In publica commoda

'Extra Gottingam non est vita - 1050 Jahre Göttinger Stadtgeschichte'

"Vor dem Weender Tore begegneten mir zwei eingeborene Schulknaben, wovon der eine zum andern sagte: „Mit dem Theodor will ich gar nicht mehr umgehen, er ist ein Lumpenkerl, denn gestern wußte er nicht mal wie der Genitiv von Mensa heißt.“ (Heinrich Heine, Die Harzreise)


„Göttingen ist eine freundliche Stadt mit 1169 Wohnhäusern und etwa 12 000 Einwohnern. Sie nimmt innerhalb der Ringmauer, welche die Aussenböschung des ehemaligen Festungswalles bekleidet, einen Flächenraum von etwa 320 Morgen ein und besitzt eine Feldmark, die aus etwa 5200 Morgen Ackerland und etwa 200 Morgen Weide besteht. [...] Die Vertheilung der Strassen ist regelmässig und leicht übersichtlich. Die meisten Strassen sind ziemlich gerade und breit und durchschneiden sich rechtwinklig. Abends werden sie mit Gas erleuchtet. Sie sind mit Basaltpflaster versehen und die geräumigen Fussbänke mit Kalksteinplatten belegt. Auch der Marktplatz ist gepflastert. Die Allee und die Umgebung der Kirchen sind mit Bäumen besetzt. Die Häuser sind allerdings meist nur von Fachwerk und schlicht gebaut.“
Das gepflegte, beschauliche Städtchen, das der Bibliothekar und Kunsthistoriker Friedrich Wilhelm Unger 1861 beschreibt, hatte damals schon mehr als 900 Jahre Geschichte hinter sich. Seit der ersten Erwähnung in einer Schenkungsurkunde Kaiser Ottos I. für das Moritzkloster in Magdeburg im Jahre 953 und den ersten Zeugnissen städtischer Organisation zu Beginn des 13. Jahrhunderts hatte es sich als ländliche Handelsstadt etabliert, die Wirren der Reformation und des 30jährigen Krieges halbwegs überstanden und mit der - eher überraschenden - Wahl als Ort der neu zu gründenden `Landesuniversität` durch die aufstrebenden hannoverschen Welfen den Anstoß zu einer grundlegenden Umgestaltung erfahren. Der Zustrom von Gelehrten und Studierenden, die Unterschiedlichkeit der Temperamente und der Lebensgewohnheiten, die neuen logistischen Erfordernisse und ästhetischen Ansprüche prägen das ebenso schwierige wie fruchtbare Mit- und Gegeneinander von Bürgerschaft und Universität; von Anfang an begleiten Polemiken – gegen den aufklärerischen Hochmut der Universität wie gegen die bodenständige Schwerfälligkeit der Bürger – diese Kohabitation. Unvermeidlich wechseln dabei Phasen größerer Aufgeregtheit mit solchen philisterhafter Verschlafenheit (wie sie wohl unser Topograph Unger erlebte). Daß Streit und Wettstreit aber immer wieder Ansporn zu schöpferischer Unruhe gegeben haben, ist allenthalben zu beobachten, nicht zuletzt an der bedeutenden Rolle, die Göttingen im literarischen Leben der Gegenwart spielt.

Die Ringvorlesung kann nicht die Geschichte der Stadt in ihrem Verlauf nachzeichnen. Sie will in Schlaglichtern einzelne Momente der Stadtgeschichte beleuchten und dabei der Vielfältigkeit der Aspekte zwischen politischer und Sozialgeschichte, Kunst und Literatur gerecht werden.



Literatur:

Friedrich Wilhelm Unger: Göttingen und die Georgia Augusta. Eine Schilderung von Stadt, Land und Leuten in Vergangenheit und Gegenwart für Einheimische und Fremde. Göttingen 1861.

Wilhelm Friedrich August Mackensen: Letztes Wort über Göttingen und seine Lehrer. 1791. Mit einem Nachwort und Erläuterungen von Ulrich Joost. Göttingen 1987.
Des Kennenlernens werth. Bedeutende Frauen Göttingens. Hrsg. v. Traudel Weber-Reich. Göttingen 1995

Robert Gernhardt: Gernhardts Göttingen. Göttingen 1997.

Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt.
Bd.1: Von den Anfängen bis zum Ende des Dreißigjährigrn Krieges. Hrsg. von Dietrich Denecke und Helga-Maria Kühn. Göttingen 1987.

Bd.2: Vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Anschluß an Preußen – Der Wiederaufstieg als Universitätsstadt (1648-1866). Hrsg. von Ernst Böhme und Rudolf Vierhaus. Göttingen 2002.

Bd.3: Von der preußischen Mittelstadt zur südniedersächsischen Großstadt. 1866-1989. Hrsg. von Rudolf von Thadden und Günter J. Trittel unter Mitwirkung von Marc-Dietrich Ohse. Göttingen 1999.