Städtisches Museum Braunschweig zeigt ältesten Ämteratlas Niedersachsens

23.11.2012

Wiederentdeckung durch Göttinger Wissenschaftler – Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel im Jahr 1574

(pug) Die älteste Karte des ehemaligen Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel stammt aus dem Jahr 1574. Das Werk des Landvermessers und Kartographen Gottfried Mascop zeigt alle Flecken, Dörfer, Vorwerke, Burgen, Kirchen, Mühlen, Wälder und Gewässer. Der Atlas galt lange Zeit als verschollen und wurde 2009 von Wissenschaftlern der Universität Göttingen wiederentdeckt. Er wird nun erstmals im Städtischen Museum Braunschweig der Öffentlichkeit gezeigt.

„Vermessen – gannz fürstenthumb Braunschweig – Der älteste Ämteratlas Niedersachsens“ lautet der Titel der Ausstellung, die vom 23. November 2012 bis zum 3. Februar 2013 zu sehen ist. Geöffnet ist die Ausstellung dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr. Wertvolle Handschriften und Messinstrumente illustrieren in der Ausstellung die Erstellung von Karten im 16. Jahrhundert. Zeitgleich erscheint außerdem ein Faksimile der 28 Karten im Verlag für Regionalgeschichte Bielefeld. Der Original-Atlas befindet sich im Besitz des Stadtarchivs Hildesheim.

In der Forschung war bekannt, dass Gottfried Mascop in den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts im Dienst von Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel stand. Die von ihm gezeichneten Karten aber galten als verschollen. Der genaue Überlieferungsweg der Karten lässt sich heute nur teilweise erschließen: Die „Landtafeln“ gelangten vermutlich im 17. Jahrhundert in den Besitz von unbekannten Personen in Diensten der Hildesheimer. Im 19. Jahrhundert wurden die Karten zusammengebunden und kamen vermutlich Mitte des 20. Jahrhunderts an das Stadtarchiv Hildesheim.

Der Atlas umfasst alle Ämter des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel vor dem Anfall von Calenberg im Jahr 1584. Er enthält somit das gesamte Herrschaftsgebiet der Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel: Vom Weserdistrikt um Holzminden im Westen bis zum Gebiet um Helmstedt beziehungsweise dem Amt Calvörde im Osten. Die Ämterkarten sind die bei weitem frühesten Visualisierungen des Braunschweiger Landes und weiter Teile Zentralniedersachsens sind. Sie sind für Norddeutschland von einzigartiger Bedeutung. Erst eine Generation später wurde das Fürstentum Lüneburg von Johannes Mellinger in Kartenform erfasst. Der Atlas eröffnet damit der Geschichtswissenschaft wie der Geographie neue Perspektiven und bietet allen historisch an der Geschichte des Braunschweiger Landes Interessierten neue und spannende Einblicke.

Der Atlas ist eine außergewöhnliche Quelle der Territorialgeschichte des 16. Jahrhunderts. In die Karten wurden mit jeweils unterschiedlichen Symbolen Städte, Dörfer, Amtssitze und Burgen eingezeichnet, außerdem Wirtschaftseinheiten wie Bergwerke, Pochwerke, Steinbrüche und besonders Wind- und Wassermühlen. Systematisch wurden die Orte, die eine Pfarrkirche besaßen, mit einem eigenen Symbol klassifiziert, ebenso Klöster und Stifte. Darüber hinaus wurden die Wälder erfasst. Der Atlas ermöglicht damit neue Forschungen zur Ämterorganisation und Verwaltungsgeschichte des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel. Die systematische Erfassung der Städte und Dörfer erlaubt neue Analysen der Orts- und Flurnamenforschung. Dies gilt auch für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, da Gottfried Mascop auf Anordnung des Herzogs sowohl die Bergwerke als auch die mit diesen verbundenen Einrichtungen erfasste, so dass zukünftig neue Einblicke in die Montangeschichte des Harzes gewonnen werden können.

Gottfried Mascop war Geograph und Kartograph, hatte in Köln studiert und trat 1572 in die Dienste des Braunschweiger Herzogs. Er verfolgte die Idee einer umfassenden kartographischen Erfassung aller deut-schen Länder, wie sie dann erstmals Ende des 19. Jahrhunderts zustande kam. Für dieses Gesamtvorhaben bedeuteten die Braunschweiger Karten einen großen Fortschritt, da sie die 1568 für die Bischöfe von Münster und Osnabrück und 1571 für den Bischof von Halberstadt gearbeiteten Karten ergänzten. Herzog Julius aber verlangte präzisere Zeichnungen als sie Mascop erstellen wollte und konnte, so dass der Kartograph im Jahr 1575 in die Dienste des Mainzer Erzbischofs wechselte, wo sich dann seine Spur verliert.

Mascop bereiste 1572 und 1573 das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel und nahm es „in Augenschein“ – aber er führte keine präzisen Vermessungen durch, sondern ließ die Karten zeichnen. Eben hierin lässt sich die Bedeutung des Vorhabens erkennen, denn Ende des 16. Jahrhunderts befand sich die Kartographie im Umbruch: Die Geographen entwickelten zunehmend genauere Methoden, Landschaften zu erfassen, so dass immer präzisere Messinstrumente und immer bessere Wegstreckenzähler entwickelt wurden. Mascops Karten gehören reichsweit zu den sehr wenigen abgeschlossenen territorialen Komplettvermessungen des 16. Jahrhunderts. Zugleich stehen sie am Wendepunkt der Kartographie der frühen Neuzeit, denn sie stellen ein Maximum an Genauigkeit der sogenannten „Augenscheinkarten“ dar – genauere Karten ließen sich nur mit Hilfe umfassender Vermessungsarbeiten erreichen. Erst Ende des 18. Jahrhunderts wurde eine solche exakte topographische Karte auf der Grundlage präziser Messungen für das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel von Johann Gerlach erstellt.

Originalveröffentlichung: Uwe Ohainski und Arnd Reitemeier (Hg.). Das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel im Jahr 1574 – Der Atlas des Gottfried Mascop. Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen 57, Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2012. ISBN 978-3-89534-987-4. Gebunden, 30 x 42 cm, ca. 200 Seiten mit ca. 160 farbigen Abbildungen. 39,00 Euro.

Kontaktadresse:
Prof. Dr. Arnd Reitemeier
Georg-August-Universität Göttingen
Philosophische Fakultät
Institut für Historische Landesforschung
Heinrich-Düker-Weg 14, 37073 Göttingen
Tel. (0551) 39-21213
E-Mail: arnd.reitemeier@phil.uni-goettingen.de
Internet: www.uni-goettingen.de/de/98294.html