Mehr ist besser

07.06.2016

Vielfalt und Menge der Bodentiere bestimmen Laubabbau im Wald

In Wäldern bilden Kleintiere, die das herabfallende Laub zersetzen, komplexe Nahrungsnetze und sind maßgeblich für das Funktionieren des Ökosystems. Eine Studie in über 80 Wäldern in Deutschland und auf Sumatra (Indonesien) hat nun gezeigt, dass über größere Landschaften gesehen vor allem zwei Faktoren diese Funktion beeinflussen: die Menge an Tieren sowie deren Artenvielfalt. In bisherigen Untersuchungen war der Zusammenhang zwischen Biodiversität und Ökosystem-Funktionen meist nur auf kleinen Versuchsflächen getestet worden.

Auf diesen Flächen können zwar die Artenzahlen gut kontrolliert werden, doch dafür sind diese Zahlen gewöhnlich relativ niedrig und die Nahrungsnetze somit wenig komplex. In einer neuen Studie haben Forscher nun untersucht, inwieweit sich die Ergebnisse aus solchen Experimenten auf reale Landschaften übertragen lassen. Dazu sammelten sie in 80 Wäldern in Deutschland und auf Sumatra (Indonesien) jeweils auf einem Quadratmeter Boden alles Laub ein, um die darin lebenden Tiere zu untersuchen: vor allem Insekten, Spinnen und Schnecken, insgesamt über 12.000 Individuen aus knapp 1.200 Arten. Aus diesen Daten berechneten sie die Energie, die durch das Nahrungsnetz in der Laubstreu fließt. Diese wiederum diente ihnen als Maß für den Abbau des Laubes am Waldboden.

Die Nahrungsnetze, in denen die in den Blättern gespeicherte Energie umgesetzt wird, sind sehr komplex. So fressen zum Beispiel Springschwänze die herabgefallenen Blätter, werden ihrerseits von Milben gefressen, denen wiederum Räuber wie Spinnen nachstellen. Indem die Bodentiere auf diese Weise das herabfallende Laub zersetzen (gemeinsam mit Pilzen und Bakterien), haben sie eine wichtige Funktion im Wald-Ökosystem. Ohne sie würden sich die Blätter innerhalb weniger Jahre meterhoch auftürmen. „Die Zersetzer sind für den Wald, was die Müllabfuhr für unsere Städte ist“, erklärt Studienleiter Ulrich Brose, Leiter der Forschungsgruppe Biodiversitätstheorie am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung iDiv und Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Der Fluss an Nahrungsenergie durch die Laubstreu, so das Ergebnis der Studie, ist dann besonders hoch, wenn es sich um eine arten- und individuenreichen Zersetzergemeinschaft handelt. Solche Gemeinschaften haben die Forscher vor allem in naturnahen, wenig bewirtschafteten Wäldern gefunden – sowohl in Deutschland als auch auf Sumatra. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Funktion von natürlichen und komplexen Ökosystemen letztlich durch einfache Zusammenhänge bestimmt wird: Je mehr einzelne Tiere vorhanden sind und je größer deren Artenreichtum, umso besser funktioniert das System“. Hingegen spielten in der Studie die konkrete Zusammensetzung der Tiergemeinschaft sowie die Eigenschaften der einzelnen Arten eine untergeordnete Rolle. Diese Faktoren hatten in vorangegangenen Experimenten häufig einen starken Einfluss auf Ökosystem-Funktionen gezeigt. „Sind insgesamt weniger Arten vorhanden, wie es auf kontrollierten Versuchsflächen gewöhnlich der Fall ist, ist der Einfluss einzelner Arten hoch. In großen Artengemeinschaften fallen einzelne Arten aber offenbar weniger ins Gewicht und es gilt die einfache Regel ‚mehr ist besser‘“, so Brose. „Dass dies offenbar für Wälder in Indonesien und Deutschland gleichermaßen gilt, war schon eine Überraschung,“ ergänzt der Erstautor der Studie, Andrew Barnes. Schließlich würden sich die Wälder selbst, aber auch die Methoden der Bewirtschaftung in den beiden Gebieten deutlich unterscheiden. Barnes hatte die Studie an der Georg-August-Universität Göttingen durchgeführt, ist jedoch mittlerweile ebenfalls ans Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) gewechselt. Ihre Ergebnisse haben die Forscher in einem Sonderband der renommierten Fachzeitschrift Philosophical Transactions of the Royal Society B veröffentlicht, der sich der Dynamik von Biodiversität und Ökosystem-Funktionen auf Ebene der Landschaft widmet.

Die Waldstücke, in denen die Forscher ihre Proben gesammelt haben, lagen auf Sumatra bis zu 90 Kilometer, in Deutschland bis zu 630 Kilometer voneinander entfert. Außerdem unterschieden sie sich darin, wie stark sie vom Menschen genutzt und beeinflusst wurden. Die Untersuchungsflächen auf Sumatra reichten von urwaldähnlichen Gebieten bis hin zu Ölpalmen-Monokulturen, jene in Deutschland von unbewirtschaftetem Buchenwald bis hin zu stark genutztem Nadelwald. Die deutschen Flächen lagen im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin (Brandenburg), dem Biospährengebiet Schwäbische Alb (Baden-Württemberg) sowie im Gebiet Hainich-Dün (Thüringen), das teilweise ein Nationalpark ist. Sie gehören zur Forschungsplattform „Biodiversitäts-Exploratorien“. Die Proben aus Indonesien wurden im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Ökologische und sozioökonomische Funktionen tropischer Tieflandregenwald-Transformationssysteme“ (Georg-August-Universität Göttingen) genommen

Originalveröffentlichung:
Andrew D. Barnes, Patrick Weigelt, Malte Jochum, David Ott, Dorothee Hodapp, Noor Farikhah Haneda, Ulrich Brose (2016): Species richness and biomass explain spatial turnover in ecosystem functioning across tropical and temperate ecosystems. Philosophical Transactions of the Royal Society B – Biological Sciences. 371 20150279; DOI: 10.1098/rstb.2015.0279.


Kontakt:
Prof. Dr. Ulrich Brose
Leiter der Forschungsgruppe Biodiversitätstheorie am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung iDiv Halle-Jena-Leipzig und Professor für Biodiversitätstheorie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Tel. +49 341 9733 205