihrem mathematischen Modell konnten die Wissenschaftler experimentell bestätigen: Sie regten Zellen mit im Computer nachgebildeten Gehirnströmen an und maßen ihre jeweiligen Antwortsignale.

Originalveröffentlichung: Tatjana Tchumatchenko, Aleksey Malyshev, Theo Geisel, Maxim Volgushev und Fred Wolf. Correlations and Synchrony in Threshold Neuron Models. Physical Review Letters, Vol. 104, No. 5 (5. Februar 2010). DOI: 10.1103/PhysRevLett.104.058102

Hinweis an die Redaktionen:
Fotos von Tatjana Tchumatchenko und Prof. Dr. Fred Wolf stellen wir Ihnen auf Anfrage gerne zur Verfügung.

Kontaktadresse:
Tatjana Tchumatchenko und Prof. Dr. Fred Wolf
Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience
Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation
Bunsenstraße 10, 37073 Göttingen
Telefon (0551) 5176-423 (Fred Wolf) oder (0551) 5176-550 (Tatjana Tchumatchenko)
E-Mail: fred@nld.ds.mpg.de oder tatjana@nld.ds.mpg.de
Internet: www.ds.mpg.de