Presseinformation: „Nicht jede ärztliche Falschabrechnung ist strafrechtlich relevant“

Nr. 175/2011 - 22.07.2011

Tatort Gesundheitsmarkt: Experten aus Wissenschaft und Praxis diskutierten in Göttingen

(pug) Über Strategien zur angemessenen Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen diskutierten 60 Experten aus Wissenschaft und Praxis im Juli 2011 auf der Jahrestagung des Instituts für Kriminalwissenschaften der Universität Göttingen. Sie sprachen sich mehrheitlich gegen eine Ausweitung des strafrechtlichen Zugriffs aus. Dies sei allenfalls eine Beruhigungspille mit nicht absehbaren schädlichen Neben- und Folgewirkungen. Dr. Anke Martiny, Vorstandsmitglied von Transparency International Deutschland e.V., vertrat die Auffassung, dass durch die Intransparenz der Kosten im bestehenden System der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht nur gesamtwirtschaftliche Schäden entstünden, sondern auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Ärzteschaft schwinde.

„Nicht jede ärztliche Falschabrechnung ist strafrechtlich relevant“, sagte Oberstaatsanwalt Alexander Badle im Rahmen der Tagung. In seinem Vortrag über die Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Vielzahl an Ermittlungsverfahren warnte er vor einem „inflationären Strafrecht“. Badle ist Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main. Der Kriminologe Prof. Dr. Ralf Kölbel von der Universität Bielefeld zeigte auf, dass effektive Strategien der Bekämpfung von Betrug und Korruption an der ökonomischen Vernunft der Akteure im Gesundheitswesen ansetzen müssen. Die Bemühungen der Arzneimittelindustrie in den vergangenen Jahren um eine freiwillige Selbstkontrolle würden eher der Außendarstellung und Imagepflege dienen, so der Kriminologe auf der Tagung in Göttingen.

Die Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Hendrik Schneider von der Universität Leipzig und Prof. Dr. Friedrich E. Schnapp von der Universität Bochum referierten zum komplexen Verhältnis von straf- und sozialrechtlichem Selbstverständnis. Der ehemalige Justiziar bei der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe Dr. Gernot Steinhilper befasste sich kritisch mit den Aufklärungsbemühungen der Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen. Prof. Dr. Gunnar Duttge vom Göttinger Institut für Kriminalwissenschaften hat die Tagung mit dem Titel „Tatort Gesundheitsmarkt“ initiiert und die Expertenrunde eingeladen. Er forscht unter anderem zu Fragen des Medizinrechts.

Kontaktadresse:
Prof. Dr. Gunnar Duttge
Georg-August-Universität Göttingen, Juristische Fakultät – Institut für Kriminalwissenschaften
Goßlerstraße 19, 37073 Göttingen, Telefon (0551) 39-7435, Fax (0551) 39-9240
E-Mail: lduttge@gwdg.de
Internet: www.uni-goettingen.de/de/sh/18979.html