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Presseinformation: Göttinger Friedenspreis verliehen

Nr. 0/2000 - 09.03.2000



Die Stiftung Dr. Roland Röhl zeichnet Arbeitsgruppe der Universität Darmstadt aus

Göttingen. Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit IANUS an der Technischen Universität Darmstadt ist am Donnerstag mit dem Göttinger Friedenspreis ausgezeichnet worden. Die Jury würdigte damit die "innovativen Leistungen der Arbeitsgruppe auf dem Gebiet fächerübergreifender und praxisorientierter Friedenswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland." Der Preis ist mit 10.000 Mark dotiert und wurde in vergangenen Jahr zum ersten Mal vergeben, mit ihm soll die Konflikt- und Friedensforschung gefördert werden. Der Göttinger Friedenspreis wird von der Stiftung Dr. Roland Röhl (Göttingen) verliehen.
Mit der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) habe sich ein für die deutsche Wissenschaftslandschaft neuer und ungewöhnlicher Arbeitszusammenhang naturwissenschaftlich-technisch fundierter, militärkritischer Expertise etabliert, heißt es in der Begründung der Jury. Die Zielsetzung von IANUS, kooperative Lösungen für technikbedingte Konflikte im Kontext von Sicherheit und Nachhaltigkeit zu suchen, habe zu einer in Forschung und Lehre innovativen Projektarbeit und - mit Blick auf Politik und Öffentlichkeit - zu beachtlichen Initiativen geführt.
Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn hob in einem Grußwort hervor, dass IANUS daran arbeite, die Fragestellungen der Wissenschaft plausibel, ihre Methoden verständlich und schließlich ihre Ergebnisse einsehbar zu machen. IANUS unterhalte auch offenen Kontakt mit der Politik, das heiße, den politisch Verantwortlichen, den Bürgern und den intermediären Organisationen. IANUS trage damit zur Belebung, zur Vertiefung und Verstetigung eines vielfältigen und breit gefächerten Austausches zwischen der Friedens- und Konfliktforschung und der politischen Öffentlichkeit in Deutschland und im europäischen Rahmen bei, ohne die Friedensgestaltung nicht möglich sei.
Nach Ansicht von Niedersachsens Wissenschaftsminister Thomas Oppermann (Grußwort) hat der Göttinger Friedenspreis mit IANUS abermals einen würdigen Preisträger gefunden. IANUS führe Interdisziplinarität nicht nur im Namen, sondern fülle dieses Schlagwort auch mit Leben. Die Initiative trage vor allem der Tatsache Rechnung, dass Friedensforschung auch Technikfolgenabschätzung und die Entwicklung neuer, menschlicherer Technologien umfassen müsse. Heute sei Friedensforschung vielleicht noch wichtiger als zu Zeiten des Kalten Krieges. Denn die Zahl der mit Waffengewalt ausgetragenen Konflikte nehme weiter zu. "Da sich die meisten dieser Tragödien in der sogenannten "Dritten Welt abspielen, dringen sie aber gar nicht erst in das Bewusstsein unserer weitgehend abgestumpften Öffentlichkeit vor." Dabei trete neben die "klassischen", vor allem sozial und politisch motivierten Auseinandersetzungen verstärkt eine neue Kategorie, deren Bedeutung - so sei zu befürchten - weiter zunehmen werde: Immer öfter entwickelten sich Kriege aus Konflikten um die knappen Ressourcen der Natur. Deshalb sei es wichtig, dass auch die Friedensforschung ökologische Aspekte in ihre Arbeit mit einbeziehe. Denn so vielfältig die Ursachen für Konflikte seien, so vielfältig müsse auch das wissenschaftliche Instrumentarium sein, das sie erkläre und im besten Fall auch verhindern helfe.
IANUS war 1987 an der Technischen Universität Darmstadt (TUD) von einer Gruppe von Hochschulmitgliedern, die ihre Lehrtätigkeit zu Fragen der Friedensforschung bündeln und eine gemeinsame Forschungstätigkeit initiieren wollte, gegründet worden. Seit 1993 wird IANUS an der Technischen Universität Darmstadt als zentrale wissenschaftliche Einrichtung geführt. Die Arbeitsgruppe behandelt drängende Problembereiche, die von Naturwissenschaft und Technik beeinflusst werden, und in gesellschaftlichen Risiko- und Konfliktsituationen wesentlich im Hinblick auf Sicherheitsfragen sind. Der Arbeit von IANUS liegt die Überzeugung zugrunde, dass traditionelle disziplinäre Forschungsansätze nicht mehr ausreichen, angemessen auf die neuen Herausforderungen zu reagieren, mit denen die Wissenschaft angesichts aktueller Problemlagen konfrontiert ist. Gleichzeitig möchte IANUS zu einer Weiterentwicklung der Praxis von Interdisziplinarität und Transdisziplinarität und zum Verständnis angemessener Disziplinarität beitragen. Mit ihrem schwerpunktmäßig naturwissenschaftlich-technischen Ansatz sieht sich IANUS als notwendige Erweiterung zu der bislang eher sozialwissenschaftlich orientierten Friedens- und Konflikt- sowie Technikfolgenforschung.
Parallel zu den Forschungsarbeiten in den Einzelprojekten arbeitet die gesamte Forschungsgruppe an gemeinsamen übergeordneten Themen. Zu diesen Themen gehören interdisziplinäre Begriffsklärungen, die Frage nach den bestimmenden Faktoren der Rüstungsdynamik, die Problematik der zivil-militärischen Ambivalenz von Wissenschaft und Technik oder die Suche nach verantwortungsvoller Energieversorgung für die Zukunft.
Unter dem Prinzip des forschenden Lemens wird IANUS auch im Bereich der fachübergreifenden Lehre tätig. Die IANUS-Seminare liefern Beiträge zur Thematik der Risikogesellschaft, zur Ambivalenz von Wissenschaft und Technik, zu Methoden und Modellen der Konfliktforschung, zu Möglichkeiten der Friedensförderung sowie zu Fragen des Selbstverständnisses und der Verantwortung der Wissenschaften. IANUS ist in vielfältige Kooperationen mit in- und ausländischen wissenschaftlichen Institutionen eingebunden, liefert außerdem parlamentarischen Gremien und internationalen Organisationen zu. Damit leistet IANUS auch wichtige Beiträge an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Zur Zeit arbeiten bei IANUS insgesamt 16 HochschullehrerInnen, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen, Doktorandinnen aus sieben natur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen sowie eine Sekretärin und etwa zehn studentische Hilfskräfte. Nach einer Startfinanzierung durch die Volkswagen-Stiftung wurden durch IANUS erhebliche Finanzmittel bei US-amerikanischen und deutschen Stiftungen sowie bei der DFG, beim Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages (TAB) und vom Schweizer Wissenschaftsrat eingeworben.
Der Göttinger Friedenspreis will an den Göttinger Wissenschaftsjournalisten Roland Röhl erinnern. Röhl war am 24. Dezember 1997 an Krebs gestorben, er hatte in seinem Testament verfügt, dass sein Nachlass für die Bildung des Stiftungsvermögens verwendet wird. Der promovierte Chemiker, der als Forschungsstipendiat unter dem Nobelpreisträger Prof. Manfred Eigen gearbeitet hatte, befasste sich als Journalist vor allem mit Fragen der Sicherheitspolitik sowie der Konflikt und Friedensforschung.

Weitere Informationen:
Stiftung Dr. Roland Röhl
Neues Rathaus
37070 Göttingen