In publica commoda

Presseinformation: Ombudsgremium legt Abschlussbericht zur Göttinger Nierenkrebsstudie vor

Nr. 307/2002 - 12.11.2002

Publikation in Nature Medicine entspricht nicht Anforderungen guter wissenschaftlicher Praxis

(pug) Die in der Fachzeitschrift „Nature Medicine“ von Göttinger, Tübinger und Berliner Medizinern veröffentlichte Publikation zur Vakzinetherapie bei Nierenzellkarzinomen entspricht nicht den Anforderungen guter wissenschaftlicher Praxis. Zu diesem Ergebnis kommt das vom Präsidenten der Universität Göttingen im Herbst vergangenen Jahres mit der Untersuchung des Falls beauftragte Ombudsgremium der Hochschule, das in seiner Arbeit von vier renommierten externen Gutachtern unterstützt wurde. Das Verhalten des Erstautors der im Jahr 2000 veröffentlichten Nierenkrebsstudie wertet das Gremium in seinem am Montag vorgelegten Abschlussbericht als wissenschaftliches Fehlverhalten. Der Erstautor sei bei der Erstellung der Manuskripte für die Publikation „derart unsorgfältig mit Daten umgegangen, dass er den Bereich mangelnder Sorgfalt verlassen und den Bereich mindestens grob fahrlässiger Hinnahme von Unkorrektheiten betreten“ habe. Für keinen der übrigen 14 Autoren hat das vom Senat der Universität gewählte Gremium wissenschaftliches Fehlverhalten – gemessen am Kriterium der groben Fahrlässigkeit – festgestellt.

Gleichzeitig betonte das Ombudsgremium, dass keinerlei Anhaltspunkte dafür gefunden wurden, dass Patienten durch die Therapie mit dem Impfstoff, der durch eine Verschmelzung von lebenden Tumorzellen des jeweiligen Nierenkrebspatienten mit im Labor kultivierten Dendritischen Zellen hergestellt wurde, in unvertretbarer Weise belastet oder geschädigt wurden. „Das Ombudsgremium würde es sehr bedauern“, heißt es in dem Bericht, „sollte ein möglicherweise zukunftsweisendes und erfolgversprechendes, tierexperimentell bei anderen Tumoren gut untermauertes Konzept für ein Verfahren zur Behandlung einer sonst weitgehend therapieresistenten schweren Erkrankung wegen mangelnder Sorgfalt bei der Wiedergabe der Ergebnisse und der Abfassung der Publikation beschädigt worden sein oder werden.“ Das Gremium empfiehlt den Autoren, „Nature Medicine“ über die Mängel der Publikation zu informieren.

Zu diesen vom Ombudsgremium festgestellten Mängeln zählt neben der unzureichenden Sorgfalt, mit der das Manuskript insbesondere auch hinsichtlich der Therapiefolgen erstellt worden sei, vor allem die Tatsache, dass Patienten nicht entsprechend den in der Publikation selbst definierten Kriterien berücksichtigt wurden. Bei Einhaltung der von den Autoren genannten Einschluss- und Ausschlusskriterien hätten – so das Gremium – nur 13, möglicherweise nur zwölf, der 17 Patienten in die Publikation einbezogen werden dürfen. Es ergebe sich jedoch kein Hinweis darauf, dass durch eine gezielte Auswahl der Patienten das Ergebnis positiv beeinflusst werden sollte. Gegen gute wissenschaftliche Praxis verstoße außerdem, dass entgegen den Angaben in der Publikation die Studie der Ethikkommission der Universität nicht vorgelegt worden sei.

Weitere Kritikpunkte betreffen fehlerhafte Primärdaten und fehlende Hinweise auf andere, gleichzeitig angewandte Therapieverfahren, zum Beispiel Strahlentherapien. Außerdem seien die jeweiligen Schritte bei der Herstellung der einzelnen Vakzinen ebenso wie die immunologischen Vakzinierungsergebnisse bei den einzelnen Patienten unzureichend oder nur exemplarisch dokumentiert. Da es sich um klinische Therapieversuche handelte, deren Beurteilung in erster Linie röntgendiagnostisch erfolgte, bleibe es dem Ombudsgremium unverständlich, warum nicht auch ein Röntgendiagnostiker in das Autorenkollektiv aufgenommen wurde, der Verantwortung für die klinische Therapiekontrolle hätte übernehmen müssen.

Dem Erstautor wird überdies fehlende Kommunikation und Abstimmung mit den übrigen Mitautoren vorgeworfen. Das Ombudsgremium: „Es bleibt die über diese Evaluierung hinausweisende allgemeine Frage nach der Verantwortung des einzelnen Mitglieds eines Autorenkollektivs für einen Text, den es unter Umständen gar nicht vollständig überblicken kann, weil er zum Teil außerhalb des engeren Zuständigkeits- und Kompetenzbereiches liegt. Es widerspricht den heutigen Publikationsgepflogenheiten der meisten Zeitschriften, hätte aber Klarheit geschaffen, wenn an Stelle von ,we have (...)‘ jeweils der Name des Autors genannt worden wäre, der bestimmte Beiträge tatsächlich geleistet hat, oder wenn dies etwa unter Material und Methoden erläutert worden wäre.“ Abschließend heißt es, das Ombudsgremium halte den Grundsatz für wichtig, dass jedem Mitglied eines Autorenkollektivs die Möglichkeit eingeräumt werde, sich bis zum Erscheinen der Publikation von dessen wissenschaftlichem Standard zu überzeugen.