Ringvorlesung: 'Amerika und Deutschland' - Ambivalente Begegnung
Deutschland und Amerika, so ist allenthalben zu hören, distanzierten sich voneinander. Aus den USA sei für die Deutschen zunehmend ein »fremder Freund« geworden; zugleich gibt es kaum einen Bereich, in dem die Bedeutung und oft auch die lange Tradition eines freundschaftlichen, produktiven Miteinanders nicht hervorgehoben wird.
Dieses Spannungsverhältnis von Distanz und Nähe, von Diskrepanzen und Konvergenzen wird im Sommersemester 2004 das Thema der öffentlichen Ringvorlesung an der Georg-August-Universität sein. Den Anstoß gibt die aktuelle Debatte um das deutsch-amerikanische Verhältnis sowie das 100-jährige Jubiläum einer bedeutsamen Begegnung zwischen Deutschen und Amerikanern: der Weltausstellung in St. Louis, die zahlreiche Deutsche in die USA lockte.
Als 1904 an deutschen Universitäten lehrende Sozialwissenschaftler wie Max Weber und Werner Sombart, Physiker und Chemiker wie Ludwig Boltzmann und Wilhelm Ostwald und Psychologen wie Hermann Ebbinghaus in die USA aufbrachen, um auf dem parallel zur Weltausstellung stattfindenden »International Congress of Arts and Science« zu referieren, sollte dies der Auftakt einer deutsch-amerikanischen Begegnung mit historischer Tragkraft werden. Führende Repräsentanten des deutschen Kultur- und Wissenschaftslebens begegneten nicht nur Land und Leuten, sondern auch »Amerika«, jenem so fernen Land, das seit jeher auf die Menschen in Europa eine eigenartige Faszination ausgeübt hatte. Dieser Kontakt mit »Amerika« und seinen Bewohnern ist keineswegs ohne Missverständnisse und Irritationen abgelaufen. Jedoch wurde das Tor für den wissenschaftlich- kulturellen Austausch weit aufgemacht. Und manche der Kongressteilnehmer dokumentierten ihr Interesse an diesem Land gar mit Studien, die zu Meilensteinen der Amerikaforschung werden sollten: Webers Arbeiten zum asketischen Protestantismus und zum amerikanischen Sektenwesen und Sombarts Untersuchung »Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus?« begleiten uns bis heute.
100 Jahre intensiven kulturellen und wissenschaftlichen Austauschs – so möchte man vermuten – sind wohl ausreichend, um uns Deutschen »Amerika« nahe zu bringen, auch wenn dieser Kontakt gerade in den dunklen Phasen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts kaum vorhanden war – jedenfalls nicht in einem positiven Sinne. Aber so vertraut sind vielen Deutschen die Vereinigten Staaten von Amerika tatsächlich nicht. Immer wieder mischen sich Bewunderung und Befremdung. Ambivalente Gefühle gegenüber Amerika sind stets vorhanden und die Begeisterung für den amerikanischen Roman, den amerikanischen Film oder die amerikanische Musik geht scheinbar problemlos einher mit der Angst vor einer »Amerikanisierung« der deutschen Kultur.
Mit der Ringvorlesung der Georg-August-Universität Göttingen zum Thema »Amerika und Deutschland – ambivalente Begegnungen? « wollen wir Fragen aufgreifen, mit denen schon die genannten Kongressteilnehmer vor 100 Jahren konfrontiert waren, die uns derzeit jedoch mit neuer Brisanz beschäftigen und die in der gegenwärtigen Debatte mit teils verkürztem, teils emotionalisiertem Blick vorschnell beantwortet werden: Welche Bedeutung hat »Amerika« heute für uns und wie nehmen uns die Amerikaner wahr? Was können wir von »Amerika« lernen und was hat »Amerika« von uns übernommen?
Die Veranstaltung dieser Ringvorlesung durch das Zentrum für Europa- und Nordamerikastudien (ZENS) und die Abteilung Nordamerikastudien (American Studies) des Seminars für Englische Philologie erlaubt es, diese Fragen aus einer inter- und transdisziplinären Perspektive zu betrachten: Zu erörtern sind Fragen nach dem derzeitigen Stand der diplomatischen und politischen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA, nach der Bedeutung einer langen Geschichte intensiven
kulturellen Austausches, ebenso wie nach den Wurzeln und Auswirkungen heutiger gesellschaftlicher Kon- und Divergenzen. Zentrales Anliegen dieser Ringvorlesung sind politische, gesellschaftliche, kulturelle und künstlerische Wechselbeziehungen, Chancen und Schwierigkeiten der interkulturellen Kommunikation und die informierte Auseinandersetzung mit einer breiten Spanne transatlantischer (Miss-) Verständnisse.
Über das breite Themenspektrum des amerikanisch-deutschen Austauschs referieren Deutsche und Amerikaner aus den Bereichen Wissenschaft, Politik, Medien und Kultur mit dem Ziel, uns »Amerika« näher zu bringen und die angesprochenen ambivalenten Gefühle einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Die Beiträge dieser Ringvorlesung werden vom StadtRadio (107,1 MHz) am jeweils folgenden Mittwoch übertragen. Die Mitschnitte sind über den Universitätsverlag Göttingen als CD erhältlich und über den OPAC der niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen im Internet zu erreichen.